Werner

[804] Werner ist ein durchaus subjektiver Dichter; seine Verirrungen, seine Reue, sein Schmerz und sein Sehnen sind seine Poesie. Läßt er selbst doch eine seiner Kanzonen sagen:


»Ich bin, man weiß es, spricht sie, vielem Sprechen

Nicht eben feind; doch, soll ich was erzählen:

'nen Lebenslauf, Tragödie und so ferner;

So mag ich mich auch noch so ängstlich quälen,

Ich kann mich immer meiner nicht entbrechen,

Ich bin und bleib in allem immer – Werner!«


Bei dieser innigen Durchdringung von Dichten und Leben, die fortwährend einander wechselseitig bedingen und erklären, ist es daher nötig, wenigstens die Hauptzüge des letzteren hier kurz zu erwähnen, ohne welche manches seiner Gedichte kaum verständlich wäre.

Friedrich Ludwig Zacharias Werner, im J. 1768 zu Königsberg in Preußen geboren, hatte sehr früh seinen Vater verloren. Um so bedeutender mußte hiernach der Einfluß der Mutter auf ihn sich geltend machen, nicht sowohl durch eine sorgsam geregelte Erziehung als durch ihr ungewöhnliches, eigentümliches Wesen. Hippel und Hoffmann rühmen sie als eine mit Geist und Phantasie hochbegabte Frau, die jeden Gegenstand mit Adlerblicken durchschaute, und Werner selbst nennt sie eine reine, heilige Kunstseele und Märtyrerin von dem hellsten, nur durch eine zu glühende Phantasie unterjochten Verstande. Eine langjährige Gemütskrankheit, in der sie sich für die Jungfrau Maria und ihren Sohn für den Weltheiland hielt, endigte 1804 ihr Leben. Ihr Tod hatte Wernern auf das heftigste erschüttert; er schrieb damals an einen Freund: »Die Gottheit schlägt mit einem eisernen Hammer an unser Herz, und wir sind mehr als Stein, wenn wir das nicht fühlen, toller als toll, wenn wir uns nicht schämen, uns vor dem Allgewaltigen in den Staub werfen, unsre ganze, so höchst miserable Persönlichkeit zu vernichten, in dem Gefühle seiner unendlichen Größe und Langmut.« – Auch bewahrte er ihr Andenken mit rührender Treue bis zu seinem Tode, und ihr Bildnis mußte mit ihm in den Sarg gelegt werden.

Unter ihren Augen hatte Werner in seiner Vaterstadt die Rechte studiert, und begleitete dann mehrere Jahre hindurch[804] das Amt eines Kammersekretärs bei der k. pr. Domänen-Kammer zu Warschau, wo er sich mit Mnioch und Hitzig befreundete und mit seinem Landsmann und ehemaligen Schulkameraden, dem bekannten Dichter Hoffmann, wieder zusammentraf. Seine im J. 1805 erfolgte Versetzung als Geheimer Sekretär nach Berlin aber führte ihn endlich in die größere literarische Welt ein; durch den Ruf, den ihm seine »Söhne des Tales« erworben, kam er dort mit Fichte, Johannes v. Müller, A.W. Schlegel, Alexander v. Humboldt und andern Koryphäen der neuen Bildung in persönliche Berührung, während Iffland die eben Vollendete »Weihe der Kraft«, selbst die Rolle des Luthers übernehmend, mit lebhaftem Interesse auf die königliche Bühne brachte.

Im Verlauf dieser wenigen Jahre hatte inzwischen Werner bereits drei Ehen ebenso frevelhaft-leichtsinnig geschlossen als gelöst. Die letzte wurde bald nach seiner Ankunft in Berlin mit beiderseitiger Zustimmung getrennt, weil – wie er an Hitzig schrieb – von dem jungen Weibe, das er übrigens bis zu seinem Lebensende innig liebte und verehrte, nicht mehr mit Recht zu fordern sei, daß sie mit ihm glücklich leben solle. »Ich bin wohl«, sagt er, »kein böser Mensch, aber ein Schwächling in vieler Rücksicht (denn Gott stärkt mich auch in mancher), ängstlich, launenhaft, geizig, unreinlich; Du weißt's ja! Immer in meinen Phantasien, in Geschäften; hier nun vollends, in Komödien, in Gesellschaften, hatte sie mit mir keine Freuden. Sie ist unschuldig! Auch ich bin es vielleicht; denn kann ich dafür, daß ich so bin?«

Bald darauf aber stürzte die preußische Monarchie äußerlich zusammen, um sich innerlich zu besinnen und kräftiger wieder aufzubauen. Die übermütige französische Wirtschaft verleidete ihm den fernern Aufenthalt in Berlin. Seine drei Ehen waren kinderlos geblieben, ein kleines, von der Mutter ererbtes Kapital sicherte ihm notdürftig eine unabhängige Stellung; und so entsagte er im J. 1807 seinem Amte und folgte der angeborenen Wanderlust, die Schweiz, Frankreich und Deutschland nach allen Richtungen durchstreifend. Auf diesen Fahrten sind es vorzüglich drei Begegnisse, die ihn leuchtend und erwärmend berührten: die persönliche Bekanntschaft Goethes, »dieses universellsten und klarsten Mannes seiner Zeit«, den er bis zum Tode als seinen großen Meister anerkannte. Sodann ein mehrmonatlicher Aufenthalt bei der[805] Frau von Staël auf ihrem Landsitze Coppet am Genfersee in dem Kreise geistreicher Freunde, unter denen er besonders A.W. Schlegel ehrend nennt. Und endlich die väterliche Freundschaft des Fürsten Primas von Dalberg, der ihm ein Jahrgehalt von 1000 Gulden zuwandte, welches ihm nach Dalbergs Tode vom Großherzog von Weimar fortgewährt wurde.

Den eigentlichen Wendepunkt seines Lebens aber bildet Rom, wo er im J. 1811 zum katholischen Glauben zurückkehrte. Nach einem fast vierjährigen Aufenthalte daselbst, den er zum Studium der Theologie benutzte, verließ er Italien für immer, trat in das Kle rikal-Seminar zu Aschaffenburg und empfing dort am 16. Juli 1814 die priesterlichen Weihen. Seitdem lebte er, ohne bestimmte Anstellung, mit geringen Unterbrechungen in Wien treu und ausschließlich seinem geistlichen Berufe bis zu seinem im J. 1823 erfolgten Tode.

Es ist vielleicht kein Romantiker im Leben und noch im Grabe so unverständig oder boshaft verunglimpft worden als Werner. Der Grund liegt wohl darin, daß man ihn meist einseitig bloß vom ästhetischen Standpunkte aus beurteilt, während bei Werners Individualität seine poetische Bedeutung durchaus nur in beständiger Beziehung auf seine religiösen Intentionen gewürdigt werden kann, diese aber vielen völlig fremd oder verhaßt sind und deshalb leichthin als konfuser Mystizismus abgefertigt werden. Es lohnt daher wohl der Mühe, die Akten, auf welche seine gewöhnliche Verdammung sich begründen will, noch einmal treu und gewissenhaft zu prüfen.

In Werners innerem Leben, das aus seinen eignen, unumwundenen Geständnissen in Briefen und Gedichten offen vor uns liegt, begegnen uns allerdings fast schreckhaft zwei scheinbar unversöhnliche Erscheinungen: eine glühende, oft ans Gemeine, ja Verruchte streifende Sinnlichkeit neben einem tiefen religiösen Gefühl; und dieser Gegensatz und seine versuchte Lösung ist der eigentliche Kern und Inhalt seiner Poesie, die daher durchweg etwas Tragisches hat; ein unausgesetztes Ringen mit wilder irdischer Leidenschaft und Weltlust, der er frühzeitig verfallen, gleichsam ein schwarzes und ein weißes Roß dicht nebeneinander gespannt, die ihn immer weiter nach dem Abgrunde fortrissen, vor dem ihm graut. Dieser zerrissene Zustand spiegelt sich, unter vielen andern Gedichten, in seinem »Rheinfall bei Schaffhausen«:[806]


»Rasselnd Gewässer, was rasest du? – ›Fort!‹ –

Wohin? – ›Nach dort, sonder Rast, mit Qual,

Ins brennende Tal! Es rasselt uns nach;

Uns jagt zum Brautgelag brausende, sausende

Grauslust, zu schwelgen an Bräutigams Brust.‹ –

Es ist euch bewußt, ihr kosenden, wogenden

Silberne Bogen umwälzende Jungfraun,

Mein seliges Graun! Ach könnt ich mich sammeln

Und stammeln, und lallen, durchs mächtige Schallen

Der Wässer, von allen Gefühlen das eine:

Warum ich, im Scheine der wallenden, fließenden,

Froh sich ergießenden, feurigen Fluten,

Die Gluten der freudigen Tränen jetzt weine! –

›In dir sind wir dein, wir schliefen

In Tiefen von dir sonder Reuen, die Treuen!

