Elftes Kapitel.

[82] Worin der Leser überrascht werden wird.


Herr Jones war viel früher als zur bestimmten Zeit gekommen und früher, als die Dame, deren Ankunft nicht nur durch die Entlegenheit des Hauses, wo sie zu Tische war, sondern auch durch einen widrigen Zufall verhindert ward, der einer Person in ihrer Gemütslage sehr verdrießlich sein mußte. Er ward also abgeredetermaßen ins Besuchzimmer geführt, und kaum hatte er einige Minuten darin zugebracht, da ging die Thüre auf und trat herein – niemand anders als Sophie selbst, welche die Komödie verlassen hatte, ehe noch der erste Akt geendigt worden. Denn weil, wie wir bereits gesagt haben, heute ein neues Stück gegeben ward, wobei sich zwei starke Parteien einfanden, die eine zum Auspfeifen und die andre zum Beklatschen: so hatte ein heftiger Aufstand und Getümmel[82] zwischen beiden Parteien unsrer Heldin einen solchen Schrecken eingejagt, daß sie nur froh gewesen, einen jungen Herrn zu finden, unter dessen Schutze sie bis zu ihrem Wagen gelangen konnte.

Da Ihro Gnaden von Bellaston ihr gesagt hatte, sie würde erst spät wieder nach Hause kommen, so erwartete Sophie nicht, jemanden im Zimmer anzutreffen, kam also hastig herein und ging auf einen Spiegel zu, der fast gerade ihr gegenüber hing, ohne nur einmal nach dem obern Ende des Zimmers hinzublicken, wo jetzt Jones wie eine unbewegliche Bildsäule stand. – In diesem Spiegel war es, worin, nachdem sie ihr eignes liebenswürdiges Gesicht beschaut, sie die besagte Bildsäule zuerst entdeckte; da sie denn, als sie sich plötzlich umkehrte, die Wirklichkeit der Erscheinung wahrnahm, worauf sie einen heftigen Schrei that und sich kaum einer Ohnmacht erwehren konnte, bis Jones fähig war, sich ihr zu nahen und sie in seinen Armen aufrecht zu erhalten.

Die Blicke oder Gedanken einer oder der andern von diesen lebenden Personen zu malen, das übersteigt meine Kräfte. Da man aus ihrer gegenseitigen Lage schließen kann, daß ihre Empfindungen zu stark waren, um solche gegeneinander mit Worten an den Tag zu legen, so wird man wohl nicht voraussetzen, daß ich fähig sein sollte, sie auszudrücken, und das Unglück dabei ist, daß wenige von meinen Lesern verliebt genug gewesen sind, um in ihren eignen Herzen zu fühlen, was damals in den Herzen dieser beiden vorging.

Nach einer kurzen Pause sagte Jones mit bebender Stimme: »Ich sehe, gnädiges Fräulein, Sie sind erstaunt.« – »Erstaunt!« antwortete sie. »O Himmel! Wirklich, ich bin erstaunt. Fast zweifle ich, ob Sie die Person sind, die Sie zu sein scheinen.« – »In der That,« rief er, »meine Sophie! Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein, daß ich Sie dies einemal so nannte – ich bin der unglückliche Jones, den das Glück nach so vielen vereitelten Hoffnungen endlich so gütig ist zu Ihnen zu führen. O, meine Sophie, kennten Sie die tausend Qualen, die ich erlitten habe bei diesem langen, fruchtlosen Suchen.« – »Suchen? nach wem?« sagte Sophie, die sich ein wenig wieder sammelte und ein zurückhaltendes Wesen annahm. »Können Sie so grausam sein, mir diese Frage zu thun?« rief Jones. »Brauche ich's wohl zu sagen, nach Ihnen?« – »Nach mir?« antwortete Sophie. »Hat denn Herr Jones ein so wichtiges Gewerbe bei mir?« – »Einigen, gnädiges Fräulein,« sagte Jones, »möchte dieses hier ein wichtiges Gewerbe scheinen (indem er ihr die Brieftasche gab.) Ich hoffe, mein Fräulein, Sie werden dies noch von eben dem Werthe finden, als da Sie es verloren.« Sophie nahm die Brieftasche und wollte zu reden beginnen, als er ihr folgendergestalt zuvor kam: »Lassen Sie uns, ich bitte, keinen von den kostbaren Augenblicken verlieren, welche uns das Glück so gütig verliehen hat. – O meine Sophie, ich habe weit wichtigere Angelegenheiten. – Hier auf meinen Knieen lassen Sie mich um Ihre Verzeihung flehen.« – »Meine Verzeihung?« sagte sie. »Im Ernste, nach dem was vorgegangen, können Sie nicht erwarten – nach dem, was ich gehört habe.« – »Ich weiß kaum, was ich sage,« antwortete[83] Jones. »Beim Himmel! kaum wünsche ich, daß Sie mir verzeihen. O, meine Sophie, verschwenden Sie hinfort weiter keine Gedanken an solch einen Elenden als ich bin! Sollte jemals nur ein Gedanke an mich sich bei Ihnen eindringen und Ihrer zarten Brust nur einen Augenblick Unruhe erwecken, so denken Sie an meine Unwürdigkeit und lassen Sie das Andenken an das, was zu Upton geschah, mich auf ewig aus Ihrem Gedächtnis vertilgen.«

