Vierter Auftritt.

[108] Vorige. Der Oberst. Welldorf. Madame Welldorf.


DER OBERST im Heraustreten. Er verläugnet sich nicht. Er ist noch ganz, der er war. Man kann ihm den äussersten Ernst zeigen, und er bleibt ruhig bei seinem Vorsatze, bei seinem Trotze.

LUISE entgegenfliehend. Mein Vater –

DER OBERST. Kleider her! Kleider, Madame!

MADAME WELLDORF. Ich beschwöre Sie aber –

DER OBERST. Um was? Was können Sie wollen? – Er soll doch nicht etwa fort, wie er da ist; soll doch nicht, bei so einer Witterung, in so einem Zustande – –

MADAME WELLDORF. Aber eben um dieses Zustandes, eben um seiner tödtlichen[109] Hinfälligkeit willen! Wie ist es ihm möglich –?

DER OBERST. Das fragen Sie ihn, und nicht mich! Er muss es doch möglich finden, weil er's so will. Er sieht ja die Mittel, sich zu retten, vor seinen Augen; wer heisst ihm, sie von sich stossen? – Ist's denn nicht schon zu viel, dass ich noch jetzt ihm die Wahl lasse? noch jetzt eine Unterschrift annehmen will, die schon vor Monaten hätte geschehen sollen? Ist das der Gnade, der Nachsicht nicht schon zu viel? – Ich weiss am besten, was ich dabei wage, wie sehr ich verantwortlich werde. Aber er mag sich niedersetzen, und seinen Namen schreiben. Vor mir hat er dann guten Frieden. Ich gab mein Wort.

WELLDORF. Sie verantwortlich, Herr Oberst? Um mich? – Und ich sollte Ihnen so Ihre Grossmuth lohnen? – Sie[110] sorgten so menschenfreundlich für meine Bedeckung, meine Erhaltung. – Zu Luisen. Geh, geh, mein Kind! Meine Kleider!

MADAME WELLDORF. Aber Welldorf! Um Gotteswillen! –

LUISE weinend. Mein Vater! – –

WELLDORF. Lasst doch! Macht mir den Abschied nicht schwer! – Ihr seht mich ja in den Händen der Vorsehung: sie lässt mich Mitleiden und Güte finden. – Meine Kleider, Luise!

DER OBERST zu Madame Welldorf. Hören Sie ihn? Ist das nun noch der Hinfällige von zuvor? Treibt er nicht selbst, um fortzukommen? – O, Sie dürfen für ihn nicht fürchten, Madame. Er ist weit stärker, als man's ihm ansieht. Ich kenn' ihn schon länger. Ich hab' ihn einst dastehn sehn, so matt und so dürftig, als ob er nur Eine Spanne von seinem Grabe stände; aber da er den Mund öffnete,[111] – ah! wie konnt' er da Stundenlang von Ehrenwort und von Gerechtigkeit reden! Mit einer Wortfülle, mit einem Strome! Man muss so etwas gehört haben, um es zu glauben. – – Aber fort nun! fort! Keinen Aufschub weiter! Ich schicke Wache, und die muss hier gemachte Arbeit finden. – – Mit erheuchelter Gutmüthigkeit ihm sanft auf die Schulter klopfend. Also an's Werk, guter Vater! An's Werk! Lass mich dir helfen! Indem er am Gewande des Arms zieht. Ich will selbst helfen; gerne!

WELLDORF taumelnd, mit hingestreckter Hand. Ich bin alt, und bin kraftlos –

EDUARD hervorstürzend, die eine Hand dem Obersten in der Brust, mit der andern den Degen haltend. Verdammter! –

WELLDORF aufschreiend. Mein Sohn! – Er will sich am Sessel halten, und taumelt ohnmächtig nieder.[112]

MADAME WELLDORF UND LUISE zugleich auf ihn zufahrend. Eduard! – Unglücklicher! – Mein Sohn! – Gott! – Nimmermehr! –

DER OBERST. Hinterhalt? Ha, was ist das?

MADAME WELLDORF ihm den bewafneten Arm haltend. Mein Sohn! – o um Gotteswillen! –

LUISE eben so. Mein Bruder!

MADAME WELLDORF. Lass ihn! Lass! Wir sind alle verloren.

EDUARD der ihn festhält. Ihn noch höhnen, Verdammter! Ihn, ihn anfallen, und misshandeln? – Vor meinen Augen?

DER OBERST losstrebend. Tollkühner! Rasender!

EDUARD. Einen Kranken, einen sterbenden Greis – meinen Vater – den mir im Angesichte – –

MADAME WELLDORF. Wo du es ausführst[113] – Eduard! – Gott ich halt' ihn nicht länger!

LUISE. Mein Bruder –

MADAME WELLDORF. Wir sind hin – wir sind gränzenlos elend. – Um unser selbst willen! Um deines Vaters Erhaltung willen! –

EDUARD ihn vor sich hinstossend. Hinaus mit dir, Elender! Fort! Deine todbleichen Wangen sind deine Rettung. – Aber steh nicht noch, um erst auszuzittern, oder du mögtest nie wieder zittern! – Ich will dich ihn anfassen, dich ihn wegschleppen lehren; – von seinem Todbette weg! – Ungeheuer von Bosheit! – Hinweg, sag' ich! Fort! Bei'm ersten Schritt gegen ihn hin, bohr' ich dich nieder. – – Das müsstest du mir thun, wenn du Herz dazu hättest; aber du bist ein Feiger; du hast's nicht. Thränen kannst du sehn, nur kein Blut![114]

LUISE. Mein Vater – Er liegt zur Erde nieder – Mein Vater –

MADAME WELLDORF. Hülfe! Hülfe!

EDUARD den Degen wegwerfend. Was ist ihm? – Grosser Gott! Was geschah hier?

LUISE. Er stirbt. Er stirbt.

EDUARD. Und du zauderst noch? stehst noch? Unglückliche! – Fort! fort! Lass den Arzt kommen! Lass ihn eilen, So schnell er kann! – Luise ab. Eduard hebt seinen Vater, mit Hülfe der Mutter, in einen Sessel. Wie geschah das? –

DER OBERST ausser sich, die Arme in einander gepresst. So ein Wahnsinniger – so ein Elender – Sich an mir vergreifen? an mir?

EDUARD gegen ihn hinstürzend; indem er das Seitengewehr wieder aufrafft. An dir! An dem Besten von Euch! – Was bin ich euch schuldig? Wer gab euch ein Recht[115] über mich? – Dass Ihr über mich herfielt, wie Meuchelmörder, und mir den Eid gegen mein Vaterland von der Seele presstet, gab das euch Recht über mich? Giebt Raub dem Räuber ein Recht?

DER OBERST mit dumpfer Stimme. Ha, ich gehe. – Du sollst nicht frohlocken. – Dein Leben!

EDUARD ihm bis zur Thüre nach. Das nimm mir! Das werf' ich mit Hohngelächter dir vor die Füsse. Das ist mir nichtswürdig, seit ich zu Euch gehöre!


Quelle:
J[ohann] J[akob] Engel: Eid und Pflicht. Berlin 1803, S. 108-116.
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