Matthis-sonate

[3] Am fernen Hügelpärchen

Stirbt Phöbus' ros'ger Strahl,

Und duftend wie ein Märchen

Verschleiert sich das Thal;

Es läuten Heerdenglocken

Wie Abschied von der Welt,

Und auf den Zwielichtsocken

Schleicht Pan jetzt über's Feld.


Der Espe Baumschlag pispert,

Im Mondenglanz gebleicht,[3]

Wo vom Geröhr umwispert

Das Lied der Zirpchen schweigt;

Es schlürft ein Turteltäubchen

Im Abzugsrinnkanal,

Und selbst das Wieselweibchen

Verzehrt sein Abendmahl.


Des Baches munt're Stelze

Hüpft über Kies und Schurf,

Und in dem Sommerpelze

Stolziert der Mäulerwurf;

Hoch ragen in die Landschaft

Die Triften sanft im Saum,

Indessen aus dem Sand schafft

Sich die Ameise kaum.


Der Glühwurm mag beneiden

Irrwischchen über'm Teich,

Drin reiche Trauerweiden

Sich baden wehmuthweich.

Stechmücke, Wespe, Spinne,

Libelle und Scorpion,

Verauscht von Abendminne,

Lauscht der Cascade Ton.


Am eppichlosen Pfosten

Ruht unbequem der Pflug,

In braunen Scheunen rosten

Bethauter Schaufeln g'nug.

Es irrt an meine Scheitel

Die flederhafte Maus,

Um Alles, weil es eitel,

Bricht mir das Wasser aus.


Süß hauchen Veilchenraine

Von Flieder übertäubt,[4]

Dagegen sich vom Haine

Der Lege Düften sträubt;

Im Weihmutstannenwipfel

Girrt zephyrhafter Wind,

Und mit dem Schnupftuchzipfel

Wischt sich die Nas' ein Kind.


Auf seichtem Wellentanze

Grüßt Luna eignen Harm,

Und an dem Faselschwanze

Summt wilder Bremsenschwarm.

Um meine Schläfe flechten

Schilflilien sich des Teichs,

Wo holde Nymphen rechten

Mit Faunen des Gesträuchs.


Dort liegt ein Ziegenschäfer

In Träumen auf dem Moos,

Und vierzig Maienkäfer

Entsurren seinem Schooß.

O wunderschöner Abend,

Der heute Abend ist,

Und du, zur Mühle trabend,

O Esel, sei gegrüßt!

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Lyrische Karrikaturen, Lahr 1869, S. 3-5.
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