Fünftes Kapitel.

[243] Worin Madame Fitz Patricks Geschichte fortgesetzt wird.


»Wir blieben nach unsrer Verheiratung nicht länger als vierzehn Tage zu Bath, denn zu einer Aussöhnung mit meiner Tante war keine Hoffnung, und von meinem Vermögen konnte ich keinen Groschen habhaft werden, bis ich mündig geworden, bis dahin aber fehlten mir noch über zwei Jahre. Deswegen wollte sich mein Mann entschließen nach Irland zu gehen, wogegen ich aber sehr ernsthafte Vorstellungen that und auf einem Versprechen bestand, das er mir vor unsrer Verheiratung gegeben hatte, wie ich nämlich zu keiner Zeit wider meine Einwilligung zu dieser Reise genötigt werden sollte, und in der That war ich niemals gesonnen darein zu willigen, und niemand, glaub' ich, wird mich auch wegen dieser Entschließung tadeln, die ich gleichwohl meinem Manne nicht deutlich sagte, sondern nur bloß um einen Monat Aufschub bat. Er hatte aber seinen Tag festgesetzt und auf diesem Tag bestand er mit dem hartnäckigsten Eigensinne.

Des Abends vor unsrer Abreise, als wir mit großem Eifer beiderseits über diesen Punkt disputierten, sprang er auf einmal auf von seinem Stuhl und verließ mich plötzlich mit den Worten, er ginge nach dem Assembleesaal. Er war kaum aus dem Hause, als ich ein Papier auf der Erde liegend gewahr wurde, das er, wie ich glaube, unvorsichtigerweise mit seinem Taschentuche herausgerissen haben mußte. Dies Papier nahm ich auf und da ich sah es wäre ein Brief, so macht' ich mir kein Bedenken ihn zu öffnen und zu lesen, und wirklich las ich ihn so oft, daß ich Ihnen solchen Wort für Wort aus dem Kopfe hersagen kann. Der Brief lautete also:
[243]

An Herrn Brian Fitz Patrick.

Hochgeehrter Herr!


Ew. Edlen Schreiben wohl erhalten habend, kann nicht umhin, meine Verwunderung zu bezeigen über die Art, wie von selben begegnet werde, sintemalen noch nicht weiß, wie Ew. Edlen bares Geld aussieht, ausgenommen für den einen Reiserock, und Ew. Edlen kurrent Rechnung sich doch an die hundertundfunfzig Pfund beläuft. Ew. Edlen gelieben zu beherzigen, wie oft selbige mir mit dem Vorgeben gefoppt haben, daß selbige in kürzester Sicht eine oder die andre Dame freien würden, muß aber in Erinnerung bringen, daß weder von Hoffnung noch Versprechen leben, noch mein Tuchfabrikant dergleichen Bezahlung anzunehmen gelieben will. Ew. Edlen sagen sicher zu sein, entweder die Tante oder die Nichte zu bekommen, und daß selbe längst die Tante zur Mariage hätten bringen können, deren Leibgedinge gar mächtig rentieren soll, daß selbe aber der Nichte die Prävalence geben, raggione ihrer klingenden Münze. Wenn Ew. Edlen meinen einfältigen Rat nicht verschmähen wollen, so ginge mein Parere dahin, die erste beste zu nehmen, welche zu haben wäre. Diesen treufreundlichen Advis werden Ew. Edlen desto geneigter vermerken, als selbe persuadirt sind von meinem eifrigen Wünschen für Ew. Edlen Wohlergehn. Mit nächster Post werden auf Ew. Edlen ziehen und abgeben an die Herren Drugget und Kompanie à vierzehn Tage Sicht. An pünktlichen Accept- und Honorierung nicht zweifelnde habe ich die Ehre zu verbleiben

Ew. Edlen

dienstwilligster Diener

Samuel Cosgraf.


