Mythus vom ersten Bruder Liederlich

[138] Unweit von dem Paradies,

Wo sich Adam niederließ,

Hat's auch Eva unternommen

Und ist zwofach niederkommen.


Höflich riefen alle Leut:

Welche große Aehnlichkeit!

Der ist ganz der alte Adam,

Und der Blonde ganz die Madam!


Und von diesem Zwillingspaar

Hieß der Jüngre Abel zwar,

Weil er brav versprach zu werden

Unter Schaf- und sonst so Heerden.


Kain ward zu seiner Schand

Gleich der Rothkopf zubenannt,

Denn an seiner Stirne mächtig

Trug ein Mal er sehr verdächtig.
[138]

Das verursacht stillen Gram,

Adam, als er wahr es nahm,

Und ihm schwante wenig Gutes,

Von dem Setzling seines Blutes.


Aber Eva, seine Frau,

Nahm es nicht so sehr genau,

Ließ den Knab im Wald sich tummeln

Bei den Käfern und den Hummeln.


Langsam wurden Beide groß,

Und der Kain sittenlos.

Aber schüchtern auf den Nabel

Sah sich stets der sanfte Abel.


Als die Hosen und der Wamms

Waren nun verwachsen ganz,

Schickt der Adam, dieser Sünder,

An die Arbeit seine Kinder.


Abel dünkte sich ein Graf,

Als er hüten durft' die Schaf'!

Kain schätzte sich ein König,

Als er jägdeln durft' ein wenig.


Nach vollbrachtem Tagewerk,

Haben sie sich dann gestärkt,

Und behaglich in Pantoffeln

Aßen sie zu Nacht Kartoffeln.


Als die Mahlzeit war zu End',

Wuschen sie die langen Händ',

Haben sich die Pfeif' gestopfet

Und ein Thier am Berg geopfert.
[139]

Während in den Himmel hoch,

Abels Opfer rauchte, kroch

Kain's Rauch hinab zur Höllen,

Das verdroß den Waidgesellen.


Darum eines Abends spat

Grübelt er auf Uebelthat;

Als der Abel goß den Lattich,

Stellt sich Kain hin wo's schattig.


Seht, er richtet seine Flint'

Auf das Bruderherz geschwind,

Ernst, besorg ich, will er machen,

Kain, was seyn das für Sachen!


Hoffentlich drückt er nicht los!

Nein, das ist gewissenlos!

Das ist nicht blos unvorsichtig,

Das ist schändlich, niederzichtig!!


Adam, als er wahr es nahm,

Stößt ihm auf der alte Gram,

Stürzt herbei mit seiner Gattin

Und versetzt: o Gott, es hat ihn!


Hilfe, liebe Nachbarsleut!

Was ist unserm Abel heut?

Solches kann ich nicht kapiren,

Weiß ihn Keiner zu kuriren?


Immer steht noch Alles dumm

Um den armen Abel 'rum,

Plötzlich fängt man an zu wissen,

Daß ein Sterbfall eingerissen.
[140]

Kain spürt der Reue Fluch

Ueber dieser Treue Bruch,

Und das belfernde Gewissen

Hätt ihn beinah todtgebissen.


Adam aber kommt und sagt:

Hab ich es doch gleich gedacht!

Thut das Haar ihm rückwärts streichen

Und entblößt des Kains Zeichen.


Kain wie die Pestilenz

Flieht erschreckt die Landesgrenz,

Um sich auswärts unter Beben,

In den Ehstand zu begeben.


Weiter sagt die Weltgeschicht',

Kain wurde liederlich,

Und sein Samen schwerlich feiner,

Die Freischärler und Zigeuner.

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Lyrische Karrikaturen, Lahr 1869, S. 138-141.
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