LXXXIV. Brief

An Fanny

[15] Sie ist vollbracht die Trennung, meine Fanny, die meinem Herzen doch noch so viel Mühe kostete! – Mich dünkt, es ist für eine gute Seele leichter, sich martern zu laßen, als Jemand zu kränken. Mein Herz bleibt mir ein ewiges Räthsel! – Wenn alle Weiberherzen so viel Schwachheit besizzen, dann wundere ich mich nicht mehr über die vielen gutherzigen Fehler, die unserm Geschlechte so häufig ankleben. Kannst Du es begreifen, meine Freundin? Ich habe bei seinem Abschiede noch Thränen der äußersten Wehmuth vergoßen. Er schien mir jezt ein hingeworfenes Opfer, das auf dem schlüpferigen Pfade des Lasters ohne Freunde dem Abgrunde zustrauchelt! – Der Friede wurde geschloßen, die Werbungen eingeschränkt, und er mußte zu seinem Regimente zurük. – Mein Oheim verließ den Armseligen mit einer empfindsamen Bitterkeit, die seinem so sehr beleidigten männlichen Karakter leicht zu vergeben ist.

»Nimmermehr – sagte er lezthin – soll er es wieder wagen, dich oder mich zu beunruhigen! –«

Er hat aber auch diesen guten Oheim fast ganz an Glüksgütern entblöst, und nun zwingt ihn die Noth, die Hülfe eines Freundes zu meiner fernern Unterstüzzung anzurufen. – Ich habe mir selbsten eine Art Kloster zu meinem Aufenthalte gewählt, dessen Orden mehr ans Weltliche gränzt. – Ich werde bald mit gewißen kleinen Vorbehältnißen dorten als Kostgängerin meine traurigen Tage verleben. Die Welt ist mir jezt zu verhaßt, um ihrer Reize zu genießen, denen mein armes Herz sich gewis nicht öffnen würde. Wenn die Schwermuth einmal Wurzel gefaßt hat, dann hat sie ihre stillen Entzükkungen,[15] und man genießt ihrer im einsamen Nachdenken. Ich kann oft heftig zürnen, wenn es Jemand wagt, mich in einer Seligkeit zu stören, die ich in den stillen, sanften Stunden einer denkenden Schwermuth genieße! – Traurigkeit wird durch Gewohnheit zu einer Leidenschaft, die überall Stoff zur Nahrung findet, wenn sie in einem fühlenden Herzen ihren Wohnsiz hat. Das Unglük macht denken, das Denken wehmüthig, und diese Wehmuth vergilt dann wieder mit süßer, unaussprechlicher Wonne den Eindruk des ersten Schmerzens. Wenn die Menschen das entzükkende, stille Gefühl einer schleichenden Melankolie recht zu empfinden wüßten, sie würden es gerne mit den wilden, rauschenden Vergnügungen vertauschen, die nur den gröbern Theil des Menschen sättigen. O Fanny! – Ich will mich laben an meiner Lieblingslaune in den stillen Mauern der Einsiedelei! Kein Zwang wird mich dann wie ehmals nach den Freuden der Welt lüstern machen. Ich werde freiwillig einer Unterhaltung entsagen, deren Genuß in meiner Willkühr stünde. Du wirst Dich wundern, Fanny, ich darf Besuche annehmen, und auch wieder geben, nur alles unter gewißen Einschränkungen. Auch will ich in meinen Büchern schon Unterhaltung genug finden, die mich sättigen wird an Leib und Seele; und denn wird es ja doch im Kloster etwa eine gute Seele geben, an die ich mich werde ketten können, sonst würde ich die Leere wohl nicht aushalten, das für empfindsame Herzen eine völlige Unmöglichkeit ist. – Ich will dann auch, meine Fanny, Dir zu Gefallen einer Gesundheit so viel möglich pflegen, von welcher deine Ruhe so sehr abhängt. Das Andenken meiner vorigen Tage soll mir dann die Ruhe der gegenwärtigen schmekken lassen – und sollten sich dann auch meine übrigen lebhaften Leidenschaften melden, die so stark in meinem Körperbau liegen, dann sey Du, meine Freundin, der Schuzengel, der mich leitet. Du hast einen so aufgeklärten Verstand, daß[16] ich Dir nicht einmal meine Fehler verschweigen würde, weil ich deine sanfte Leitung kenne. – Aber nun, meine Theuerste, Reiseanstalten machen den heutigen Brief etwas kürzer! Doch nichts in der Welt soll im Stande seyn, ein Herz mit Kälte zu erfüllen, das ewig, ewig nur an Dir hangen wird.

Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 15-17.
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