Doch erschreckt, und geweckt durch die Pein deiner Sünden

Entzünden wir uns in dem Abgrund; und ringen

Und dringen, mit Klingen, durch weinende Schuld,

Zum Heiland, der wieder uns finden, umwinden,

Entsünden uns wird; drum wir jauchzen und schrein,

Den Bräutigam zu weihn; drum wir rauschen und ringen,

Zu schlingen von außen und innen ihn ein!‹ –

Rasselnde, träumende Töchter vom ewigen Schaum,

Nehmt mich mit aus dem Raum, aus der Arbeit der Zeit,

In die Ewigkeit! – ›Was heischest du?‹ – Ruh!

Und sie lachen dazu.«


Auf diesen seinen Gemütszustand werden wir jedoch weiter unten noch einmal zurückkommen und wollen hier vorläufig nur bemerken, daß seine Schriften sich von aller Mitschuld rein gehalten; da ist keine Spur von Lüsternheit, von Beschönigung oder ästhetischem Hätscheln der Sünde; der Teufel wird überall bei seinem rechten Namen genannt, ganz im Gegensatze von Wieland, der sittlich lebte und lüderlich schrieb. Sehr natürlich. Denn neben diesen Ausschweifungen sagten wir, geht durch Werners Leben und Dichten vom Anbeginn bis zum Ende der feurige Faden eines durch alle Verwandlungen immer mächtiger wachsenden religiösen Gefühls, und zwar nicht etwa als poetisches Motiv und Beiwerk, sondern als der Ernst und die Seele des Ganzen. In seinen Jünglingsgedichten zwar bis zum J. 1790 stimmt auch er in den[807] rationalistischen Jargon seiner Zeit noch mit ein und singt Von Aberglauben, Frömmelei, heiliger Dummheit und Jesuiterei; doch auch damals widerstrebend, ringend:


»Wie auf Wogen Wogen sich erheben,

Türmen Zweifel jetzt auf Zweifel sich,

Hoffnung winket – Zweifel widerstreben,

Ich vergehe – Vater – rette mich!«


Unterdes aber hatten Novalis, Schlegel und Tieck schon ihr Tagewerk rüstig begonnen und, wie in der bessern Jugend überhaupt, auch in Werner aus der Ferne die schlummernden Kräfte zum Bewußtsein gebracht, der nun plötzlich auf dem angeborenen Boden steht, um ihn nie wieder zu verlassen. Er erkannte nämlich sogleich das religiöse Element der Romantik als ihre eigentliche Bedeutung und die Förderung dieses Elements als seine Lebensaufgabe dabei. Die Poesie hatte ihm von jetzt ab nur Gültigkeit, insofern sie, mit Religion und echter Liebe eine »Dreieinigkeit« bildend, für die letzten Zwecke der Menschheit wirkt, die höher sind als alle Poesie, wo durch das allen Egoismus vernichtende Gefühl die Moral Notwendigkeit und der Verstand Anschauung wird. »Kunst und Religion« – schreibt er 1802 an seine Freunde – »sollen, meiner Meinung nach, das Herz, wie ein Gefäß, durch Anschauen des Schönen und des Universums, nur reinigen, so weit, daß es für die höheren Wahrheiten der Moral empfänglich ist; nicht dem Herzen diese Wahrheiten selbst eintrichtern. – Nun sind aber die Herzen der Alltagsmenschen kalt; sie müssen also durch Bilder des Übersinnlichen erst entflammt werden, wenn ich so sagen soll, wie ein irdenes Gefäß ausgeglüht, ehe die reine Milch der Moral in sie gegossen werden kann. Das ist mein kurzes Glaubensbekenntnis über Kunst, die mir selbst nicht flüchtiges Amüsement, sondern Leiterin durch das Leben geworden ist. – Wer ist Künstler? – der, welcher durch ein Chaos von Regeln, Studien, Rücksichten und was weiß ich alles eingezwängt, die er doch, er sei noch so genialisch, nicht überspringen kann, in Worten, Tönen, Farben das Geringste nachzuklimpern sucht, was der gewöhnliche Religiöse in Minuten der Weihe empfindet; oder derjenige, der sich und sein Inneres, wie eine Äolsharfe, dem schönen Sausen der harmonischen Schöpfung darbietet und sich von ihm durchströmen läßt? O nur diese Luftströme sind die verdünnte Lebensluft,[808] die dem Kranken von seinem höchsten Arzte gereicht wird zum Labsal. – Der sogenannte Dichter ist nichts, ist weniger als der Schreiber oder der Kanzellist, wenn er sich damit begnügt, in schön gestochenen Silben seinen Nebenmenschen zu amüsieren. Der Geist des Ganzen macht es aus, der hohe, göttliche Geist, den der Dichter als Priester der Gottheit verbreiten soll in der Welt. – Ich kann Dir, so wahr Gott lebt, schwören, daß ich die Kunst bloß aus dem höheren Gesichtspunkte, insofern sie uns Ahnungen der Gottheit gibt, betrachte und daß es mir nicht darum zu tun ist, Bücher zu schreiben und einen flüchtigen Beifall zu gewinnen; sondern darum, wenn auch nur wenige Gemüter für das Heilige zu gewinnen, was die Welt nicht kennt. Das ist, so wahr Gott lebt, nicht Affektation, sondern wirklicher Ernst.«

Bei solchem Ernste aber ist, wie er selbst hinzufügt, Proselytenmacherei sehr natürlich; wie der einzelne Dichter ein Missionär in diesem Sinne, so sollten alle ausgezeichneten Geister eine Propaganda zur religiösen Erhebung der Menschheit bilden. »Ich versichere und beteuere Dir«, schreibt er 1803 an Hitzig, »daß ich alle poetische Lorbeerkronen für die Freude hingäbe, nicht etwa Stifter, bloß Mitglied einer echt religiösen Sekte zu sein, denn ich bin überzeugt, daß das die Hauptsache ist, warum es der Welt not tut, und daß alle Kunst nur Propyläen zu diesem Endzweck. – Was könnten zehn gefühlvolle, reine, begeisterte Jünglinge, zu einem Zwecke verbündet, mit der Welt in religiöser Hinsicht machen, wenn sie weniger schreiben und mehr tun wollten, und wenn es möglich wäre, noch junge Leute zu finden. – Daher tut es mir in der Seele weh, wenn ich die herrlichen Kräfte der neuen Menschen, des Schlegel, des Tieck, des Schleiermacher usw. verschwendet, den einen eine Komödie, den andern ein Journal, den dritten romantische Dichtungen, Sonetts und Gott weiß was liefern sehe, sie von großen Zwecken, wie die Franzosen von der Landung in England, prahlen höre und doch keine ernste Tendenz, keine verbundene Harmonie zu dem großen Ziele, keine Realisierung der göttlichen Idee einer geselligen Verbindung edler Freunde zum höchsten Zwecke erblicke, wie Schlegel sie im ersten Heft seiner Europa so schön andeutet. Alles poetische Andeuten von hohen Verbindungen, anbrechender Morgenröte usw. kann nichts helfen; geben muß man der Welt, der jämmerlichen, von Gott entfremdeten[809] Welt das Beispiel einer solchen Verbindung, in Prosa, in Natura; sie mag Sekte, Orden, wie sie will, getauft werden, und kann ich zu einem solchen Zwecke mitwirken, so will ich gern meine poetische Feder, die mir nur dazu Vehikel ist, niederlegen auf ewig, dann erst werde ich sagen können, ich lebe!« – Und praktisch auf dieses einzige Ziel gewandt, bittet er daher Hitzig, darüber mit seinen Freunden in Berlin zu sprechen, insbesondere jene neuen Menschen aufzusuchen. »Assoziiere Dich ihnen bonis modis. Ist dieser oder jener ein Narr; tut nichts, wenn er nur echten Sinn hat für das, was dem Menschen not tut, und das ist: Verbindung einiger in solchem Sinne begabten Menschen zur Erwärmung der Menschheit. Vor allem sondiere diese Menschen, ob die in Schlegels Europa und sonst angedeutete Verbrüderung der Besseren zur Vergöttlichung der Menschheit eine poetische Floskel, mithin eine leere Gaskonade, oder etwas mehr ist, und sie wirklich glauben, daß auf die Menschheit durch mehreres literarisches Zeug, von dem man nicht weiß, von wannen es kommt und wohin es fährt, und was in Lesegesellschaften begraben wird, könne gewirkt werden? – Nein, mein Freund! Kunstwerke sind Vorarbeiten zu der neuen Religion, die der Menschheit gegeben werden muß; Bücher wirken in dieser Rücksicht wenig oder nichts. Wir brauchen Apostel (NB. in modernem Geschmack), die auf einen Zweck hinwirken, und Proselyten!«

Wer möchte hiernach zu behaupten wagen, daß es Wernern mit seinem Streben nach religiöser Wirksamkeit nicht Ernst gewesen? ein Ernst, der immer und überall ehrenwert ist und die Bürgschaft endlichen Gelingens schon in sich trägt. Allein die Bahn, die er damals anstrebte, war – wie späterhin von ihm selbst am kräftigsten anerkannt worden – eine grundfalsche, in ihrem Wesen von den gewöhnlichen religiösen Theorien seiner Zeit nur wenig verschieden; indem er, Poesie und Religion einander gleichstellend, beide nur als Mittel zur Erwärmung und Vorbereitung der Menschheit für ein vermeintlich höheres, über alle positive Religion hinausliegendes Ziel betrachtete. So rühmt er allerdings schon damals den Katholizismus nicht nur als das größte Meisterstück menschlicher Erfindungskraft, sondern auch, wenn er geläutert wird, als das beste unter den Erzeugnissen der Christusreligion, das allen übrigen christlichen und unchristlichen Religionsformen, für ein Zeitalter, welches den Sinn der schönen Griechheit auf[810] immer verloren, vorzuziehen sei. – Alles dies jedoch nur von jenem poetisch-reformatorischen Gesichtspunkte aus. »In dieser poetischen Hinsicht nämlich«, sagt er, »nehme ich nicht nur die Maçonnerie, sondern selbst manches von ihrer Geheimniskrämerei, ja sogar den jetzt aufs neue Mode werdenden Katholizismus, nicht als Glaubenssystem, sondern als eine wieder aufgegrabene mytologische Fundgrube, theoretisch und praktisch in Schutz.«

Alle diese Gedanken, Träume und Intentionen hat er vorzüglich in seinen »Söhnen des Tales« und deren zweitem Teil: »den Kreuzesbrüdern«, niedergelegt, an denen wir daher sein damaliges Glaubenssystem, wenn es so genannt werden darf, näher nachzuweisen versuchen wollen.

Der Ideengang in diesem Doppel-Drama ist wesentlich folgender: Es gibt eine höhere Erkenntnis als die positive christliche. Jene höhere Religion aber kann dem Volk, oder der Menschheit überhaupt nicht frommen, die das volle Licht noch nicht verträgt; sie muß vielmehr, bis die Menschheit reif geworden, immer nur die Geheimwissenschaft eines auserwählten Kreises von Begabteren bleiben. Ein solcher Kreis nun ist in dem Drama der Talbund, und sein Repräsentant der Erzbischof Wilhelm von Paris, und von diesem Bunde waren die Templer zu Verkündigern der heiligsten Wahrheiten für den christlichen Erdstrich ernannt worden. Allein der Tempelorden hatte seine Vollmacht überschritten und übereilt die ganze Wahrheit zu verbreiten gesucht; nicht dadurch überschritten, daß er nicht an den Versöhner glaubte, sondern daß er diesen Unglauben nicht heuchlerisch verbarg. »Und darin liegt es!« ruft daher der Erzbischof entrüstet aus,


»Sie sagen ihren Bübchen ohne Bart,

Daß der nicht Gott ist, der's für uns sein soll. –

Das ist doch dumm – nicht wahr?

– – Sonst nichts als dumm. – –

Wo ist ein beßrer Glaube für die Menschheit?

Vernichtet ist der Mensch, wenn nicht zum Leben

Mit Adlerflug das Ideal ihn reißt.

– – Wer hieß den Toren Wahrheit

Auf Dächern pred'gen! – –

Sind jene Templer, was sie pred'gen,

Sind sie vermögend, ohne Ideal[811]

Das Angesicht der Gottheit anzuschaun;

Warum entzogen sie die Decke Mosis

Den ungeübten Augen ihrer Jünger?«


Um dieser unklugen Profanierung willen allein also wird vom Talbunde, der wie ein unbeugsames Fatum über dem Ganzen waltet, der Tempelorden gestürzt und mit der erledigten Vollmacht der Rest desselben (die Kreuzesbrüder) belohnt, um, mittelst der Maurerei, aus den Trümmern des Protestantismus einen idealisierten oder, wie er es nennt, geläuterten Katholizismus aufzubauen. »Nur unter dem Glockenklang der Religion«, sagt er, »und dem Harfenspiel der Kunst, kann der Bund gedeihen, der auf den Tempelbund gepfropft ist und dessen Charakteristikon es ist, daß seinen wahren Bekenner ewiges Leben umduftet. Die Tendenz meines Stückes ist, dadurch, daß ich ihm die in seinem Wesen begründete Verschmelzung mit Religion und Kunst anschaulich mache, ihn von einer gewissen humanen Kälte abzuleiten, die an sich löblich, aber nur für wenige höhere Geister gemacht und schlechterdings unvereinbar ist mit einer auf Enthusiasmus gegründeten Verbindung vieler.« – Ist aber solche Kautel schon bei einem Bunde Auserwählter nötig, um wie viel weniger wird dann jene an sich löbliche, humane Kälte für die Gesamtheit taugen! »Denn« – sagt einer der Ältesten des Talbundes:


»Was dir der Glaube an dein Ideal,

Das ist dem Volk sein Heiland und sein Fetisch.

Man kann ihm alles nehmen, nur nicht das,

Am wenigsten, wenn man's ihm nicht vergütet. – –

Und alles dieses führt dich auf den Grund,

Warum wir jedes Volkes Glauben ehren;

Warum wir Klosterbrüder hier, am Ganges

Brahminen sind; warum wir diesen Tropfen,

Der, selbstgetrübt, den Urquell widerspiegelt,

Nur zu verklären suchen, nicht verwischen;

Und – da der Mensch es einmal nicht vermag,

Die Gottheit ohne Mittler anzuschauen –

Warum wir, durch Messias oder Prometheus,

Durch Horus, Wischnu, Eros, Thor und Christus,

Dem staubbedeckten Geiste Flügel liehn,

Um sich zu seinem Urquell aufzuschwingen.«[812]


Wem fiele hier nicht Voß' Sprüchlein ein:


»Der Kelt', der Griech, der Hottentott

Verehren kindlich einen Gott!«


Nur mit dem moralischen Unterschiede, daß Voß, gleich den Templern, mit seiner Weisheit ehrlich herausplatzt, während hier der exklusive Talbund wissentlich und wider seine Überzeugung die liebe Dummheit mit Täuschungen hinhalten will. – Man sieht, die ganze Sache würde auch hier so ziemlich auf den gewöhnlichsten Rationalismus hinauslaufen, wenn sie nicht, durch ihre abnormen Sympathien für die Romantik, eine gewisse mystische Färbung erhielte. Denn fragen wir nun endlich genauer nach diesem sogenannten geläuterten Katholizismus oder vielmehr nach jenem höheren Ziele einer vom Katholizismus nur zu vermittelnden neuen Religion, so sehen wir die pantheistischen Phantasien, welche bei Novalis gleichsam ein kräftig in sich selber arbeitender Wein nur als ephemere Luftblasen emportrieb, bei Werner schon als besondere, entschiedene Richtung sich selbständig ausbilden. Auch Werner findet zwar, wie wir oben bemerkt, Trost und Rettung einzig in Kunst und Religion, erkennt aber in der letztern nur das lebendige Gefühl der großen Naturnähe und das unbefangene Ergießen einer reinen Seele in dieses reine, unendliche Meer, in dem er, ohne nach persönlicher Unsterblichkeit mehr viel zu fragen, sich baden, auflösen und verfließen möchte. Und dieses Aufgehen des einzelnen in der allgemeinen Weltseele ist denn auch das Hauptthema seines Dramas und das Ziel des dort dargestellten Talbundes. So sagt der Alte des Bundes von dem gereinigten Sünder:


»Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen;

Es schwand der Wahn, zu werden ein und etwas;

Sein Wesen war ins große All zerronnen,

Und wie ein Säuseln kühlt' es ihn von oben,

Daß ihm das Herz vor Lust zerspringen wollte.«


Und die Bildsäule der Sphinx singt:


»Phosphoros und Wort und Heiland,

Mehr noch, alles bist du selber,

Wenn du alles bist, nicht etwas!«[813]


Durch dieses Allwerden aber wird der Mensch, und so auch hier der Talbund, »allmächtig, wie der Ausfluß Gottes, wenn er sich selbst versteht, es immer ist«. Denn:


»Ist wohl das große Schicksal

Der Völker etwas mehr als das Erzeugnis

Des bloßen Menschenwillens? – Kann der Mensch,

Der einzelne, die ungeheure Masse

Der sittlichen Natur nicht lenken?«


Und so wird denn auch der Schotte Robert erst dann in den Bund aufgenommen, als er die persönliche Unsterblichkeit mit den Worten wegwirft:


»Die krüpplichte Unsterblichkeit – nicht wahr? –

Die unser eignes, jämmerliches Ich,

So dumm und kläglich, so mit allem Unrat

Nur fortspinnt ins Unendliche – nicht wahr? –

Auch sie muß sterben? – unser schales Selbst –

Wir sind in Ewigkeit nicht dran genagelt?

Wir können es, wir müssen es verlieren,

Um einst in aller Kraft zu schwelgen!«


Die alte Kirche ist nur der Ursprung, die Mutter des Tales, welcher die mündig gewordenen Söhne nunmehr über den Kopf gewachsen. Denn der ganze Weltball wird jetzt eine große Kirche,


»Die Erde wird ein Sakrament des Fleisches,

Das Meer ein Sakrament des heil'gen Blutes. –

So findet ihr, was euch mit Gott vereine,

In der Natur gebildet überall,

Und keinen Punkt, wo er nicht widerscheine –

Zum Mittler könnt ihr auch den Staub erheben.«


Demungeachtet gibt es dabei doch noch gar wunderliche Zeremonien mit Mänteln, Kreuzen und Dolchen; wir wissen nicht, ob dieselben etwa der Maurerei entnommen sind; uns Uneingeweihte aber gemahnt diese Liturgie des Talbundes häufig an den albernen Theaterspuk in der Zauberflöte.

Derselbe Gedankenzug geht durch das fast durch aus symbolische Drama: »Die Weihe der Kraft«, welche oft auch Licht genannt wird, das aber wiederum nur das Licht der eigenen[814] Menschenkraft ist. Auch hier finden wir die Vereinigung von Reinheit (Elisabeth), Kunst (Theobald) und Glauben (Therese) zu einem »Mysterium dreieiniger Liebe«. Allein diese Liebe (Katharina von Bora) ist, trotz allem christlichen Gerede, doch eine bloß ästhetische. Katharina will sich selbst ihren eigenen Heiland schaffen,


»Der mir gehört, und doch im Geisterreich

Versöhnend herrsche, aller und doch mein auch,

Den möcht ich fassen, mir ihn selbst gestalten.«


Die heilige Jungfrau zeigt ihn ihr einmal im Traume:


»Jesus war's nicht ganz,

Und Luther auch nicht – und ein Heiland doch –

Ein Heiland – nicht am Kreuz, auch nicht ein Knabe;

Ein göttlich schöner Jüngling –

So (wie Apollo) ungefähr – so sah der Heiland aus.«


Drauf erblickt sie plötzlich Luthern, dem sie eben geflucht hat, ruft: »Mein Urbild!« und – »betet fortan zu ihm.« –

In solch ein wesenloses Labyrinth hatte der Dichter sich und seine Poesie verstrickt, als er im Jahre 1809 die Reise nach Italien antrat, die den Wendepunkt seines Lebens bildet. Sein Ruhm war durch jene Dramen begründet, und er durfte – das wußte er recht wohl – nur so fortfahren, um sich den Beifall der damals in der Literatur herrschenden Partei zu sichern, ja diese selbst zu beherrschen. Daß ihn aber demungeachtet mitten in diesem glänzenden Treiben allmählich ein moralischer Ekel davor überkam, daß er jene Dichtungen als bloße Studien hinter sich warf, bezeugt die Wahrhaftigkeit seines religiösen Gefühls, dem es um die Sache, und nicht um schöne Formen, zu tun war. Die Sage erzählt von dem getreuen Eckart, wie er, aus dem zauberischen Venusberg zum Tageslicht zurückgekommen, noch geblendet und von den nachtönenden Wunderklängen verlockt, gen Rom pilgert, um den Frevel zu sühnen; und wie er dann in glänzender Rüstung sich vor den Zauberberg gestellt, jedem Schuldlosen, den das süße Weh bezwungen, warnend den Eingang zu wehren. Einen solchen, fast märchenhaften Eindruck macht von jetzt ab Werners Erscheinung, und es ist belehrend, ihm auf seiner Pilgerfahrt in die gleichsam neuentdeckte Welt zu folgen, die nun mit jedem Schritte, Strahl auf Strahl, verwandelnd auf ihn eindringt.[815]

Bei der Ausfahrt, über Berg und Tal, verfolgen ihn noch immer rastlos die Erinnerungen an die verlorene Jugend, die Erinnyen der Sünde:


»Von des balt'schen Meeres dürrem Strande

Wallt zur Stadt des Herrn ein Pilgersmann;

Ihn verwies aus seinem Vaterlande

Ein verdienter, aber schwerer Bann!

Und von Land zu Land

Jagt ihn dessen Hand,

Dem er zu entfliehn vergebens rann!« –


»– Und weiter, und freud'ger erschleußt sich das Tal,

Still folget dem Pilger die treue Qual! –

Und höher und höher steigt er heran,

Und die Qual, die getreue, die lächelt ihn an.

Im Tale ziehn Gatten mit ihren Kleinen.

Und die Qual, die starre, hebt an zu weinen!

Da beut dem Pilger das schirmende Dach

Die Bergburg – ein zieht er, die Qual ihm nach!«


Noch verzagt er schüchtern an der inneren Umkehr. So sagt er beim Eintritt in Italien:


»Ihr kommt zu spät, ihr ewig jungen Lauben;

Ach hätt ich früher euer Grün geschauet,

Als noch des Lebens Morgen mir gegrauet!

Ich kann nicht leben mehr! – ich kann nur glauben. –

Und doch – o daß ich, ewig junge Lauben,

Nicht früher euer duftend Grün geschauet!

Es ist zu spät! – der düstre Abend grauet!

Ich kann nicht leben mehr – werd ich noch glauben?«


Aber schon kommt, je weiter er schreitet, der Trost der Wehmut über ihn, und der starre Schmerz wird milder:


»Wir kennen längst uns, Tränen; denn wo ich hin mag ziehn,

Wie ich in frohem Mut euch immer möcht entfliehn;

Doch seid ihr als Gesellen, als Engel guter Art,

Stets, Tränen, treu mir blieben auf meiner Pilgerfahrt.


Nicht wie ihr unten träufelt, ein schaumerfüllter Raub,

Nein, wie ihr perlend blicket auf Blüten und auf Laub,

Entquillt ihr meinen Augen; nicht wie ich sonst geweint,

Nicht Schaum, der stäubt, verstäubet – zu Perlen schon gereint.«[816]


Da, plötzlich Rom von fern erblickend, sinkt er betend nieder:


»Leih mir, Morgenröte, deine Schöne,

Deinen ersten Strahl, erstandne Sonne

Brautnacht, deine Schau'r, Gebet, dein Schauen,

Ihr Symbole höchster Liebeswonne,

Leiht euch mir anstatt der armen Töne,

Auszusprühn mein freudiges Vertrauen:

Daß auf diesen Auen,

Wo der Thron der Herrlichkeit gegründet,

Ich, der auch zur Herrlichkeit erkoren,

Sie durch Schuld und Schwäche hat verloren,

Wieder neu der reinen Kraft verbündet,

Rettung find aus dem Gewühl der Zeit,

Die auch mir vererbte Göttlichkeit. –

– Mut fühl ich, die ganze Welt zu lieben,

Glut, mich selbst als Kunstwerk zu beginnen,

Gier zum Kampf, wie Helden Gottes rangen!

›Fleuch!‹ ruf ich zum bangen

Schmerz. – Entschüttelnd mich dem Nebeltraume,

Will in schöner Erd ich Wurzel schlagen,

Mich der Zeder anzuranken wagen,

Die den Wipfel schirmt vom Lorbeerbaum! –

Rom, da thront es! – Über Petrus' Grab

Strahlt vom Petersdom des Glaubens Stab!«


Und er hielt endlich Wort. Nicht, daß er, innerlich ausgewechselt, seinem eigensten Wesen untreu geworden wäre: seine ursprüngliche Lebensaufgabe vielmehr blieb dieselbe, aber diese Aufgabe formulierte sich fortan bestimmter und strenger. Das feige Aufgeben der Persönlichkeit, die gleichsam vor sich selber in ein unbekanntes All flüchten wollte, wurde zur besonnenen, heiligenden Entsagung der Sünde, das nebelhafte All zum persönlichen Gott, der erdichtete Talbund zur wahrhaftigen Kirche; und derselbe Trieb religiöser Wirksamkeit, der ahnend jenen Bund geträumt, machte den Dichter endlich zum Priester, um die Wahrheiten der wiedergefundenen Kirche zu verkünden. Ja, noch im Jahre 1810 war es sein sehnlichster Wunsch, einen religiösen Verein zu gründen, wobei ihm jedoch jetzt eine Klosterstiftung vorzuschweben schien.

Doch wenn wir im obigen Werners Verirrungen zu beleuchten versucht, so ist es gerecht und zur Herstellung des [817] ganzen Bildes unerläßlich, ebenso getreu und unbefangen nun auch Ziel und Streben aus seinen letzteren Lebensjahren näher nachzuweisen. Auch hier sind es, wie gesagt, wiederum seine religiösen Überzeugungen, die alles beseelen und erklären; und so scheint es angemessen, vorweg sein neues Glaubensbekenntnis, wie es sich namentlich aus vielfachen Stellen seiner Predigten ergibt, in wenige Worte zusammenzufassen.

