Die Flucht der Heiligen Familie

[294] Länger fallen schon die Schatten,

Durch die kühle Abendluft,

Waldwärts über stille Matten

Schreitet Joseph von der Kluft,

Führt den Esel treu am Zügel;

Linde Lüfte fächeln kaum,

's sind der Engel leise Flügel,

Die das Kindlein sieht im Traum,

Und Maria schauet nieder

Auf das Kind voll Lust und Leid,

Singt im Herzen Wiegenlieder

In der stillen Einsamkeit.

Die Johanneswürmchen kreisen

Emsig leuchtend übern Weg,

Wollen der Mutter Gottes weisen

Durch die Wildnis jeden Steg,

Und durchs Gras geht süßes Schaudern,

Streift es ihres Mantels Saum;

Bächlein auch läßt jetzt sein Plaudern

Und die Wälder flüstern kaum,

Daß sie nicht die Flucht verraten.

Und das Kindlein hob die Hand,

Da sie ihm so Liebes taten,

Segnete das stille Land,

Daß die Erd mit Blumen, Bäumen

Fernerhin in Ewigkeit

Nächtlich muß vom Himmel träumen –

O gebenedeite Zeit![294]


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 294-295.
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