Dies war der Brief Wort für Wort im alten Handwerksstile. Sie mögen es erraten, meine teuerste Kousine, wie mir dieser Brief aufs Herz fiel: ›daß selbe aber der Nichte die Prävalence geben raggione ihrer klingenden Münze!‹ Wäre jedes von diesen Worten ein Dolch gewesen, mit Lust hätte ich sie in sein Herz stoßen können, aber ich will mein wahnsinniges Betragen bei dieser Gelegenheit nicht erzählen. Ich hatte meine Thränen gegen die Zeit so ziemlich erschöpft, da er wieder nach Hause kam, doch waren ihre Spuren an meinen aufgeschwollnen Augen noch sichtbar genug. Er warf sich mit mürrischem Gesicht in seinen Lehnstuhl und es währte lange Zeit, ehe eines von uns beiden ein Wort sprach. Endlich sagte er in einem gebieterischen Tone: ›Ich hoffe, Madame, Ihre Bediente sind mit dem Einpacken fertig, denn morgen früh gegen sechs Uhr wird angespannt.‹ Bei dieser Reizung entging mir völlig alle Geduld und ich antwortete: ›Nein, Herr, da ist noch ein[244] Brief uneingepackt!‹ Mit diesen Worten warf ich solchen auf den Tisch und machte ihm darüber die bittersten Vorwürfe, worauf ich mich nur besinnen konnte.

Ob ihn Gewissensbisse oder Scham, oder Klugheit zurückhielt, weiß ich nicht, er ließ aber bei dieser Gelegenheit keinen Zorn blicken, ob er sonst gleich einer der heftigsten und jähzornigsten Menschen von der Welt ist. Er suchte mich vielmehr auf die sanftmütigste Weise zu beruhigen. Er schwur, er habe die Stelle im Briefe, die mich am meisten aufgebracht hatte, oder irgend etwas dergleichen seinem Korrespondenten niemals geschrieben. So viel gestand er zwar, daß er seiner Verheiratung und des Vorzugs, den er mir gegeben, Erwähnung gethan hätte, leugnete aber mit vielen Schwüren eine dergleichen Ursache dafür angeführt zu haben. Und daß er überhaupt von dieser Sache etwas gemeldet habe, entschuldigte er mit seinem Mangel an Geld, welcher dadurch veranlaßt worden, daß er seine Güter in Irland zu lange vernachlässigt habe, und dieses, sagte er, welches ihm so sauer eingegangen wäre mir zu entdecken, sei die einzige Ursache, welche ihn genötigt habe, so stark auf unsre Reise zu dringen. Er bediente sich darauf mancher süßen Schmeichelei und beschloß mit einer sehr verliebten Umarmung und vielen heftigen Liebesbeteurungen.

Es ergab sich ein Umstand, der, ob er sich gleich nicht darauf berief, bei mir zu seinem Vorteil viel Gewicht hatte, und das war das Wort Leibgedinge in der Schneiderepistel, weil meine Tante niemals verheiratet gewesen und dieses Herr Fitz Patrick recht gut wußte. Da ich mir also einbildete, daß der Schneider dies aus seinem eignen Kopfe oder auf bloßes Hörensagen hätte einfließen lassen, so überredete ich mich, daß er auf keine bessere Befugnis die abscheuliche Stelle zu schreiben gewagt haben könnte. Was für eine Art zu schließen war dies, meine Beste? War ich nicht vielmehr Advokat als Richter? Doch warum erwähne ich eines solchen Umstandes, oder warum bezieh' ich mich darauf, um meine Vergebung zu rechtfertigen! Kurz, wäre er zwanzigmal strafbarer gewesen, die Hälfte der Zärtlichkeit und Liebe, welche er mir zeigte, würde mich vermocht haben, ihm alles zu verzeihen. Ich machte jetzt weiter keine Einwendung gegen unsre Abreise, welche er auf den nächsten Morgen veranstaltete, und in wenig mehr als einer Woche Zeit langten wir auf dem Landsitz des Herrn Fitz Patrick an.

