VIII. Brief

An Amalie

[20] Nicht wahr, liebes Mädchen, wie sich meine Laune Troz meinem Flegma nach der deinigen stimmt, da ich sonst jeden deiner Briefe nicht so geschwind beantwortete? Aber nun siehst Du, daß ich Dir schon zum zweiten Male keine Antwort schuldig bleibe. Freilich ist das Abschiednehmen eine unnüzze Sache und ein Zeremoniel, wider welches alle empfindsame Herzen protestiren sollten. Doch zu was Wichtigerm! Gott helfe Dir! Du dauerst mich, denn Liebe ist für ein Herz, wie das deinige, eine gefährliche Sache. Ich erschrak, als ich die Ausdrükke, die Dir deine erhizte Einbildungskraft eingab, überlas. Mädchen, Du hast viele Anlagen zu einer unglüklichen Schwärmerin. Wenn ich Dir rathen darf, so schränke deine Einbildungskraft mehr ein, wenn sie Dir so feurig von Liebe vorschmeichelt; und thust Du das nicht, so glaube mir, Du wirst gewis noch elend. Sei nicht böse über meine Einwendung; ich kenne Dich, und nie würde ich Dir so nahereden, wenn ich nicht wüßte, daß dein zukünftiges Loos aus Träumen bestehen könnte. Wahr ist es, jezt lachest, jezt tändelst Du noch; deine Seele ist nur obenhin berührt, Leichtsinn und Unerfahrenheit laßen Dir und deinem Kopfe nicht so vielen Raum übrig, um Dich unzufrieden und taub zu machen. Findest Du aber einmal Den, der sich in dein Herz schleicht, Den, worauf sich dein Eigensinn steif angeheftet hat, dann magst Du Acht haben, was aus Dir werden wird! Du bist keine gemeine Seele, die ohne Kopf[20] lieben wird; deine Eigenliebe wird sich stark ins Spiel mischen, Du wirst Gegenliebe fodern, und vielleicht von einem Menschen, den der Zufall zu ungeschikt geschaffen hat, um deine Eitelkeit zu nähren. Das wird Dich aufbringen, und doch! wenn Du vielleicht schon zu stark hingerißen bist, so wirst Du leiden, und dennoch mit Dem nicht brechen, der Dich von der Weiber Lieblingsseite zu küzzeln weis. Nun wird sich noch Eifersucht, Furcht, Wünsche, und was weis ich alles, dazu gesellen; dann merk auf, wie Dirs um das Herz seyn wird? – Du wirst Dir Ideale in deinem Liebling schaffen, und findest Du Dich in etwas getäuscht, so wirst Du murren und üble Laune bekommen. Dein Stolz wird sich empören, Du wirst keinen Anbeter nach deinen Schimären stimmen wollen; widerspricht er Dir, so wirst Du toll werden; dann wird es Zank absezzen, und nach diesem Maulhenkerei, und nach diesem Thränen, Schwermuth, und so kann es sich leicht fügen, daß Du Dich schlaflose Nächte hindurch mit deiner Todfeindin, mit der Liebe, herumbalgest. Morgen sag ich Dir noch mehr, magst sauer oder süß drein sehen, mußt es doch wissen. Lebe wohl!


Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 20-21.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen