Der Anzug des Dichters

[141] Das Geld, das man bei sich trägt, hat man heutzutage in den Taschen des Anzugs; deshalb nennt man die Leute, welche einem dieses Geld stehlen, Taschendiebe. In früheren Zeiten trug man einen Beutel am Gürtel, in welchem man seine Barschaft verwahrte; die Diebe schnitten diesen Beutel mit scharfen Scheren ab und hießen deshalb damals Beutelschneider. Wie noch heute die Taschendiebe, arbeiten die Beutelschneider am liebsten im dichten Menschengedränge.

Zu der Zeit, wo unsere Geschichte spielt, hatten sich in Rom die Beutelschneider gerade sehr stark bemerkbar gemacht, und es war deshalb Befehl vom Heiligen Vater an die Polizei ergangen, ein besonderes Augenmerk auf sie zu haben. Wie unter allen Menschen, so gibt es auch unter den Polizisten kluge und dumme Leute; dumme Leute können ja überall schaden, besonders aber natürlich bei der Polizei; auf die folgende Art geschah es, daß ein dummer Polizist den armen Dichter um einen neuen Anzug brachte.

Der Dichter hatte ein Drama geschrieben, das der Direktor aufführen wollte. Wenn es Erfolg hatte, so wollte der Direktor ihm hundertundfünfzig Skudi bezahlen. Der Dichter wußte natürlich ebensogut wie der Direktor, daß der Direktor die hundertundfünfzig Skudi schuldig bleiben würde; aber es ist eben ein Unterschied zwischen Wissen und Glauben; er glaubte trotzdem, daß ihn der Direktor am Tage nach der Erstaufführung in sein Zimmer nehmen, die Tür abriegeln, ein sehr ernstes Gesicht machen und aus einer eisenbeschlagenen Kiste einen großen Geldsack ziehen würde, aus dem er ihm hundertundfünfzig neue, blanke Goldskudi auf den Tisch zählte.[142]

Nun war der Anzug des Dichters sehr alt und abgetragen. Er stammt noch aus seiner Jugendzeit, und war auf dem Dorf von einem tüchtigen und gründlichen Schneider gemacht, als ihn die Eltern auf die Universität schickten. Seine dreißig Jahre hatte der Anzug nun gehalten; aber jetzt waren die Ellbogen so gestopft, daß sie nicht weiter gestopft werden konnten, und die Kniee und Hosenböden waren schon so oft erneuert, daß nun die Flicken das morsche alte Zeug, in das sie gesetzt werden mußten, bei heftigen Bewegungen gänzlich zerrissen. So beschloß der Dichter denn, sich seinen Glauben zunutze zu machen und sich für die hundertundfünfzig Skudi einen neuen Anzug zu bestellen.

Er ging zu einem Schneider und trug dem die Sache vor. Der Schneider ist der Marchese, den wir ja schon kennen, der Schwiegervater Cinthios.

Der Marchese ist schlecht auf die Literatur zu sprechen. Er hatte einen Freund, der Dichter war, dem er lange Jahre Kredit gewährt hat; der Dichter besucht ihn, läßt sich von ihm erzählen, schenkt ihm dann auch Einlaßkarten für seine Stücke; wie der Marchese wieder einmal eine Einlaßkarte bekommt und in seinem schönsten Anzug im Theater steht, damit die Leute aufmerken, wenn er klatscht, da sieht er, wie der Dichter ihn selber auf die Bühne gebracht hat, wie er leibt und lebt. Das war ja nun wohl eine Ehre; aber wer wußte denn etwas davon? Der Marchese hat es vielen Leuten gesagt, aber keiner hat es ihm geglaubt; nämlich dieses Stück hat Seiner Heiligkeit so gefallen, daß Seine Heiligkeit dem Dichter daraufhin ein jährliches Gehalt von zehntausend Skudi ausgesetzt hat, und der Dichter ließ sich von jetzt an seine Anzüge nur noch in Paris machen, weil er doch nun seine Verpflichtungen hatte.

Aber trotz aller Enttäuschung hat der Marchese doch eine Anhänglichkeit für die Literatur behalten; er schüttelt bedächtig[143] den Kopf, überlegt, holt ein großes Stück schwarzen Samt vor; der Dichter erschrickt, er beteuert, daß er nur hundertundfünfzig Skudi bezahlen kann; der Marchese macht eine abwehrende Handbewegung und nimmt das Maß. Der Dichter schämt sich etwas, daß er so mager ist; er erzählt, daß er genug zu essen hat, übergenug; aber bei der Arbeit vergißt er Mittag und Abend; der Marchese nickt beistimmend, klopft ihm auf die Schenkel und sagt: »Hier fehlt es.« Wie er die Maße eingetragen hat, richtet er sich auf und erklärt: »Ich sehe mir die Uraufführung an. Wenn mich das Stück überzeugt, so schneide ich ab; vorher –« er macht eine Handbewegung und schiebt das Stück Samt wieder in das Fach. Der Dichter gibt ihm eine Eintrittskarte und geht fröhlich nach Hause.

