IX. Brief

An Fanny

[21] Theure Fanny! Wir kamen in W** glüklich an. Der Graf empfieng uns sehr gut. Mein Vater ist jezt heiterer als jemals. Die Reise und das Losseyn von seinem Bruder machten ihn munter. Meine Hausgeschäfte sind häufig, alles liegt mir jezt auf dem Halse. Doch Kleinigkeiten für ein williges Mädchen! Mein Schwesterchen wächst recht artig heran, sie ist der Liebling meines Vaters, und da[21] er mir nebst dem auch noch ziemlich wohl will, so kann ich die häufigen Liebkosungen an sie leicht ertragen. – Nun für Dich ein Reisehistörchen: Wir kamen in F*** Abends in einer ehrbaren, saubern Schenke an; ein halbreifer Junge empfieng uns an der Treppe. Mein Vater hatte Louisen an der Hand und gieng der Stube zu, ich hintendrein, und das an der Seite besagten Kerlchens. Seine emsige Bedienung, sein: Mademoiselle schaffen sie nicht? machten mich lachen. Mein Vater merkte den Eifer dieses Jungen nicht, weil er sich eben mit Fremden in ein Gespräch eingelaßen hatte; aber stelle Dir nur vor: Der Flegel machte sich dieser Gelegenheit zu Nuzze und wich nie von meiner Seite. Er that sein Möglichstes, aber mit dem half es bei mir nichts. Halte mich ja nicht etwa für spröde! aber lies zuvor die Schilderung dieser drolligten Kreatur: Ein junger müßiger Held, mit glattem Kinn, ohne Gehirn, kraftlos und ungeschikt in seinen Ausdrükken und im Hut verliebt wie eine Kazze. Du weist, daß ich der Liebe gar nicht feind bin; aber da hieß es: Mein Herr! Sie sind zu gütig! – ich wünschte Ihnen eben so viele Vorsicht, – und so weiter. Aber Mademoiselle, können sie mir verdenken, wenn ich in Sie rasend verliebt bin? – Ich könnte unmöglich rasende Leute entschuldigen. – So haben sie denn kein Herz? O ja, sagte ich, und das ein recht zärtliches. Nun wenn das so ist, warum denn? jezt fiel ich ihm in die Rede: Das Warum und das Darum sind keine Sachen für Sie. – Sie wollen also meine Pein? Sie wollen, daß ich – Hier haben Sie mein Riechfläschchen, wenn Sie es nicht mehr ausstehen können. Lose Schöne! schrie er aus, wie schalkhaft sind Sie nicht! und Sie mein Herr! wie unerträglich sind Sie nicht! Ich? ich? – fragte er betroffen; bin doch gegen Sie mit keinem zweideutigen Worte aufgetretten! Das hätten sie noch wagen sollen, um ganz[22] ihre Schwäche von einem Mädchen bestrafen zu laßen! – O diese Strafe wäre ja süß. Noch hatte er den halben Gedanken im Munde, als der Papa rief: Amalie! nimm deine Schwester bei der Hand, wir gehen zu Bette. Und das thaten wir auch, schliefen so ziemlich wohl, stunden wieder früh auf, und nun giengs weiter nach W** zu. – Bleibe mir gut, Beßte! Du weist wie sehr ich bin


Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 21-23.
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