LIX. Brief

[105] Innigst Geliebter, ich habe Dir gestern in einer Stunde mehr gesagt, als ich Dir in Jahrhunderten schreiben kann. – Oder war es etwa nicht so, Du unersättlicher Schwärmer? – Warst Du wohl jemals gegen ein anderes Mädchen ein so warmer gefühlvoller Junge? – Ist es etwa für meine Eitelkeit zu viel Triumpf, wenn ich das allerliebste Nein so gerne über diesen Punkt aus Deinem Munde höre? –

Wenn man sich der Liebe nicht freuen darf, wenn man über ihre herrlichen Entzükkungen nicht nachdenken soll, o dann ist sie ja blos Begierde, und ich haße Begierden ohne die Begleitung eines feinen denkenden Gefühls. – Unsere Liebe hat den ächten dauerhaften Gang, wir wollen ihr folgen, aber auch Du lieber Friz, mußt Dich ein Bischen ändern. – Laß doch nicht immer Deinen feurigen Kopf und Deine reizbaren Nerven sprechen, sey im vollen Verstand Herr über Deine Leidenschaften, Du kannst es ja, wenn Du nur willst, die Liebe macht Dich biegsam, wenn Du ihr nur Gehör geben willst. – Wir wollen uns doch nicht ferner mit Grillen martern, willst Du? – Ich fodere dies kleine Opfer Deiner Vernunft jezt durchaus, bis das Verhängniß uns näher vereinigt. – – Das unglükliche Schiksal soll nicht Meister über uns wer den, nein, durchaus nicht, ich würde mich schämen ihm nachzugeben. – Wir wollen von nun an Zank und alle gefährlichen Auftritte zu verhüten suchen, die Dich und mich gränzenlos elend machen könnten. – Dein Weibchen lebt und athmet ja nur für Dich, für Deine Liebe – –

Nina.[105]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 105-106.
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