Der Glaube ist ihm nämlich eine übernatürliche Gabe Gottes, oder vielmehr eine von Gott eingegossene Tugend, wodurch man alles fest und ungezweifelt für wahr hält, was Gott geoffenbaret hat und was die katholische Kirche, durch welche Er sich offenbart, zu glauben vorstellt, es sei geschrieben oder nicht. Dieser Glaube ist allen Menschen gegeben; eine Tugend aber ist er, weil er frei ist, d.h. weil der Mensch ihm widerstreben kann und die freie Wahl zwischen Seligkeit und Verdammnis hat. Er muß ferner kindlich und vernünftig sein, indem wir die uns anerschaffenen intellektuellen Grenzen und mithin die Notwendigkeit anerkennen, unsere Vernunft zu beugen und Gott unterzuordnen; wenn aber eine solche Selbstbescheidung vernünftig ist, so wird auch dieses Opfer, welches wir Gott darbringen, vernünftig sein. – Der Glaube muß endlich mit Liebe zu dem persönlichen Gott und dem Erlöser vereinigt sein; denn der Teufel glaubt auch an Gott, vielleicht viel fester und stärker als die Christen, aber mit Wut ohne Liebe. – Hoffart und Sinnlichkeit sind die Haupthindernisse des Glaubens. Ohne Glauben aber ist nichts. Furcht Gottes ohne Glauben ist Lüge, denn man muß erst an Gott glauben, ehe man ihn fürchten kann. Hoffnung ohne Glauben ist Torheit, man muß ja wissen, was man zu hoffen hat. Liebe ohne Glauben kann gar nicht sein; was soll ich denn lieben als Gott, und den muß ich eben erst kennenlernen durch den Glauben. Ebenso aber ist ein bloßer müßiger Glaube nichts, ohne innere Heiligung:


»Zagen sollt ihr, nicht verzagen,

Sollt bereun und bessertun,

Aber tun, das heißt entsagen,

Bessres wird die Gnade tun;

Glauben, Kindlein, und nicht fragen

Sollt ihr, ruhen nicht, und tun!«


Mit Feuereifer bekämpft er daher den Glauben der Vielfältigen, die gar vieles, aber nicht alles in einem sehen. »Sie lesen«,[818] sagt er, »im Katechismus von den Geboten Gottes und denen der Kirche. Eins gefällt ihnen, dieses mißfällt ihnen; diejenigen, die ihnen gefallen, befolgen sie manchmal; diejenigen, die ihnen mißfallen, unterlassen und verwerfen sie und glauben so, dem lieben Gott eine wächserne Nase zu machen, die sie drehen können, wie sie wollen. Ja! sie wissen manche Gebote recht gut auszulegen, wissen, daß Jesus die Ehebrecherin nicht verdammt, sondern begnadiget hat. Sie glauben, daß Gott gnädig ist, sie machen ihn nur noch gnädiger, als er ist, so daß sie ihm seine Gerechtigkeit gänzlich rauben. Sie glauben, daß er barmherzig ist, denn sie glauben, er vergibt alles, sie glauben an keine Strafe. Sie glauben, daß Gott höchst selig ist. Sie glauben an die ewige Seligkeit; darnach streben sie ja, sie wollen die ewige Seligkeit. Gott suchen sie nicht, Gott verlangen sie nicht, aber die ewige Seligkeit. Sie wollen hier schwelgen und darauflossündigen, dann wollen sie sich bequemen im Augenblick zu sterben und dann in die ewige Herrlichkeit eingehen, in ihre Herrlichkeit, wollen dann auch in der Wollust forttaumeln. Diese Vielfältigen wollen die Seligkeit, aber suchen nicht den, durch den sie sie allein erwerben können. Sie wollen ihren Stolz nicht unterdrücken, ihr Fleisch nicht bändigen, ihre Sinnlichkeit nicht ersticken.« – Von der erstarrten Selbstgenüge und Verstockung gegen den Glauben aber sagt er:


»Es gibt keinen Gott!

Es gibt keinen Teufel!

So rast der Verruchte

Mit frevelndem Mut.

Mein Sein ist mein Blut,

Ich hab, was ich suchte;

Drum kommen mir Zweifel,

So glaub ich dem Spott!


Mein Gott ist die Pflicht!

Die bändigt die Triebe.

So frevelt der Unsinn,

Sich selber gerecht.

Was macht mich zum Knecht?

Nur das, was ich nicht bin;

Dahin führt mich Liebe,

Drum ist sie ja schlecht.[819]


So glaub ich an mich! –

Doch Glauben ziemt Narren,

Mir ist ja das Wissen

Von manchem geglückt. –

Doch macht's mich verrückt,

Das Höchste zu missen! –

Nun mag ich erstarren,

Mein Gott das bin ich!« –


In seinen »Geistlichen Übungen für drei Tage« endlich faßt er gleichsam noch einmal seinen ganzen inneren Lebensgang: von der Sünde und Hoffart zum Glauben, vom Glauben zum Schauen, in mehreren Liedergebeten zusammen, und schließt seine Gedichtsammlung mit einem Meßhymnus »Eucharistie« in bezug auf Raffaels Disputa.

Dies alles sowie das oben aus seinen Predigten Angeführte ist allerdings nichts anderes, als was die Kir che lehrt; es schien uns aber nicht überflüssig, eben auf diese Übereinstimmung seiner letzten Überzeugungen mit der Kirche ausdrücklich hinzudeuten, da sich in neuerer Zeit oft die Meinung geltend machen wollte, als habe er auch noch als Priester einen Katholizismus auf seine Weise angestrebt.

Wie ernst und tief er vielmehr namentlich die Bedeutung des Priestertums ganz im Sinne der Kirche auffaßte, bezeugt u.a. sein Gedicht auf den Tod seines väterlichen Freundes Hofbauer. Dort heißt es:


»Freilich ist die Schlacht, die blut'ge,

Gegen unser Wagstück Spiel nur

Freilich, wär es Helden kundig,

Was wir wagen, sie erblichen;

Freilich ist des Herren Urteil,

Ach, ein Abgrund undurchdringlich,

Über welchen wir Berufne

Ziehn, auf schlaffem Haarseil, schwindlig.«


Denn was den andern zum Segen, wird dem Priester zur Verdammnis, wenn er das heilige Mysterium mit unlautrem Herzen verwaltet. Wie töricht daher, wenn der religiöse Pöbel, dem zuliebe der Priester täglich seine Seele wagt, diesem noch Spott für Dank bietet,[820]


»Ganz vergessend, daß das Blut nur

Jesu, welches dir auch fließet,

Pöbel, unser Tun entschuldigt,

Daß wir dir, dem niedern, dienen!«


Doch dieser Spott kann das Wesen des Priestertums nicht versehren; und so mag er denn immerhin die Priester verfolgen, nur das gesunde, glaubenskräftige Volk soll er ungeirrt lassen.


»Und wir wollen ferner ruhig

Deine Wut und unsre Pflichten,

Diese tun und jene dulden,

Beides heiter, beides willig. –

Was die schlechten und die guten

Priester anbetrifft, wir bieten

Beide preis sie deinem Unfug!

Sind wir schlecht, nun so verdienen

Wir ja dein Besudeln, Schmutz'ger,

Trifft's doch nicht, so schlau du zielest,

Was, auch wenn wir schlecht, durch uns tut;

Sind wir gut, so ist es billig,

Daß dein Tadel, der uns ruhmwert,

Weil er kommt von dir, Geringer,

Leucht an unserm Priesterschmucke.

Mit uns also kann dein Wille,

Wenn du welchen hast, sich tummeln!

Nur das Volk, das große, biedre,

Laß dir, Pöbel, nicht gemuten,

Daß du etwa wollest wieder

Hin es gaukeln in den dunkeln

Morast, wo du flackerst, Irrwisch! –

Du, den Pöbel ich nur ungern

Nannte, du, auch mein geliebter,

Wenngleich noch verirrter Bruder!

Lieb uns doch, wie wir dich lieben;

Ach, wär dir die Liebe kund nur,

Alles ließest du und liebtest!

Komm ans Herz mir, nicht um unsert–,

Deinetwegen lerne lieben?«


Der hochgesinnten Jugend aber, die, wenngleich den Priesterstand noch verkennend, doch voll edlen Unmuts das Nichtige und Niedrige haßt:[821]


»Euch, noch nicht Geweihten, bieten

Wir Geweihten drum den Gruß an,

Handschlag und was sonst ist Sitte

Sich zu bieten Lieb und Gutes

Unter ehrenhaften Rittern,

Die, wenn auch verschiedner Zunge

Zum gelobten Lande ziehen. –

Drum, du Trupp, der auf uns unwirsch,

Weil wir, sagst du, viel erfinden,

Du erfindest, wir nur fanden,

Dir: Gefundnes suche, riet ich! –«


Denn eine Angst und Unruh geht durch alle Kreatur, die auch im Gebiete der Wissenschaft stets nur nach Erlösung durstig, und diesen unauslöschlichen Durst löscht nur die Theologie, die Liebeskunde:


»Die des Wissens reiner Ursprung,

Weil aus Liebe quillt das Wissen,

Die der weisen Antwort Kunst ist,

Wenn Philosophie, das Kindlein

Der Vernunft oft ungeduldig

Zerrt an seinen Fragewindeln. –

Die Geschichte, die bewußt sich

Ihres Ursprungs, ihres Zieles;

Der bewußt ist, was bedurfte

Aller Völker trostlos Ringen,

Ringend, ob bewußt, bewußtlos,

Schuldig, schuldlos, wahrhaft, irrend,

Immer nur nach Jesu Blute!

