CXV. Brief

An Fanny

[116] Edle Freundin! –


So sehr mein Herz blutet, meinem Schiksale folgen zu müßen, so will ich Dir dennoch eine sehr komische Unterredung zwischen mir und dem Direktor der Gesellschaft erzählen, unter der ich nun bald werde aufgenommen werden.


Ich

[116] Mein Herr! ich bin Schauspielerin, und wünsche bei Ihnen aufgenommen zu werden.


Direktor

Legen Sie ihren Mantel ab und lassen Sie sehen, ob Sie keine Kissen in der Schnurbrust tragen, ob Sie gut gewachsen sind, ob Sie einen schönen Fuß, eine schöne Hand haben. –


(Nun drehte er mich rund um, und fuhr fort) Ihr Wuchs mag gut seyn! – Aber schminken müßen Sie sich, denn ihre dunkelrothen Wangen sind bäurisch. –


Ich

Mein Herr! Sie scheinen Fleischhakker gewesen zu seyn, daß Sie mich von oben bis unten so betrachten, als ob Sie mich zur Schlachtbank führen wollten.


Direktor

Ja, meine schöne Madame! – das müßen Sie sich nicht verdrießen lassen! Unser einer muß gar genau auf eine schöne Figur sehen, wenn er sein Geld nicht einbüßen will.


Ich

Sie handeln also mit schönen Körpern, und treiben die Kunst blos zur Ausrede? –


Direktor

Die Sprache ist mir zu hoch, und ich nehme nicht gerne so schnippische Aktrisen an. – Wenn Sie bei mir bleiben wollen, so müßen Sie nicht böse werden, wenn ich auch noch mehrere Untersuchungen anstelle. –


Ich

Nur keine wider den Wohlstand, dann erlaube ich Ihnen jede andere Frage. –


Direktor

Sind Sie schon auf einer andern Bühne gewesen? – Wo? – Wie lange? – Und was haben Sie denn da gespielt? –


Ich

[117] Ich stund schon zwei Jahre in St... (das mußte ich sagen, um nicht als Anfängerin gehunzt zu werden,) und spielte immer erste Rollen. –


Direktor

Ja! erste Rollen, die kann ich Ihnen nicht immer geben! – Doch wir wollen sehen, ob Sie dem Publiko gefallen. – Was wollen Sie Besoldung? –


Ich

Wöchentlich neun Gulden. –


Direktor

Sind Sie toll? – Ich gebe keinen Heller mehr als sechs Gulden, und wenn Madame Sakko selbst käme!


Ich

Darum wollen wir uns nicht streiten; nur bitte ich mir mehr Zutrauen aus! –


Direktor

Zutrauen! – Ja, das sollen Sie haben; aber können Sie auch lesen? –


Ich

Herr!!! –


Direktor

Nur nicht so hizzig! Ich habe noch selten eine Aktrise gehabt, die lesen konnte. Und hier zu Lande können ohnehin die wenigsten lesen. Der Souffleur muß Ihnen die Rollen eintrichtern.


Ich

Ha, ha, ha! –


Direktor

Nu! was lachen Sie denn so? –


Ich

Ueber die sauberen Schauspielerinnen, die ihr Talent der Barmherzigkeit des Souffleurs abborgen! – Das[118] müßen doch allerliebste Schulfrazzen seyn, die alles aus einem andern Hirnkasten mechanisch daherplappern. –


Direktor

Und ich kann Sie doch versichern, daß meinen Aktrisen allezeit rasend Beifall zugeklatscht wird.


Ich

Ja, mein Herr! das glaub ich gerne; aber der Beifall gilt nur selten der Kunst. –


Direktor

Genug, wenn Sie Lust haben, so komme ich morgen mit einem Theaterkenner zu Ihnen, und wir sprechen das weitere. –


Ich

Ich will Sie erwarten. – Leben Sie wohl! –


Warte Dummkopf, du sollst es bekommen; und den nemlichen Abend machte ich noch folgenden Aufsaz. –

»Wenn ein Schauspiel-Unternehmer seiner Bühne mit Ehre und Vortheil vorstehen will, so muß er die Schauspielkunst selbst aus dem Grunde studiert haben, sonst scheitert in der ersten Woche schon seine Ehre nebst dem Kredit. – Streng muß er unter seinen Leuten auf Zucht und gute Sitten halten, – sonst versäumt er den moralischen Endzwek und wird ein privilegierter Bordellwirth. – Gute Wirthschaft muß er nicht mit dem Schweis seiner Untergebenen treiben, die ihm eben darum blos aus Hunger arbeiten, und das gute Publikum um sein Geld betrügen. –

Partheilichkeit im Rollenaustheilen, Kabale, Feindschaft soll er durch sanfte, vernünftige Leitung zu verhindern suchen, sonst stürzt sein ganzes Gebäude zu sammen, eh es völlig aufgeführt ist. – Wenn ein Unternehmer nicht selbst Lektur genug hat, um gute Stükke und wakkere Schauspieler zu wählen, so gebe ich für seine ganze Unternehmung nicht einen Kreuzer. – Leider sind dermalen[119] nur zu viele Unternehmer, die Oberherren einer Zigeunerbande, die auf schmuzzige Abentheuer herumzieht. – –«

Fertig ist jezt mein Aufsaz, und morgen soll der Tölpel tüchtig für seine tolle Frage dadurch beschämt werden! – O ich kann den morgenden Tag kaum erwarten! – – – Holla, man pocht.... Nur herein! – – –


Ah ha! – Sind Sie es Herr Direktor? – Noch so spät habe ich die Ehre? – Ich habe Sie erst morgen erwartet. –


Direktor

Ja, morgen habe ich zu viel Geschäfte; und ich habe die Ehre Ihnen diesen Abend noch diesen Herrn aufzuführen. Lassen Sie uns hören, ob wir des Handels einig werden können. –


Ich

Zweifle gar nicht daran; – nur erst eine Bitte! – Da hat man mir heute diesen Aufsaz zugeschikt; wollten der Herr Direktor wohl die Gefälligkeit haben und mir ihn vorlesen.


Direktor

Ich Madame? – Ich? –


Ich

Ja, Sie! – Wenn Sie so gut seyn wollen. –


Direktor

Ja, sehen Sie... ich... ich... (jezt rieb er sich die Augen) ich kann die kleine Schrift nicht lesen; – denn meine Augen sind etwas schwach.


Ich

Ei was Augen! – Ei was kleine Schrift! – Kommen Sie, kommen Sie; stellen Sie sich doch gerade, als ob Sie nicht lesen könnten. –


Dann hielt ich ihm den Aufsaz mit Gewalt vor die Nase, und er fieng an zu lesen:
[120]

We...nn ... We...nn ... We...nn e...in ... ei...n ein Unter... Unter... nehmer... Unternehmer –


Der Fremde lachte izt aus vollem Halse, nahm den Auffaz, und las ihn selbst vor. – »Eine schöne Moral! – merken Sie sich's, Herr Direktor, und fragen Sie Madame nicht weiter unüberlegt; Sie sehen izt, wie viel Talent dieses Frauenzimmer hat. – Handeln Sie würdig gegen sie; sie verdient es. –«


Ach ja! – (seufzte der gute Jost von Bremen) – und beide empfahlen sich. – Bald hörst Du das Weitere von


Deiner Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 116-121.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Clementine

Clementine

In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.

82 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon