[810] Garten bei Romintas Schloß. Rominta ruht auf einer Rasenbank, Jolante sitzt zu ihren Füßen im Grase. Draußen zweistimmiger Wechselgesang.
ERSTE STIMME.
Von allen Bergen nieder
So fröhlich Grüßen schallt.
ZWEITE STIMME.
Das ist der Frühling wieder,
Der ruft zum grünen Wald![810]
ERSTE STIMME.
Ein Liedchen ist erklungen
Herauf zum stillen Schloß.
ZWEITE STIMME.
Dein Liebster hat's gesungen
Der hebt dich auf sein Roß!
ROMINTA winkend.
Schweigt, schweigt! ich will das Lied nicht weiter hören!
Falsch ist Musik, verträumte Fernen lügt sie,
Wo silbern Ströme gehn von blauen Bergen
Und wenn wir folgen, bricht der Zaubergrund
Und mit den Klängen zieht uns die Sirene
Hinab ins bodenlose Meer von Wehmut.
JOLANTE.
Was nur ersinnen wir, dich herzustellen?
ROMINTA.
Herstellen mich? Warum? bin ich denn krank?
JOLANTE.
Was wär es sonst? Tanz, heitrer Gäste Schwarm,
Die Jagd, der Gärten Pracht nichts freut dich mehr.
Die Rehe grasen um das stille Schloß,
Das in dem See sich melancholisch spiegelt,
Und durch die weite Einsamkeit hier hört man
Nur fern die Bäche gehn und dumpfen Schall
Der Äxte tief vom Waldesgrund herauf.
ROMINTA.
Horch wie die Wipfel da herüberrauschen!
Das hört ich lange nicht. Reich mir die Armbrust!
JOLANTE aufspringend.
Das ist ein Wort! ja, und dann frisch zu Pferde!
Dort hängt die Armbrust ganz verstaubt am Baum.
Sie reicht Rominta die Armbrust.
ROMINTA.
Die? Nein, nur diese nicht!
Sie wirft sie fort.
JOLANTE.
Sie war doch sonst
Die liebste dir Du hattest sie zuletzt
Noch bei Marienburg.
ROMINTA.
Sahst du ihn damals?
JOLANTE.
Wen, schöne Herrin?
ROMINTA.
Das war eine Nacht!
JOLANTE.
Mich schauert noch, wenn ich dran denk wie unten
Das Lager brannte und die Glocken stürmten
Die wilde Flucht verworren durch den Wald,
Das Schrein, der Klang der Schilde und fernher
Die Flammen zwischendurch[811]
ROMINTA.
Und, wie der Kriegsgott,
Der Plauen mitten in der furchtbarn Runde
Der roten Gluten, wunderbar beleuchtet
JOLANTE die unterdes in die Ferne gesehen.
Gott steh uns bei!
ROMINTA.
Was ist's?
JOLANTE.
Da kommt er!
ROMINTA rasch aufstehend.
Wer?
JOLANTE.
Der fürchterliche Ordensritter siehst du
Wie Sturm vom Wald her wirbelt er den Staub auf
ROMINTA.
Das ist sein Helmbusch! das sind seine Waffen!
Wie kannst du so gelassen stehn, Jolante?
Geh, hol die Sänger wieder, ruf die Jäger,
Mit Hörnerklang von allen Bergen sollen
Sie grüßen ihn, daß Hall und Widerhall
Melodisch sich verwirrt ich bin so fröhlich,
Wer weiß, wo das noch alles enden mag!
Jetzt lenkt er her o eile doch nur, eile!
JOLANTE.
Was will er hier? ich fürcht mich vor dem Gast.
Ab.
ROMINTA noch hinaussehend.
Nun schwingt er sich vom Roß wie ist mir denn?
Das ist sein Gang nicht! Schlanker auch, viel höher
Erschien er mir. Man sagt, die Mittagsstille
Brüt wunderbaren Spuk so grauenvoll
Verwandelt er sich, wie er naht was blickt er
So scheu? o Gott! das ist der Plauen nicht!
WIRSBERG auftretend.
