Lokomotive

[9] Da liegt das zwanzigmeterlange Tier,

Die Dampfmaschine,

Auf blankgeschliffener Schiene

Voll heißer Wut und sprungbereiter Gier –

Da lauert, liegt das langgestreckte Eisen-Biest –

Sieh da: wie Oel- und Wasserschweiß

Wie Lebensblut, gefährlich heiß

Ihm aus den Radgestängen: den offnen Weichen fließt.

Es liegt auf sechzehn roten Räder-Pranken,

Wie fiebernd, langgeduckt zum Sprunge

Und Fieberdampf stößt röchelnd aus den Flanken.

Es kocht und kocht die Röhrenlunge –

Den ganzen Rumpf die Feuerkraft durchzittert,

Er ächzt und siedet, zischt und hackt

Im hastigen Dampf- und Eisentakt, –

Dein Menschenwort wie nichts im Qualm zerflittert.

Das Schnauben wächst und wächst –

Du stummer Mensch erschreckst –

Du siehst die Wut aus allen Ritzen gähren –

Der Kesselröhren-Atemdampf

Ist hochgewühlt auf sechzehn Atmosphären:

Gewalt hat jetzt der heiße Krampf:

Das Biest es brüllt, das Biest es brüllt,

Der Führer ist in Dampf gehüllt –

Der Regulatorhebel steigt nach links:[10]

Der Eisen-Stier harrt dieses Winks!:

Nun bafft vom Rauchrohr Kraftgeschnauf:

Nun springt es auf! nun springt es auf!


Doch:


Ruhig gleiten und kreisen auf endloser Schiene

Die treibenden Räder hinaus auf dem blänkernden Band,

Gemessen und massig die kraftangefüllte Maschine,

Der schleppende, stampfende Rumpf hinterher –


Dahinter – ein dunkler – verschwimmender Punkt

Darüber – zerflatternder – Qualm –


Quelle:
Gerrit Engelke: Rhythmus des neuen Europa, Jena 1921, S. 9-11.
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