CXVII. Brief

Fanny an Amalie

[123] Beßte Amalie! –


Du hast ihn also wagen müßen den Schritt zum Theater! – Du, ein Mädchen von gutem Herkommen, mußtest Dich dem Urtheile eines Dummkopfs Preis geben, um eines Bissen Brodes willen, der Dir nebst deiner harten Arbeit noch schröklich vergällt wird. – Gott! – wie verschieden sind doch Menschenschiksale! – Kann es eine größere Demüthigung geben, als aus Noth, der Dummheit, dem Neid, der Bosheit, dem Laster, der Verfolgung seinen Nakken darbieten zu müßen? – Und dies, armes Weibchen, ist jezt dein Loos! – Doch wann der Mensch Vernunft besizt, so weis er auch dieses zu ertragen; er wird mit Gewalt philosophisch. – O Theuerste! – die Vorsicht wacht über Dich, laß dich nicht beugen.

Der Beifall, den Du bei deinem Debut erhieltst, freut mich eben so sehr, als mich der Neid schmerzt, der Dich schon[123] im Anfange zu verfolgen beginnt. – Dieser abscheuliche Entehrer der Menschheit wütet beim Theater am ärgsten! – Ich glaube nicht, daß bei der Bühne in die Länge ein einziges Herz unverdorben bleiben kann. – Führt nicht der Neid immer eine Reihe anderer Laster mit sich? – Gar zu selten trift man einen Schauspieler, dessen Herz nicht voll Vertilgungsgeist ist; besonders sind die Weiber beim Theater äußerst zur Bosheit geneigt. Sie hängen sich gerne an die Wollust des Direktors, um andere Schauspielerinnen desto gräßlicher verfolgen zu können. – Die schmuzzigste Buhlerin wird nur zu oft der wahren verdienstvollen Schauspielerin vorgezogen. – Es geschehen Dinge beim Theater, die schnurstraks der gesunden Vernunft und der guten Ordnung zuwider sind. –

Möchtest Du, Edle, nie mehr erfahren, als Du izt schon weißt! – Möchtest Du bald wieder diesem elenden Stande entsagen können! – O wie feurig wird deine Freundin den Himmel um diese Wohlthat anflehen! – Deine liebende

Fanny.

N. S. Mein Karl grüßt Dich herzlich. –

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 123-124.
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