Rominta! hohe, wilde, schöne Frau!
ROMINTA zusammenfahrend.
Du bist's!
WIRSBERG.
Ein lechzend Wild, und hinter mir
Die Zeit auf feuersprühndem Rosse jagend.
Bis hierher reicht sie nicht, hier laßt mich ruhn!
Er stürzt vor Rominta nieder.
ROMINTA nach einer kurzen Pause.
Dich wollt ich wiedersehen, wenn's vorüber
Die Lippe bebt zu fragen ist er tot?
WIRSBERG.
Was zitterst du?
ROMINTA.
Um Gottes willen, rede!
WIRSBERG.
Noch lebt er funkle nicht so mit den Augen!
Noch heut ja wird's vollbracht.[812]
ROMINTA.
Noch heute?
WIRSBERG aufstehend.
Laß das!
Sind wir so heimlich doch beisammen hier
Er zieht sie zu sich auf die Rasenbank nieder.
ROMINTA.
Den Plauen mordet ihr? gibt's keinen Rückweg?
Besinn dich wohl!
WIRSBERG.
Zu spät.
ROMINTA.
O deine Blicke,
Verwildert ganz! So sag denn, wo geschieht es?
WIRSBERG.
Im Wald bei Schaken.
Sich rings umsehend.
Horch, kein Vogel singt
Hier in der blühnden Wildnis. Seltsam doch!
Wie sehnt ich mich hierher aus tiefster Seele!
Und nun erschreckt mich diese Einsamkeit:
Das Spiel der Blätter und der Brunnen Rauschen,
Die steinern Bilder in der schwülen Stille.
Was kümmert's uns! Laß deine Locken flattern
Um mich und dich! Die Zeit geht rasch ein Tor,
Der noch auf morgen hofft in solchen Zeiten!
Heut ist mein Reich und heut will ich noch herrschen!
Voraus den Siegerpreis mir holen will ich
Und, eh der Boden bricht, mit einem Zug
Den Taumelkelch des ganzen Lebens leeren!
Oh, so sei fröhlich doch, Rominta, fröhlich!
ROMINTA die unterdes nachsinnend dagesessen, sich rasch erhebend.
Zurück! Wenn es vollbracht ist ja, dann ruhst du,
Will's Gott, wohl eine lange, lange Nacht.
Gesang von fern, nach der vorigen Melodie.
ERSTE STIMME.
Wir reiten so geschwinde,
Von allen Menschen weit.
WIRSBERG aufspringend.
Was ist das? Winktest du nicht heimlich jetzt?
ZWEITE STIMME.
Da rauscht die Luft so linde
In Waldeseinsamkeit.
WIRSBERG scheu um sich blickend.
Ich hör Geräusch vom Schlosse her dort regt sich's
Hier soll mich keiner sehn! Sieh, und dort unten
Da sprengen Reiter blitzend übers Feld!
ROMINTA.
Die Jäger sind's, die heim vom Walde kehren.[813]
WIRSBERG.
Jetzt wieder dort noch einer Nein, der Plauen
Schickt sie nach mir Sie sollen mich nicht fangen!
Er zieht sein Schwert und stürzt fort.
ROMINTA.
Jolante, he, Jolante!
JOLANTE auftretend.
Was geschah dir?
ROMINTA.
Wo wendet' er sich hin?
JOLANTE.
Wer?
ROMINTA.
Oh, wir hätten
Ihn so nicht lassen sollen! Rasch mein Pferd!
JOLANTE.
Jetzt noch? Schon neigt die Sonne sich ins Land.
ROMINTA.
Sie geht auf ewig unter und wird scheidend
In Blut die Höhen rings und Wälder tauchen!
GESANG draußen.
Wohin? im Mondenschein
So bleich der Wald schon steht.
ROMINTA.
O diese Töne in der tiefsten Angst!
Schafft mir mein Roß! mein Ritterwams! Fort, fort!
Beide ab.
GESANG wie oben.
Leis rauscht die Nacht frag nimmer,
Wo Lieb zu Ende geht!
Buchempfehlung
Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.
52 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro