Die Achatkette

[28] Lelio liebt Isabellen und Isabelle liebt Lelio; das ist so in der Ordnung, und alle übrigen Schauspieler glauben, daß die beiden sich nur deshalb lieben, weil es so in der Ordnung ist. Es ist peinlich für Lelio, daß sie das glauben, denn Isabellen würde gewiß jeder lieben, den Lelio aber – wir wollen nichts über Lelio sagen, er ist eine sehr gute Bühnenerscheinung, aber alle Schauspieler glauben eben, daß ihn Isabelle nur deshalb liebt, weil das so in der Ordnung ist.

Der Ritter de Marinis lebt auf dem Turm seiner Väter; er ist ein sehr junger und wunderhübscher Mensch mit langen schwarzen Locken und feurigen und zugleich sanften schwarzen Augen. Der Turm war früher eigentlich eine Windmühle; vor langen Zeiten hat der letzte Müller in ihr Bankerott gemacht, weil die Leute ihm kein Korn mehr zum Mahlen brachten; die Flügel faulten im Laufe der Jahre und fielen ab; und dann zog des Ritters Vater ein und erklärte, die Mühle sei ein Turm. Die Italiener sind liebenswürdige Leute; sie dachten: weshalb soll eine Mühle nicht ein Turm sein; sie glaubten auch von dem Vater des Ritters, daß er ein Ritter sei, denn eigentlich war er ein Jude, der in Tunis Handel getrieben. Es war nicht Hochmut von ihm, daß er diesen Glauben nicht störte, aber er war verarmt, weil er sein ganzes Vermögen einer trunksüchtigen Gräfin geliehen, die unter Kuratel gestellt wurde, als sie ihm sein Kapital mit schweren Zinsen zurückzahlen wollte; und ein armer Jude ist doch nicht möglich, nicht denkbar; es ging nicht anders, er mußte ein armer Ritter sein. Von diesem Vater also hatte der Kavalier de Marinis seinen Turm geerbt, diesen Turm, der einsam aufragte in der schweigenden großen Campagna.[29]

Einsam lebte auch der Kavalier. Wie oft schaute er aus seinem hohen Fenster den leuchtenden Sonnenuntergang und dachte an – nun, in der letzten Zeit dachte er an Isabellen. Wenn er auf Jagd ging, und er ging täglich auf Jagd und schoß Sperlinge, zuweilen auch Kaninchen, welche er selber zurechtmachte und briet, dann dachte er in der letzten Zeit immer an Isabellen. Die Kolleginnen lachten; wenn er den Eintritt bezahlen konnte – die Hirten in der Campagna hielten ihn für einen Zauberer und ließen sich von ihm das Ungeziefer besprechen, dadurch verdiente er gelegentlich einige Bajocchi – wenn er den Eintritt bezahlen konnte, so saß er in der vordersten Reihe, mit den schönen, sanften, feurigen, dunklen Augen Isabellen ansehend, wie ein Junge ein Butterbrot ansieht, das die Mutter ihm eben schmiert.

Isabelle wurde ungeduldig über den schweigsamen Liebhaber und die Scherze der Kolleginnen; wenn sie ihn mit seinen hungrigen Blicken vor sich sitzen sah, so verzog sie geringschätzig ihr reizendes Mündchen und rümpfte das Näschen. Lelio war überzeugt, daß der Kavalier auch keinen Mut hatte; er schlug an sein Schwert und erklärte: »Einer von uns muß sterben. Das nächste Mal frage ich ihn, stelle ich ihn zur Rede.« Der erschreckte Direktor begütigte ihn und erklärte, die Kunst sei für alle. »Die Kunst ist für alle, das ist seine Rettung«, erwiderte Lelio düster grollend.

Der Kavalier kauft sich Fleckwasser, klopft, bürstet und reinigt seinen blauseidenen Anzug, den sein Vater einmal von einem nahe befreundeten Duca mit in Zahlung bekommen; dann nimmt er ein Wollbäuschchen, benetzt es mit Öl und putzt die Klinge seines kostbaren Degens, den sein Vorfahr einst auf dem Schlachtfelde – die Tränen stürzen ihm aus den Augen; er ist ja erst achtzehn Jahre alt und liebt Isabellen. So zieht er den kostbaren Anzug an, die weißseidenen Strümpfe, die feinen weißen Schuhe, schnallt den Degen um – keine Wolke[30] steht am Himmel, die Landstraße ist nicht staubig; so kann er es versuchen, in die Stadt zu gehen. Wie er durchs Tor gegangen ist, nimmt er sich einen Wagen, denn innerhalb der Mauern kostet die Fahrt immer nur drei Bajocchi, und einen Bajocco gibt man Trinkgeld. Vor Isabellens Haus hält der Wagen mit elegantem Ruck; aus allen Fenstern fahren Köpfe und bewundern das Gespann; stolz läßt der Kutscher die Pferde tänzeln, ruft dröhnend sein »danke, Eccellenza«, als er die vier Bajocchi erhält, wendet dann energisch und stiebt von dannen. Er hätte es für unwürdig gehalten, noch ein zweites Trinkgeld zu verlangen, so fein sah der Kavalier aus.

Nun steht der Kavalier vor der errötenden Isabelle, welche sich bemüht, ihre zerrissenen Morgenschuhe den Blicken des Liebhabers zu verbergen; ach, der Liebhaber sieht nur ihre Augen! Er greift in die Brusttasche, holt ein altes, schönes Lederkästchen mit geschmackvoller Goldverzierung vor, öffnet es, nimmt eine Kette aus Achatperlen in die Hand und erzählt die Geschichte dieser Kette.

Auf seinen großen Reisen, zu denen ihn Forschungstrieb und die Lust zu industriellen Unternehmungen veranlaßt hatten, war der Vater des Kavaliers auch in die Länder gekommen, welche im Herzen Afrikas liegen. Auf den uralten Handelsstraßen, wo seit Jahrtausenden bereits die materiellen und geistigen Güter der Menschheit von den Kaufleuten geschäftig von Land zu Land, von Volk zu Volk, von Rasse zu Rasse gebracht werden, hatte er die große Wüste Sahara durchkreuzt, auf feurigem Renner neben einer Karawane herreitend, mit diesem Degen bewaffnet, der noch heute an der Linken des Kavaliers blitzt oder vielmehr hängt. Unwillkürlich erschrickt Isabelle, als der Kavalier an diesen Degen schlägt. Da wurde ihm von einem uralten jüdischen Händler über die kostbaren Achatperlen erzählt, welche inmitten der Wüste gefunden werden. Vor undenklichen Zeiten, vor vielen, vielen tausend[31] Jahren, muß die Wüste ein bewässertes und fruchtbares Land gewesen sein, von einem Volk bewohnt, das den Boden bebaute und eine große Stadt errichtete auf einem Hügel. Keine Kunde meldet, wann zuerst der Wind den Wüstensand mit sich brachte; in langen, langen Zeiten hat der Sand den fruchtbaren Boden überzogen, die Bäume zum Verwelken, die Flüsse und Ströme zum Austrocknen gebracht; die Menschen starben, die Hütten des Landvolkes fielen zusammen, die Städte verwandelten sich in Mauertrümmer. Aber der Sand, welchen der Wind in der Sahara vor sich treibt, ist so scharf, daß er allmählich, allmählich in den Jahrtausenden die Mauern abschliff, daß auch sie sich in Sand auflösten, und daß er dann den Hügel abschliff, weil der Wind ja alle Höhen gleichmachen will. In dem Hügel aber lagen in steinernen Gräbern die toten Könige jenes Volkes, das damals hier gelebt hatte, und jedem König hatte man eine Kette aus Achatperlen mitgegeben. Nun schliff in Jahrtausenden der Sand, vom Winde getrieben, den Hügel ab und kam auf die schweren steinernen Platten, welche die Gräber bedeckten, schliff in Jahrtausenden die Platten ab, bis sie ganz dünn wurden und endlich völlig verschwanden; da waren die Knochen der Toten schon längst vermodert, die Kleider, die Stiefel; alles Metall war verzehrt, das man ihnen mitgegeben; das Band war verschwunden, das die Achatperlen zusammengehalten hatte; nun lagen von allem nur noch die einzelnen Perlen da. Der Achat ist ein sehr harter Stein, er ist härter als die Mauern der Stadt und der Häuser, wie der Felsen des Hügels war und die steinerne Platte, welche die Gräber deckte; aber wie sie nun unzählige Jahre so offen dalagen und der Wind immer neuen Sand gegen sie antrieb, da wurden auch sie vom Sand angegriffen; die rotgeflammten Stellen sind eine Kleinigkeit weicher als die durchsichtigen und weißen, und so erscheinen diese nun in den alten Perlen vertieft.

Diese uralten Perlen werden von den Wüstenvölkern an jener[32] Stelle, wo einst die Stadt sich erhob, eifrig gesucht, und eine einzelne schon hat bei ihnen einen ungeheuren Wert, daß man sich tausend Sklaven für sie kaufen kann. Welchen Wert aber werden diese Völker einer ganzen Kette solcher Perlen zuerkennen!

Eine solche Kette nun hatte des Kavaliers Vater dort erworben, in die Heimat mitgebracht, bei allen Schlägen des Schicksals sorgfältig aufbewahrt: jetzt überreicht sie der Kavalier mit einer vornehmen Verbeugung Isabellen, welche sich das klopfende Herz hält, damit es ihr nicht fortspringt in die Hände des Kavaliers.

Man wird nicht erstaunt sein, daß Isabelle einen jungen Mann von achtzehn Jahren – sie selber ist erst sechzehn – lieben muß, der ihr so wunderbare Perlen schenkt.

Lelio wütet, rast, schäumt. Und nachdem er tagelang im Theater erklärt hat, daß er von dem Kavalier Aufklärungen verlangen werde, bleibt ihm nichts weiter übrig, als zu dem Turm zu gehen, dieser halbverfallenen Stätte mittelalterlicher Barbarei, und nun wirklich Aufklärungen zu fordern. Er erzählt später selber den Vorgang. »Innerlich kochte ich, äußerlich war ich von der gewinnendsten Höflichkeit. Der Kavalier wurde blaß, als er mich erblickte. Ha! dachte ich, da habe ich meinen Triumph, und wurde noch höflicher. Er hatte ein Kaninchenpfeffer auf dem Herd; vor Angst, vor Angst! ladet er mich ein, es mit ihm zu teilen; ironisch lächelnd, aber dabei skrupulös die Form wahrend, entgegne ich, daß er mir eine große Ehre erweise; wir setzen uns und essen; er gießt ein, zitternd, ich sage: zitternd! wir trinken, ich hebe mein Glas auf sein Wohl; ich sehe, wie er immer unruhiger wird; armer Teufel! denke ich, ich habe meinen Triumph gehabt, ich verzeihe dir! Darauf biete ich ihm Brüderschaft an, und auf diese Weise gelingt es mir denn, ihn so zu beruhigen, daß er mich am Ende noch um einen Paolo angepumpt hat, weil er Isabellen Blumen schenken wollte.«

Quelle:
Paul Ernst: Komödianten- und Spitzbubengeschichten, München 1928, S. 28-33.
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