Ihre Neugierde wird mir's verzeihn, daß ich keinen von den Vorfällen erzähle, die uns unterwegs aufstießen: denn es würde mir höchst unangenehm sein, den Weg noch einmal zu reisen, und Ihnen nicht weniger, diese Reise mit mir zu machen.

Also: der Landsitz ist ein altes Gebäude auf einem Edelgute.[245] Wenn ich mich in einer von jenen fröhlichen Launen befände, in welchen Sie mich so oft gesehen haben, könnt' ich's Ihnen lächerlich genug beschreiben. Es sah so aus, als ob es vor diesem von einem Landjunker bewohnt worden wäre. Raum genug hatte es und durch Möbeln war der Raum gar nicht beengt, denn an Hausrat war der Vorrat äußerst gering. Eine alte Frau, die mit den Gebäuden gleiche Anzahl von Jahren auf dem Nacken zu haben schien und der Alten sehr ähnlich sah, deren Chamont im Trauerspiel ›Der Waise‹ erwähnt, empfing uns an der Pforte und bewillkommte ihren Herrn mit einem Geschnatter, das mir kaum eine menschliche Sprache zu sein schien, wenigstens mir ganz unverständlich war. Kurz, die ganze Szene war so grauenvoll und melancholisch, daß mein Gemüt dadurch äußerst niedergeschlagen wurde, und mein Ehemann, der diese Niedergeschlagenheit merkte, vermehrte, anstatt mich aufzurichten, solche noch durch zwei oder drei hämische Anmerkungen. ›Sie sehen, Madame,‹ sagte er, ›es gibt anderwärts außer England auch gute Häuser, aber vielleicht wohnten Sie lieber zur Miete in einem schmutzigen Loche zu Bath.‹

Glücklich, meine liebste Kousine, ist die Frau, welche in irgend einem Stande des Lebens einen freundlichen gutmütigen Gefährten hat, der sie aufrichtet und tröstet! Aber warum denk' ich an glückliche Umstände des Lebens, um nur mein Elend noch zu erschweren! Mein Gefährte, weit entfernt, das traurige Dunkel der Einsamkeit aufzuheitern, überzeugte mich sehr bald, daß ich mit ihm an jedem Orte und in allen Umständen hätte unglücklich sein müssen. Mit einem Wort, er war ein mürrischer Wrantpott; ein Charakter, den Sie vielleicht noch niemals gesehen haben: und in der That lernt ein Frauenzimmer ihn niemals an einem andern kennen, als an einem Vater, einem Bruder oder einem Ehemann; und ob Sie gleich einen Vater haben, so hat er doch von dieser Gemütsart nichts an sich. Dieser Murrkopf hatte mir vorher grade das Gegenteil geschienen und so schien er noch einem jedweden andern außer mir. Gütiger Himmel! wie ist es einem Manne möglich, so ununterbrochen außer dem Hause und in Gesellschaften einen so lügenhaften Charakter zu behaupten und die kränkende Wahrheit bloß in seinem eignen Hause zu zeigen? Hier, meine Beste, halten sich diese Männer für den beschwerlichen Zwang schadlos, welchen sie in der Welt ihrer Gemütsart auflegen; denn ich habe bemerkt: je munterer, fröhlicher und aufgeräumter mein Ehemann jemals in Gesellschaften gewesen war, um so sichrer war ich, in unsrer nächsten häuslichen Zusammenkunft ihn finster und mürrisch zu finden. Wie soll ich Ihnen seine Barbarei beschreiben? Gegen meine Zärtlichkeit war er kalt und unempfindlich. Meine kleinen komischen Späße, welche Sie,[246] meine Sophie, so angenehm genannt haben, übersah er mit Verachtung. In meinen ernsthaften Augenblicken sang und sprang er um mich herum und pfiff, und wenn ich gänzlich niedergeschlagen und betrübt war, fuhr er auf und schalt: denn ob er gleich an meiner Aufgeräumtheit keinen Gefallen fand, noch solche meiner Zufriedenheit mit ihm zuschrieb, so fand er sich doch immer beleidigt, wenn ich still und traurig war, und schob davon immer die Schuld auf meine Reue, daß ich (wie er sagte) einen Irländer geheiratet hätte. Sie können leicht denken, mein teures Fräulein Feierlich (ich bitte um Verzeihung, ich vergaß mich wirklich!), daß, wenn ein Frauenzimmer ein unvorsichtiges Bündnis, wie es die Welt zu nennen pflegt, schließt, das heißt, wenn sie sich nicht für bloße Geldvorteile preisgibt, sie notwendigerweise einige Liebe und Zuneigung zu ihrem Manne haben muß. Ebensoleicht werden Sie mir's glauben, daß sich diese Zuneigung ganz möglicherweise verringern kann; ja ich versichre Sie sogar, daß Verachtung solche ganz und gar ausrottet. Diese Verachtung begann ich jetzt gegen meinen Mann zu fühlen, welchen ich nachgerade – ich – ich muß das Wort heraussagen – als einen platten Dummkopf kennen lernte. Vielleicht werden Sie sich wundern, warum ich diese Entdeckung nicht längst vorher gemacht hatte; aber wir Weiber wissen immer tausend Entschuldigungen für die Thorheiten derer zu erfinden, die wir lieben; zudem erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, gehört ein sehr scharfsichtiges Auge dazu, einen Narren hinter der Larve der Munterkeit und guten Lebensart ausfindig zu machen.