Der Abend kommt. Das Theater füllt sich. Der Lampenputzer erzählt, daß der Heilige Vater sich sehr für das Stück interessiert. Lelio, der die Hauptrolle hat, rennt fieberhaft im Ankleideraum auf und ab und spricht seine große Rede. Der Vorhang geht auf; man sieht eine Waldwiese im Mondschein mit plastischen Baumstämmen; eine Anzahl junge Mädchen tanzen einen Reigen; Lelio erscheint, sie schreien und flehen, eine verliert einen kleinen Schuh, Lelio nimmt den Schuh auf, drückt ihn an die Lippen, ans Herz, und macht sich auf die Suche nach der Besitzerin dieses Schuhs.

Wir wollen von dem Drama nichts weiter erzählen; das Interesse steigert sich von Aufzug zu Aufzug, der Beifall wird immer stärker; im Zwischenakt kommt der Direktor einmal ins Parkett, wo der Dichter neben dem Marchese steht, schlägt ihm fröhlich auf die Schulter und ruft: »Fünfzig Aufführungen!«, und der Dichter wird immer glücklicher.

Der Marchese hat eine kalte, beobachtende Miene. An den Aktschlüssen klatscht er, und er hat eine geübte Hand, das sieht man. Während die Schauspieler auf der Bühne stehen, bedenkt[144] er, wägt er ab. Er hat das Kinn in die linke Hand gelegt, die er mit dem rechten Arm stützt, und unwillkürlich wenden sich viele Blicke auf ihn.

Auch die Blicke eines der Geheimpolizisten, welche im Parkett verstreut sind, um auf die Beutelschneider zu achten. Der Marchese ist ihm im höchsten Grade auffällig, und mit aller seiner Menschenkenntnis kann er ihn nicht unterbringen: ist er ein vornehmer Herr, ein Gelehrter, ein Handwerker? Unauffällig tritt er an seine Seite und beobachtet ihn.

Der Marchese denkt angestrengt nach und schlägt seine Blicke nieder; zerstreut bleiben sie auf der Geldtasche des Dichters hängen, der vor ihm steht. Unbewußt spricht er vor sich hin: »Schneide ich ab? Schneide ich nicht ab? Schneide ich ab? Schneide ich nicht ab?«

Der Verdacht des Geheimpolizisten ist bestätigt. Der Vorhang geht nieder, der Marchese klatscht laut, auffällig laut, vertritt sich dabei etwas die Füße, stößt seinen Nachbar an; es entsteht eine kleine Unruhe um ihn. Der Polizist kennt das. Schwer legt er seine Hand auf die Schulter des Marchese, hält ihm seine Dienstmarke vor die Augen und flüstert ihm zu, unauffällig mit ihm den Raum zu verlassen.

Der Marchese erschrickt; natürlich denkt er, daß man ihn beim geistlichen Gericht angezeigt hat, daß man ihn einer Ketzerei verdächtigt; ängstlich sieht er sich rings um; niemand achtet auf ihn; so folgt er bekümmert dem Polizisten, der stolz bescheiden im Bewußtsein seines Scharfsinns ihm voraufgeht.

Auf der Wache steckt man ihn zu allerhand Gesindel, das man an dem Abend schon aufgegriffen hat. Der Marchese setzt sich abseits, vergräbt sein Gesicht in den Händen und denkt nach, welchen Feind er wohl haben mag, wer ihm wohl diesen schlimmen Streich gespielt hat?

Neben ihm sitzen zwei Einbrecher. Sie erzählen sich von ihren Taten und Plänen und helfen sich mit ihren Kenntnissen aus.[145] Die Rede kommt auf den Direktor; der eine Einbrecher denkt, daß bei dem ein Geschäft zu machen sein muß; der Mann ist oft die halbe Nacht nicht zu Hause, er wohnt allein, das Haus hat viele Bewohner. Der andere Einbrecher lacht und rät ab; er erzählt, daß der Direktor einmal einen Einbrecher angeborgt hat, der nachts vor seinem Bett stand; der Kollege konnte nicht anders, die Not war zu groß, er hat ihm zehn Skudi geborgt, die er natürlich bis heute noch nicht zurückbekommen hat. Der Marchese horcht auf; er hört, wie der Direktor die Gagen schuldig bleibt, die Miete, die Beleuchtung, wie er sogar die Stiefelputzer anborgt, die vor seinem Theater aufgestellt sind. Der Marchese seufzt und beschließt, wenn er freikommen sollte, dem Dichter den Anzug nicht zu machen.

Am andern Morgen wird er vor den Richter geführt. Zum Glück ist der Richter seit langen Jahren ein guter Kunde von ihm; er lacht, wie der Marchese hereinkommt; der Polizist steht stramm und berichtet, was er gesehen und gehört hat. Der Marchese schlägt vor Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammen, beschwört, erklärt, erzählt; der Richter lacht, die Besitzenden lachen, der Protokollführer lacht, nur der Polizist macht ein wütendes Gesicht und bleibt bei seiner Meinung. So darf der Marchese denn gehen; er dankt für die schnelle Freisprechung und eilt nach Hause, wo ihn die Seinigen bereits in Ängsten erwarten, wo der Dichter schon sitzt, der am Abend nicht gemerkt hatte, daß man ihn abführte. »Ich schneide nicht ab«, sagt er zum Dichter, und der Dichter geht traurig nach Hause.

Quelle:
Paul Ernst: Komödianten- und Spitzbubengeschichten, München 1928, S. 141-146.
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