Sophie stand die ganze Zeit über zitternd. Ihr Gesicht war weißer als Schnee und ihr Herz pochte durch ihre Schnürbrust. Wie Jones aber Upton nannte, stieg ihr eine Röte auf die Wangen und ihre Augen, die sie bis dahin kaum von der Erde verwendet hatte, richteten sich auf Jones mit einem verächtlichen Blick. Er verstand diesen stummen Vorwurf und antwortete darauf folgendergestalt: »O, meine Sophie! Meine einzige Geliebte! Sie können mich wegen dessen, was dort vorfiel, nicht stärker hassen, nicht ärger verachten, als ich selbst. Dennoch aber erweisen Sie mir die Gerechtigkeit und glauben, daß mein Herz Ihnen nicht einen Augenblick ungetreu gewesen ist. Das hatte keinen Teil an der Thorheit, der ich mich schuldig machte, das war selbst damals Ihr ungeteiltes Eigentum. Ob ich gleich verzweifelte, Sie jemals zu besitzen, ja selbst Sie nur jemals wieder zu sehen, so hing ich doch immer voll zärtlicher Liebe an Ihrem reizenden Bilde und konnte ernstlich kein ander Frauenzimmer lieben. Aber wäre auch mein Herz nicht von bessrer Liebe erfüllt gewesen, so hätte doch jene, in deren Gesellschaft ich durch einen Zufall an dem verwünschten Orte geriet, kein Gegenstand ernsthafter Liebe sein können. Glauben Sie mir, teuerste Geliebte, ich habe solche von dem Tage an nie wieder gesehen und wünsche und verlange auch nicht, sie wieder zu sehen.« In ihrem Herzen war Sophie gar sehr erfreut, dieses zu vernehmen; indessen zwang sie doch noch mehr Kälte in ihre Mienen, als sie bis dahin gezeigt hatte und sagte: »Warum, Herr Jones, geben Sie sich die Mühe, sich zu verteidigen, wo Sie noch nicht angeklagt sind? Wenn ich dächte, es käme was dabei heraus, wenn ich Sie anklagte, so hätte ich ganz andre und weit unverzeihlichere Vergehungen gegen Sie vorzubringen.« – »Welche wären das? ich bitte Sie ums Himmelswillen!« antwortete Jones zitternd und bleich, weil er meinte, er würde von seiner Liebschaft mit der Bellaston zu hören bekommen. »O!« sagte sie, »wie ist es möglich? kann alles, was edel ist und alles, was niederträchtig, zugleichin einer und eben derselben Brust bei einander wohnen?« Die liebsüchtige Dame Bellaston und der erniedrigende Umstand, als ein Lohnliebhaber gedient zu haben, drängten sich ihm wieder in die Gedanken und ließen ihm die Antwort im Munde stocken. – »Hätte ich eine solche Begegnung,« fuhr sie fort, »von Ihnen erwarten können? ja nur von irgend einem Manne von Ehre? Meinen Namen allenthalben preiszugeben in Wirtshäusern, sogar unter dem gemeinsten Pöbel! Da sich jeder kleinen Gunstbezeigung, die sich mein verdachtloses Herz etwa zu leicht sich verführen ließ zu bewilligen, ganz öffentlich zu rühmen! Ja sogar hören zu müssen, Sie hätten sich gemüßigt gesehen,[84] vor meiner aufdringlichen Liebe zu fliehen!« Nichts konnte Herrn Jones Erstaunen bei diesen Worten Sophiens gleichkommen. Jedoch, da er sich unschuldig wußte, war er in geringerer Verlegenheit, sich zu verteidigen, als wenn sie die zärtere Seite berührt hätte, worüber sein Gewissen in Unruhe gewesen war. Bei einiger Untersuchung fand er sehr bald, daß ein so schändliches Vergehen gegen seine Liebe und Sophiens guten Namen, als sie ihm hier schuld gab, gänzlich auf Rebhuhns Geträtsch in den Gasthöfen vor Wirten und dem Hausgesinde zurückfiel; denn Sophie gestand ihm, daß sie ihre Nachrichten von solchen Leuten habe. Es ward ihm nicht schwer, sie zu überzeugen, daß er an einem seinem Charakter so widersprechenden Vergehen völlig unschuldig sei; aber sie fand es desto schwerer, ihn zu verhindern, daß er nicht augenblicklich nach Hause ging und Rebhuhn den Hals umdrehte, welches thun zu wollen er mehr als einmal schwur. Nachdem dieser Punkt aufgeklärt worden, fanden sie sich bald wieder so gute Herzensfreunde, daß Jones völlig vergaß, wie er die Unterredung damit angefangen hatte, sie zu beschwören, daß sie alle Gedanken an ihn aufgeben möchte, und sie war in einer Stimmung, ihr Ohr einer Bitte von sehr verschiedner Art und Natur zu leihen. Denn ehe sie sich's noch versahen, waren sie schon so weit gekommen, daß er einige Worte fallen ließ, welche ungefähr wie ein Heiratsvorschlag klangen, worauf sie erwiderte, daß, wenn ihre Pflicht gegen ihren Vater ihr nicht verböte, ihrer eignen Neigung zu folgen, sie lieber mit ihm in Elend und Mangel, als mit jedem andern Manne in Reichtum und Ueberfluß leben möchte. Bei den Worten Elend und Mangel fuhr er zurück, ließ ihre Hand fahren, die er seit einiger Zeit gehalten hatte, schlug mit der seinigen sich auf die Brust und rief aus: »O, Sophie! könnte ich dich also elend machen? Nein, beim Himmel! nein, so niederträchtig werde ich niemals handeln. Teuerste Sophie, laß mich's kosten was es will, ich entsage Ihnen; ich will von Ihnen lassen; ich will alle dergleichen Hoffnungen aus meinem Herzen reißen, weil sie sich mit Ihrem wahren Wohlsein nicht vertragen. Meiner Liebe bleibe ich ewig getreu, aber tief in meinem Herzen soll sie vergraben bleiben; ferne von Ihnen will ich sie hegen, in einem weit entlegnen Lande, aus welchem kein Laut, kein Seufzer meiner Verzweiflung jemals Ihr Ohr beunruhigen soll. Und wenn ich dann nicht mehr bin –« Er wäre noch weiter fortgefahren, allein er ward von einer Thränenflut unterbrochen, die Sophie in seinen Busen fallen ließ, an welchen sie sich gelehnt hatte, ohne im stande zu sein, ein einziges Wort hervorzubringen. Er küßte sie auf diese Thränen, welches sie ihm auf einige Augenblicke, nicht ohne Widerstreben zuließ, sich aber darauf wieder faßte und sich sanft aus seinen Armen loswand und, um das Gespräch von einer zu rührenden Materie abzulenken, die sie, wie sie fand, in zu große Bewegung setzte, verfiel sie darauf, ihm eine Frage vorzulegen, wozu sie bis jetzt noch nicht Zeit gehabt hatte: »Wie er in das Zimmer gekommen sei?« Er begann zu stammeln und würde nach aller Wahrscheinlichkeit durch die Antwort, die er im Begriff[85] stand, ihr zu geben, ihren Verdacht erregt haben, als auf einmal die Thüre aufflog und Ihro Gnaden von Bellaston hereintrat.