Sie, der Wissenschaften tiefste,

Die, wenn alle stolpern, mutig

Klimmet, festen, sichern Schrittes,

Die, wenn alle wanken, wurzelt

In der Herzen tiefstem Innern,

Die, wenn all' erliegen, und nun

Auch die Herzen ausgewimmert

Bald schon haben, noch im Sturme

Sie ersteigt dann, das Panier noch

Auf sie pflanzend des Triumphes;

Die Geschichte, hieroglyphisch

Eingeätzt dem Wesenrunde,

Die Geschichte der Geschichten.«[822]


Aber ist es gleich ein Weg, den alle ziehen müssen, so hat doch jeder seinen eigenen Fußsteig, der ihn und nur ihn hinführt und den allerdings jeder auf seine Weise suchen kann und soll. Ebenso entschieden weist daher der Dichter die träge oder feige Scheu der Dunkelmänner und Überkirchlichen vor der Wissenschaft zurück:


»Wähnst du, daß nur beten Priester?

Nein, das Gold muß aus den Gruben!

Also betend arbeit, bitt ich. – –

Item gibt vom Adler Kundschaft

Uns der heil'ge Augustinus,

Daß der alte Aar sein Junges

Packt im Neste mit der spitz'gen

Klaue, und alsdann es schnurgrad

In die Sonne hält am Mittag;

Wann das Adlerchen dann zucket

Auch nur etwas mit den Wimpern,

Wirft's der Alte fort – 's ist unecht!

Aber wer ins Ohr mir wispern

Wollte, daß ein frommer, junger,

Künft'ger Höllenüberwinder

Immer nur die Augen furchtsam,

(Als sei Furcht was Priesterliches)

Schließen müßte, wer das Dunkle

Preisen wollte mir als Lichtweg: –

Solch ein Wisper kommt mir unrecht!«


Nur im Mißbrauch also, in der Überhebung, die im Ungrund den Urgrund, durch Schein das Ursein finden will, liegt das Unrecht; und darum betet er:


»Gib uns Verstand, den göttlichen von oben.

Der, wenn von wilder Wogen Wut umwoben

Der Kahn, ihn, wie wenn sanft die Welle gleitet,

Zum Hafen leitet.


Gib Wissenschaft zu wissen, daß das Wissen

Von dem Gewissen nicht kann abgerissen,

Daß es im Liebesbrennpunkt schon auf Erden

Vereint muß werden.


Und daß den Anfang wir ans Ende bringen,

So gib uns, heil'ger Geist, vor allen Dingen[823]

Der Weisheit Anfang: Furcht des Herrn! Das Ende

Dann du vollende! –«


Es konnte nicht fehlen, dieser innerliche Umschwung mußte auch seine Auffassung von Kunst und Poesie modifizieren. Die ursprüngliche Grundansicht zwar bleibt, wie die Kraft des religiösen Gefühls, auf der sie ruhte, dieselbe. Auch jetzt nämlich gilt ihm die Kunst nur als Mittel zu einem höheren Zwecke; sie soll die Menschheit durch Reflexe des verschleierten ewigen Lichts, welches das profane Auge noch nicht unmittelbar ertragen würde, mit der Gnadensonne versöhnen; der Künstler soll, als ein Friedensstifter, Gott in der Natur umfassen, um den alten Zwist von Sein und Schein zu einen. – Aber das Endziel dieser Vermittlung ist hiernach nun ein anderes geworden; nicht mehr die Selbstverherrlichung des eignen Lichts, um selbst Gott zu werden, sondern eine positive, christliche Erlösung, nach welcher alle Kreaturenunruh dürstet:


»Altmeister, sprecht! Wieviel ist Euer eigen? –

Sie sehn empor, verneigen sich und schweigen. –«


Und anderswo:


»Poesis fliegt keck zum Urlicht,

Doch von Wachs sind ihre Schwingen;

Sie muß, wo das Alleluja

Tönet, stürzen oder hinknien!«


Denn in aller Kunst erkennt er jetzt nur eine prophetische Gottesgabe, die von allem Anfang her ahnend auf Christus hin und zurück gedeutet. In dieser höheren Beziehung erscheinen ihm daher auch Poesie, Religion und Philosophie innerlich versöhnt und selbst die alten Dichter und Denker in den heiligen Kreis mit aufgenommen. So, sagt er, ließ Raffael in seinen Stanzen


»Zu jenen, die der Reue heil'ge Klagen

Im Anschaun hauchen aus und stillen Beten,

Zu den Gereinten treten

Das reine Leben, das nicht darf bereuen,

Pindar, Anakreon, Petrark, die linde

Laura und Dante, Gott im Blick, der blinde

Homer und Moses, wes sie sich erfreuen;

Es sind die Grazien, die bekränzt den Reinen,

Verschleiert uns Gefallenen erscheinen.«[824]


Und aus der Vorwelt Schachten ließ Raffael die Gestalten steigen


»Der Weisen, welche zieh'nd die Himmelsleiter

Des Denkens, Vorbereiter

Vom Glauben waren und vom sel'gen Schaun,

Pythagoras versenkt in Göttersprüche,

Der Liebesheld Sokrat, der königliche

Zoroaster, Archimed, die Welt zu bauen

Gebückt, und, zeigend auf der Weisheit Quelle,

Der hohe Platon an des Tempels Schwelle.« –


Wir hörten einst einen hocherleuchteten, gottesfürchtigen Mann den Wein als Heiltrank treuer, strebsamer Seelen preisen, weil er, alle niederen Sorgen brechend, solche Seelen aus der weltlichen Rumpelkammer von Rücksichten und lässiger Gleichgültigkeit freudig zu Gott emporhebt. So ungefähr erschien auch Wernern jetzt die Poesie, und er nahm sie daher kräftig in Schutz gegen das Achselzucken einer übelverstandenen Frömmigkeit. Der bevorzugte Sieger freilich, der, keiner Schwinge mehr bedürfend, die Niederungen schon überflogen, mag immerhin des Musenspieles lächeln;


»Und mit Recht! Wem Sphärenmusik

Tönt, dem niedre Tonkunst widert!

Doch nicht wag es niedre Dumpfheit

Zu verlästern Sang und Dichtung;

Nur der Adler, nicht der Kuckuck

Darf der Nachtigall gebieten,

Daß ihr Hochgesang verstumme,

Um zum Höchsten sich zu schwingen.«


Ebenso entschieden aber wandte er sich daher jetzt auch gegen jene halbmütigen, modern-christlichen Dichterlinge, denen es nur um eine katholisierende Romantik zu tun war:


»Als tücht'ge Christen sollt ihr euch betragen,

Doch nicht im süßen Liebestrieb euch strecken,

Denn Christi Sänger waren nimmer Gecken;

Am Glauben muß Vernunft empor auch ragen! –


O Gott, Du weißt, und ich weiß mein Gebrechen!

Ich habe selber viel und schwer gesündigt,

Ich kann den Stab nicht über andre brechen;[825]


Doch sagen darf ich's frei und unverhohlen,

Daß, eh Dein Wort in Deutschland wird verkündigt,

Alfanzerei der Teufel erst muß holen!«


Und als solche, wenngleich stets gutgemeinte, Alfanzerei wirft er nun auch seine eigne frühere Poesie mit hinterdrein:


»Lüge war's, was ich zu singen

Wagte, daß es Liebe sei,

Macht von meiner Hölle Schlingen,

Euch von mir Verführte frei!«


Symbolisch legt er daher seine, von Dalberg ihm verehrte, goldene Schreibfeder, als ein Hauptwerkzeug seiner Verirrungen, seiner Sünden und seiner Reue in die Schatzkammer der heiligen Mutter Gottes zu Maria-Zell nieder und bittet Gott, ihn Seelen gewinnen und das »greuelvolle, durch seine Schreibereien veranlaßte Skandal« doch nur etwas wieder gut machen zu lassen:


»Laß dem Tode nicht zum Raube

Mich in die Verwesung gehn,

Bis das Bild, an das ich glaube,

Ich im Volk mach auferstehn! –

Laß mich Dich dem Volk verkünden,

Das der Sünden Nacht umflicht,

Mich, den Sünder, laß entzünden

Dein die Sünde sühnend Licht!«


Und er ging rüstig an das neue Tagewerk, für sich und andre. Immer ernster, tiefer, dringender werden seine Warnungen und seine Mahnung, daß Jugend, Mut und Verlangen dem Menschen zum ewigen Leben gegeben sind, aber auch zum Keime des Todes, wenn er sie nicht benutzt, um Zeit und Ewigkeit, die erst durch den Sündenfall zerklüftet worden, wieder zu vereinen. Darum ruft er:


»Du liebe Zeit! so laßt uns lieber sagen;

Denn wüßten wir, was an der Zeit gelegen,

Wir sprächen nie von ungelegner Zeit.