Man kann sich leicht einbilden, daß, als ich einmal dahin gekommen war, meinen Mann zu verachten, wohin es, wie ich Ihnen bekenne, sehr bald mit mir gedieh, mir folglich auch seine Gesellschaft zuwider werden mußte. Und in der That hatte ich die Glückseligkeit sehr selten, damit belästigt zu werden; denn unser Haus war nunmehr aufs beste ausmöbliert, Keller und Küche wohlversorgt, und Hunde und Pferde in großem Ueberfluß herbeigeschafft. Da also mein Junker seine Nachbarn mit großer Gastfreundschaft bewirtete, so waren seine Nachbarn hinwieder sehr freigebig mit ihren Besuchen, und Jagd und Trinkgelage nahmen einen so großen Teil seiner Zeit weg, daß mir nur sehr wenig von seinem Umgang, das heißt von seinen bösen Launen zum Anteile fiel.

Glücklich wär' es für mich gewesen, wenn ich alle andre widrige Gesellschaft ebensoleicht hätte vermeiden können! Aber leider war ich an einige gebunden, die mich beständig plagten, und das um so mehr, je weniger ich Aussichten vor mir hatte, sie jemals los zu werden. Diese Gesellschafter waren meine eignen nagenden Gedanken, welche mich peinigten und mich sozusagen wie Gespenster[247] Tag und Nacht verfolgten. In dieser Lage mußte ich einen Auftritt erleben, dessen grauenvoller Jammer sich ebensowenig beschreiben als einbilden läßt. Denken Sie, meine Beste, stellen Sie sich's vor, wenn Sie können, was ich ausstehen mußte. Ich ward Mutter von dem Manne, den ich verabscheute. Ich mußte alle die Schmerzen und Leiden eines Wochenbetts erdulden (zehnmal schmerzhafter unter solchen Umständen, als die schwerste Entbindung sein kann, wenn man solche um einen Mann erduldet, den man lieb hat), in einer Wüste oder vielmehr in einem Hause, wo beständig getobt, gelärmt und geschwelgt wurde, ohne eine Freundin, ohne eine Gesellschafterin, oder auch nur einen von den angenehmen Umständen, welche die Leiden unsers Geschlechts zu solchen Zeiten oft erleichtern und vielleicht zuweilen mehr als reichlich vergelten.«

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 243-248.
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