Als sie ein paar Schritte vorwärts gethan hatte und Sophie und Jones beieinander sitzen sah, stand sie auf einmal still, und nach einer Pause von ein paar Augenblicken, in welcher sie sich mit einer bewundernswürdigen Gegenwart des Geistes faßte, sagte sie – obgleich mit genugsamen Anzeichen von Erstaunen sowohl in der Stimme als in den Mienen: »Ich meinte, Western, Sie wären in der Komödie?«

Nun hatte zwar Sophie keine Gelegenheit gehabt, vom Herrn Jones zu erfahren, auf welche Weise er ihren Aufenthalt entdeckt hätte; indessen, weil sie nicht den geringsten Argwohn von der eigentlichen Wahrheit, oder auch davon hatte, daß Jones und die Bellaston sich kennten, so war sie nur sehr wenig in Verlegenheit, und um so weniger, weil die Hofdame bei allen ihren Unterredungen über diese Sache beständig ihre Partei gegen ihren Vater genommen hatte. Mit sehr weniger Bedenklichkeit also erzählte sie ihr die ganze Geschichte von dem Vorfalle im Schauspielhause und der Ursache ihrer frühen Nachhausekunft.

Die Länge dieser Erzählung gab Ihro Gnaden von Bellaston Gelegenheit, sich völlig wieder in Fassung zu setzen und auf die Art und Weise zu sinnen, wie sie sich zu benehmen habe. Und da ihr Sophiens Betragen Hoffnung gab, daß Jones sie nicht verraten hätte, so nahm sie eine lustige Miene an und sagte: »Ich wäre nicht so ungewarnt hereingekommen, Fräulein, wenn ich gewußt, daß Sie Gesellschaft hätten.«

Indem sie diese Worte sagte, heftete die Dame ihre Augen auf Sophie, worauf das Fräulein, welches vor Verwirrung bis über die Ohren rot ward, stotternd antwortete: »Gnäd'ge Tante wissen, hoffe ich, daß mir die Ehre Ihrer Gesellschaft – –« – »Ich hoffe wenigstens,« fiel Tante Bellaston ein, »daß ich Sie nicht unterbreche!« – »Nein, gnädige Frau,« antwortete Sophie, »unser Geschäft war geendigt. Gnäd'ge Tante werden sich erinnern, daß ich oft von dem Verluste meines Taschenbuches gesprochen habe, welches dieser Herr glücklicherweise gefunden hat und so gütig gewesen ist, es mir mit der Banknote wieder zuzustellen.«

Jones war seit der Ankunft der Tante Bellaston beständig bereit, vor Furcht in die Erde zu sinken. Er saß da und stieß die Absätze aneinander, spielte mit seinen Fingern, und sah womöglich einem Dummbart ähnlicher, als ein junger ungehobelter Strohjunker, wenn er zum erstenmal bei Hofe in einer Assemblee aufduckt. Inzwischen begann er sich jetzt wieder zu besinnen, und indem er einen Wink von der edlen Bellaston auffing, welche, wie er sah, nicht gewillt war, zu thun, als ob sie ihn kennte, beschloß er, seinerseits gegen sie ebenso fremd zu thun. Er sagte: »Er habe, so lange er das Taschenbuch im Besitz gehabt, sich beständig sehr fleißig nach der Dame erkundigt, deren Name darin geschrieben stünde, wäre aber bis auf den heutigen Tag niemals so glücklich gewesen, sie aufzufinden.«[86]

Sophie hatte wirklich des Verlustes ihres Taschenbuches gegen ihre Tante Bellaston erwähnt; weil aber Jones aus einer oder der andern Ursache sich niemals gegen diese hatte merken lassen, daß es in seinem Besitz sei, so glaubte sie keine Silbe von dem, was Sophie jetzt sagte, und bewunderte nicht wenig die außerordentliche Behendigkeit, womit die junge Dame einen solchen Vorwand erfinden könnte. Die Ursache, warum Sophie das Komödienhaus verlassen hätte, fand keinen bessern Glauben, und ob sie sich's gleich nicht erklären konnte, wie diese beiden Verliebten zusammengeraten wären, so war sie doch aufs festeste überzeugt, ein ungefährer Zufall wäre es nicht.