Die Brücke Zeit, noch ist sie aufgeschlagen;

Sie bricht! es braust dem Säumigen entgegen

Das Meer der ungelegnen Ewigkeit!«[826]


Aber die eigne Menschenkraft, ohne die Gnade, vermag es nimmermehr:


»Sein Wille hat befohlen? –

Er lügt! – Es sind die Glieder, die befehlen!

Sein Kopf, sein Herz, Gott weiß was sonst noch, reißen

Ihn hierher, dorthin! Das soll Wille heißen!? –

Gerechter Gott, wie wir Dir Worte stehlen!

Wärst Du nicht unser Vormund, Stab und Leiter,

Wir kämen ja mit keinem Schritte weiter.


Prahlhansen, kleine, wenn ihr's wagt zu wollen,

Lernt erst, womit die großen Hansen prahlen,

Daß sie: Gott sei uns Sündern gnädig! beten.

Wie leicht ist es, mit Worten zu bezahlen!

Doch wenn herein der Prüfung Stunden rollen,

Wo, was wir mühsam uns zusammenkneten,

Das Wort ins Fleisch soll treten;

Der Wille aus sich nur als Tat soll sprechen;

Was wir mit Recht als Menschenerbteil preisen;

Die Allmacht sich als solche soll beweisen:

Dann kann dem Besten auch der Mut gebrechen!

Der Gott in uns, dann fühlt er seine Schranken,

Und hat er keinen Stab, so muß er wanken!«


Nur eins daher tut not:


»Ein fünffach tun: die Schuld bereuen,

Die Sünde fliehn und beten,

Büßen und leiden mit Geduld. –

Dazu hat Jesus uns vereint,

Das hält uns auch zusammen,

Ob's blitzet, ob die Sonne scheint,

Beides sind Gottes Flammen. –


Ob eng auch sein siderisch Haus

Wohl jeden ein mag klammern,

Und keiner aus sich kann heraus,

Mag noch so viel er hammern;

Sobald nur, der die Sterne dreht,

Mir, wann ich will, im Herzen steht,

Was soll ich da noch jammern!« –[827]


Man würde indes sehr irren, wenn man durch diese beschauliche Richtung den Dichter isoliert und der Welt entfremdet wähnte. Es ist eben das Eigentümliche solcher den ganzen Menschen erneuenden Überzeugung, daß sie, wie das Sonnenlicht, alles, was in ihren Kreis kommt, mit dem neuen Glanze berührt und erwärmend zu durchdringen sucht. Und so sehen wir auch Wernern in seinen Liedern und Tagebüchern aus jener Zeit von den Begebenheiten des Befreiungskriegs mächtig erschüttert1, in seiner Treue gegen die alten Freunde, in der Liebe zur Kunst, in seiner Verehrung für Goethe unverändert und insbesondere seinem fernen Vaterlande immerdar liebend zugewandt; ja, diese Liebe war es, die ihm in Italien keine Ruhe ließ und ihn endlich wieder seinem Deutschland und der Kanzel zuführte. So ruft er in Rom aus:


»Sieh mal den Rhein, was das ein rüst'ger Junge!

Zieht er von Köln, so rührsam, tüchtig; munter

Winkt ihm der greise Dom ein: Gott gesegne!

Drum, Tiber, jag mich nicht ins Grab hinunter,

Daß meinem Rhein ich noch einmal begegne,

Und meinem Volke sing mit Flammenzunge!«


Und in der Zueignung seines Schauspiels von der heiligen Kaiserin Cunegunde fleht er zu der Heiligen:


»Dein Beten half mir singen,

Hilf auch dem Volk mir bringen

Trotz Teufel deutsche Treu!

Des Sängers Freud und Wehmut

Leite das Volk zur Demut,

Daß alte Zeit sei neu!« –


Das alles spricht für sich. Schwerlich wird daher jemand, ohne selbst zu heucheln, den Dichter der Heuchelei beschuldigen wollen. Demungeachtet hat die frivole Lust am Gemeinen häufig die Verdächtigung versucht, als sei Werner aus weltlichen Rücksichten zur Kirche zurückgekehrt und Priester geworden; eine Verdächtigung, die zu der Heuchelei noch niederen Eigennutz hinzufügt. Es wiederholt sich hier im[828] kleinen nur das alte Kunststück einer gewissen Partei, die Tatsachen zu ignorieren oder zu beugen, um aus aller Geschichte ein Pamphlet nach ihrem Sinne zu machen. Wir meinen wenigstens durch obige Darstellung jedem Unbefangenen so viel klargemacht zu haben, daß bei Werner der Glaube wirklich eine Tugend war, an der er redlich und unablässig fortbildete und die ihn daher endlich, ohne alle äußere Veranlassung, zu dem Ziele führen mußte, an dem wir ihn zuletzt erblicken. Überdies ist aber auch eine solche äußere Veranlassung zu jener gehässigen Annahme nirgend aufzufinden. Not oder Gewinnsucht konnte es nicht sein. Denn die von seiner Mutter ererbte Summe hatte Werner, wie aus seinem Testament ersichtlich, sich bis zu seinem Lebensende fast ungeschmälert bewahrt. Auch die Pension, die er von Dalberg bezog, wurde ihm, bevor er noch an die Rückkehr zur Kirche dachte, zugewendet und später von dem akatholischen Großherzog von Weimar fortgezahlt. Eine kirchliche Anstellung also bedurfte er nicht und hat sie auch nie gesucht, weder in Rom noch in Wien, was er vernünftigerweise nicht unterlassen hätte, wenn ihn etwa nach höheren hierarchischen Würden gelüstete. Hatte er aber den Ehrgeiz, ein Heiliger zu werden, so wollen wir dergleichen Ehrgeiz allen Weltkindern aus vollem Herzen wünschen und empfohlen haben!

Er selbst äußert sich über diesen Gegenstand auf eine Weise, die niemand verkennen wird, der mit der rücksichtslosen Aufrichtigkeit seiner sonstigen Selbstbekenntnisse nur einigermaßen vertraut ist. »Eben weil ich« – sagt er im Jahre 1819 – »die Qual langen, lebenslänglichen, ehrlichen, jedoch vergebenen Suchens aus eigener schmerzhafter Erfahrung kenne, so bin ich von allem Parteihasse gegen edle Sucher, welch Glaubens und Volks sie auch sein mögen, aufs weiteste entfernt. Ich nehme vielmehr, selbst mit Rücksicht auf meine priesterliche Würde, gar keinen Anstand, laut zu bekennen, daß mir edle, rastlose Sucher des Wahren, die noch nicht dorthin gelangt sind, wo das Gefundene (nicht Erfundene, noch zu Erfindende) alles fernere Suchen zur Torheit, alles Finden zum Lohne der Entsagung macht, zwar, insofern sie das ewig nur zu Findende noch erst erfinden wollen, je edler sie sind, um so bedauernswürdiger, aber auch insofern sie aus ganzer Seele und mit reinem Herzen suchen, nicht nur unendlich schätzbarer, sondern sogar dem Ziele näher erscheinen als die[829] vielen der gegenwärtigen Zeit, die das unverdiente und nie zu verdienende unschätzbare Glück, im Kreise des ewig und einzig Wahren, im katholischen Glauben nämlich, geboren zu sein, gedankenlos verkennend, dieses göttliche Kleinod bald gemütlos verbilden, bald gefühllos vergeuden! – Meine mir ewig teueren Freunde werden mir mithin wohl glauben, daß ich immer noch derselbe harmlose Mensch bin, als welchen mich jeder kennt, der mich kennt, und daß ich niemals aufhören werde, nach dem Willen und der Tatkraft (welche zum Guten vereint, man, mit Rücksicht auf ihren Ursprung, im christlichen Sinne Gnade nennt) Vernunft und Verstand als die höchsten Gaben des Menschen zu schätzen. – Ich darf mit Recht hoffen, kein Unparteiischer, Unterrichteter und Vernünftiger werde es mir bei so bewandten Umständen in Abrede stellen, daß ich durch mein dermaliges sehr ernstes, dem Zwecke nach erhabenes und im tieferen Sinne, aber auch nur in ihm, allerdings nicht lohnloses, freiwilliges Wirken, bloß die Ernte des Ewigen, nicht die von zeitlichen Rosen oder Lorbeern beabsichtigen könne. Ich hoffe daher und, weil ein ehrlicher Mann dem andern aufs Wort glaubt, auch bei meinesgleichen Glauben zu finden, wenn ich mein mir teuerwertes Wort hierdurch für folgende ungeschminkte Tatsachen verbürge. Es ist kein irdisches Interesse, noch eine mir vielfältig angelogene Nebenabsicht (deren jede ich tief verachte) im Spiel bei meinem dermaligen ernstesten, höchsten und reinsten Streben; ich opfere demselben freiwillig (das darf ich mit menschlichem Schmerze zwar, aber auch mit mir aus höherer Quelle zugeflossener Ergebung sagen) nicht nur Gesundheit, Heimat und zeitlichen Ruhm und – als wehrlose Zielscheibe jedes Lügners – selbst die mir stets teuere Achtung meiner Freunde vielleicht; ja ich bringe ihm sogar das schmerzhafteste Opfer, ›die lebenslängliche freundliche Gewohnheit meines Daseins und Wirkens‹, mein dichterisches Saitenspiel dar, zu welchem ich gegenwärtig in Jahren kaum einige Stunden mir abstehlen kann und das, in so seltsamen Fugen es auch erklungen sein mag, doch, wo es den Grund des Heiligen und Deutschlands Ehre galt, nie einen Mißlaut ertönt hat.«

