An Verschiedene

[102] Du da und du –

Ihr dünktet euch immer mehr als ich.

Du

In deinem strammschenkligen Kraftprotzentum,

Ein sogenannter »famoser Kerl«

Bei Weibern und Pferden.

Und du,

Hundertmal plumper,

Verächtlicher,

Geldprotz du!

Wenn ihr jene feinen Ohren hättet,

Mit welchen wir Dichter alles belauschen,

Welch silberstimmiges Lachen würdet ihr hören,

Ein Lachen so leicht, fröhlich, obenhin,

Als Antwort auf eure dreisten

Ellbogenfragen:

»Siehst du, was für Kerle wir sind?«

Ich sehe es!


Aber jener da,

Der mit dem überlegenen Lächeln,

Der Schulmeister,

Er thut mir leid.

Was ist euch Kunst, Wissenschaft,

Und jenes unwägbare Geschenk der Götter:

»Geist!«

Ein Nichts!

(Doch! Geist liebt ihr:

Klapphornverse!)[103]

Aber ihn,

Ihn narrten die Götter.

Sie gaben ihm Fleiß, Verstand, Gedächtnis,

Liebe zum Guten,

Und einen feinfühlenden Finger.

Aber sie schlugen ihn mit Kurzsichtigkeit

Und gaben ihm nicht

Ihr Höchstes:

Phantasie.


Nun tappt er umher

Und freut sich,

Wessen er habhaft wird mit tastendem Finger.

Aber draußen,

Wo Schwingen sich weiten,

Auftragenden Fluges

Phantasiebegabte, leichtere Geister

Mit Sonnenkindern Frage und Antwort spielen:

Hier ist er nicht heimisch.

Hier fühlt er seinen Mangel

Und rümpft die Nase,

Wie hässliche Mädchen

Unter schöneren Schwestern

Sich gern auf die Überlegenen hinausspielen,

Die Gesetzteren,

Innerlicheren.


Der Arme!

Ihn narrten die Götter,

Und Mitleid weckt mir

Sein überlegenes Lächeln,

Tiefes Mitleid.


Quelle:
Gustav Falke: Mynheer der Tod. Hamburg 1900, S. 102-104.
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