Mit einem gezwungenen Lächeln sagte sie demnach: »In der That, Fräulein, Sie haben sehr viel Glück gehabt, Ihr Geld wieder zu erhalten. Nicht nur, daß es in die Hände eines Herrn von solcher Redlichkeit fiel, sondern daß er auch noch zufälligerweise entdeckte, wem es gehörte; denn ich glaube mich zu erinnern, daß Sie es nicht ins Intelligenzblatt setzen lassen wollten. – Es war gewiß ein besonderes Glück, mein Herr, daß Sie ausfindig machten, wem es zugehörte.«

»O, Ihro Gnaden,« sagte Herr Jones, »die Note lag in einem Taschenbuche, in welchem der Name der jungen Dame geschrieben stand.«

»Das war wirklich ein sehr glücklicher Umstand!« erwiderte die Dame. »Und ebenso ein großes Glück war's, daß Sie erfuhren, daß das Fräulein Western in meinem Hause sei, denn sie ist hier nur wenig bekannt.«

Jones hatte endlich seine ganze Besonnenheit wie der gesammelt, und da er meinte, er habe jetzt eine gute Gelegenheit, Sophien über die Frage zu befriedigen, die sie ihm eben vorhin that, als die Bellaston dazukam, so that er's auf folgende Weise: »Nun freilich, Ihro Gnaden,« antwortete er, »geschah's durch den glücklichsten Zufall von der Welt, daß ich diese Entdeckung machte. Auf der letzten Maskerade sagte ich einer Dame, was ich gefunden, und den Namen der Eignerin, welche mir zu verstehen gab, sie glaube, sie wisse, wo ich Fräulein von Western finden könnte, und wenn ich des folgenden Morgens nach ihrem Hause kommen wollte, so wollte sie mir's sagen. Ich ging also zu ihr, sie war aber nicht zu Hause, und ich konnte sie nicht eher wieder antreffen als heute morgen, da sie mich dann nach Ihro Gnaden Hause wies. Dieser Anweisung zufolge kam ich hierher und gab mir die Ehre, mich bei Ihnen anmelden zu lassen, und da ich sagte, daß ich eine besondere Angelegenheit hätte, führte mich ein Bedienter in dies Zimmer, wo ich nicht lange gewesen war, als diese junge Dame aus der Komödie zurückkam.«

Indem er der Maskerade erwähnte, gab Jones der Bellaston einen sehr schlauen Blick, ohne zu fürchten, daß Sophie es merken möchte, denn sie war sichtbarlich in zu großer Verwirrung, um zu bemerken, was vorging. Dieser Wink machte die ältere Dame ein wenig behutsam, und sie schwieg, worauf Jones, welcher die Unruhe sah, worin Sophiens Gemüt schwebte, beschloß, den einzigen Weg[87] einzuschlagen, um sie davon zu befreien, und der war, sich zu beurlauben. Ehe er das aber that, sagte er noch: »Ich glaube, meine Damen, man pflegt bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich einen Rekompens zu erhalten. – Ich muß um etwas Wichtiges für meine Ehrlichkeit bitten: – um nichts Geringeres, meine Gnädigsten, als um die Ehre der Erlaubnis, Ihnen künftig wieder meine schuldige Aufwartung machen zu dürfen.«

»Mein Herr,« versetzte die Dame vom Hause, »Sie sind unstreitig ein Kavalier, und Personen von Stande finden meine Thüre beständig offen.«

Jones ging darauf nach den gewöhnlichen Komplimenten von den Damen, zur großen Zufriedenheit seiner selbst und zur nicht geringen Sophiens, welcher unaussprechlich angst war, Tante Bellaston möchte entdecken, was sie bereits mehr als zu gut wußte.

Auf den Treppen begegnete Jones seiner alten Bekannten, der Jungfer Honoria, die ungeachtet alles dessen, was sie von ihm gesagt hatte, so viel gute Lebensart hatte, ihm sehr höflich zu begegnen. Dieser Zufall ward sehr glücklich dadurch, daß er ihr das Haus sagen konnte, wo er seine Zimmer hatte, wovon Sophie nichts wußte.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 82-88.
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