Mit diesen ernsten Worten, welche recht eigentlich Werners ganzes Wesen und Streben umfassen und abschließen, könnten auch wir hier schließen und hätten, streng genommen,[830] kein Recht, über seine Schriften hinaus seine Persönlichkeit, die nur Gott richtet, zum Gegenstande öffentlicher Besprechung zu machen. Allein er selbst in seinen Schriften hat sich auf diesen Boden gestellt. Wo immer wir seine Gedichte aufschlagen, fast überall finden wir harte Selbstanklagen, die von seinen Gegnern, oder vielmehr von den Gegnern seiner Rückkehr zur Kirche, emsig ausgebeutet worden, um die vermeintliche Ohnmacht dieser Kirche nachzuweisen, indem sie ihn selbst als einen verlorenen Mann der Nachwelt überliefern. – Es ist wahr, er selbst sagt:


»Ich weiß es, Herr (o werd ich's einst vergessen?),

Daß wert ich bin, im Abgrund zu versinken,

Den ich mir grub; die Wellen, die dort blinken,

Sind Mutterzähren, die ich aus tat pressen;


Dieweil den Taumelbecher ich vermessen

Geziert, zur letzten Neige auszutrinken,

Sind die Sirenen, die noch manchem winken,

Mir jetzt Harpyien, die am Mark mir fressen!«


Ja, er bekennt ferner:


»Selbst in der sieben Hügel Schoß

War das Gelüst mein Taggenoß,

Mein Nachtgesell das Grauen!


Gehetzt, der alten Sünde treu,

Von Reu zur Gier, von Gier zur Reu,

Selbst auf den heil'gen Bergen

Hab ich gesündigt freventlich;

Entwürdigt hab ich Rom und mich,

Das will ich nicht verbergen.«


Aber wir fragen: Wird denn seine Sündhaftigkeit darum schwärzer, weil er sie nirgend weißzubrennen sucht, sondern herzhaft eingesteht und verachtet? Oder gilt hier etwa, wie vor den weltlichen Behörden, das freche Leugnen als ein juristisches Kunststück, um den Richter zu täuschen? Wo, fragen wir, hat es ein Dichter jemals mit seinen Jugendsünden so schmerzlich ernst genommen als Werner? Die heutigen Poeten machen sich's freilich leichter und lachen über solchen Aberglauben – wir aber vermögen es nicht. Uns vielmehr will jenes Grauen vor der Sünde, jene Reue selbst schon als[831] eine moralische Kraft und die Umkehr des Dichters, je tiefer er versunken war, nur um so bedeutungsvoller und wunderbarer erscheinen. Daß aber diese Umkehr, und zwar in und durch Rom, eine totale und entschiedene war, wird keinem Unbefangenen zweifelhaft bleiben. Schlagt seine Tagebücher auf, die nie für den Druck bestimmt waren; da plaudert er anfangs, in der Schweiz und auf der Reise, noch von seinen heimlichen Sünden, wie von Essen, Trinken, Theater und anderen Dingen eben, gleichgültig, ja mit frivoler Lust. Bei seinem Eintritt in Rom aber ist es zunächst, als stutzte er innerlichst vor den Schauern der Vergänglichkeit und Ewigkeit, die dort über dem Grabe einer untergegangenen Welt sich mahnend begegnen; die Stimmung wird allmählich ernster, tiefer, siegesfreudiger, die Sündenbekenntnisse werden immer seltener und verstummen endlich ganz, die Sünde wird zum Ringen mit der Versuchung, das unruhige Suchen zum Finden, die Tage beginnen und enden mit Gebet. Das Ganze macht unverkennbar den Eindruck eines unverhofft Genesenden; und haben wir ihm früher das Schlechte aufs Wort geglaubt, warum sollten wir ihm nicht ebenso glauben, wenn er jetzt von Rom sagt:


»Und als ich schier erlag trostlosen Schmerzen,

(Den Schmerzen, die verdammen, statt zu segnen!)

Als mir verbargen sich die Himmelskerzen,

Die Tränen selbst mir nicht mehr wollten regnen,

Und als allein ich stand mit meinem Herzen,

Allein! – (es möge keinem das begegnen!) –

Da kam, als ich mich kaum noch konnte regen,

Die Hohe mir mit Huld und Trost entgegen!« –


»Und preisen werd ich mein Geschick

Und segnen jeden Augenblick,

Wo ich an Petrus' Grabe,

Der, wie die Bibel tut Bericht,

Gesunken, doch versunken nicht,

Zuerst gebetet habe!


Da ließ der Herr den Blitz erglühn:

›Nur der Entsagung wird verziehn!‹

Sprach Gott im Blitzesflimmer!

– – – – –

Und ich entsagt für immer![832]


Was dorten mir ward kundgetan,

Künd ich, will's Gott, wohl einmal an

Durch Wort und Blick den Brüdern;

Denn was der Herr uns kundig macht,

Das wandelt in des Busens Nacht,

Und singt sich nicht in Liedern.«


Sein im J. 1823 erfolgter Tod endlich war ein friedliches Einschlummern und die Trauer und Teilnahme, die er erregte, eine allgemeine und herzliche; beides nicht wohl denkbar, wenn er dem Wiener Volke das ärgerliche Schauspiel eines sittenlosen oder auch nur zweideutigen Priesters gegeben hätte. Eine unmittelbar nach seinem Hinscheiden in Wien erschienene kleine Schrift sagt hierüber: »Seine liebste Beschäftigung (während seiner letzten Krankheit) war das Gebet, und wenn er eben, was oft stundenlang geschah, sich vorbeten ließ, vermochte weder ein Besuch noch irgendein anderer Gegenstand ihn hierin zu stören. So heiter war und blieb dabei sein Geist, daß er, obgleich von Todesschwäche niedergedrückt und unfähig irgendeiner Labung oder Erquickung, dennoch Witz und Laune genug übrigbehielt, um mit manchem Scherze die Herrschaft seines Geistes über alles leibliche Elend und, was unendlich mehr ist, die Gnade zu beurkunden, womit der Herr und Vater der Erbarmungen seine Seele bekräftigte, daß sie mit Zuversicht der starken, christlichen Hoffnung, festiglich vertrauend auf die Huld und Macht des göttlichen Erlösers, für dessen Namen und Glorie er seinen letzten Lebenshauch angewendet, in demütiger und stiller Sanftmut dem Augenblick des Scheidens entgegensah. – Vornehme und Niedere, Feingebildete und Menschen aus gemeineren Klassen, drängten sich hinzu, um dankbar die erkalteten Hände zu küssen, ja nicht durch dieses Benehmen bloß, sondern mit lauten Worten auch vor allen Anwesenden freimütig zu bekennen, daß sie durch ihn wieder auf den Weg des Heils und zur Erkenntnis der Wahrheit geleitet worden seien.«

Das ist eine flammende Grabschrift, die alles eitle Gerede von Phantasterei, Jesuiterei usw. verzehrt und um die mancher Dichter in der letzten Stunde ihn beneiden möchte. – Werners Leben war sonach, wie wir klargemacht zu haben glauben, bis an sein Ende ein unausgesetzter Fortschritt in sittlicher und religiöser Beziehung. Er ist hierin mit Friedrich Schlegel zu[833] vergleichen, indem beide die Romantik ernst und konsequent in sich durchgelebt; aber darin sind beide wieder ganz verschieden, daß Werner, bei allem seinem Streben nach praktischer Wirksamkeit, dennoch die Romantik fast ausschließlich nur auf sich selbst bezog, während Schlegel, mit bei weitem höherer Kraft begabt, sie auch objektiv in Kunst, Religion und Wissenschaft verklärend einführte, also ihre eigentliche Bestimmung unvergleichlich vollständiger erfüllte.

Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke. Bd. 3, München 1970 ff., S. 804-834.
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