Drittes Kapitel.

[244] Enthält zwei Herausforderungen an die Kunstrichter.


Nachdem der Junker mit seiner Schwester die Sache ins reine gebracht hatte, wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, war er so ungeduldig, seinen Vorschlag beim Herrn Alwerth anzubringen, daß es seiner Schwester die äußerste Mühe kostete, ihn abzuhalten diesen Herrn noch während seiner Krankheit zu besuchen und dies Gewerbe auszurichten.

Herr Alwerth war um die Zeit, da ihn seine Krankheit überfiel, eingeladen worden, bei Herrn Western zu Mittag zu essen. Er war also nicht so bald aus dem Arreste des Arztes entlassen, als er d'rauf dachte (wie seine Gewohnheit sowohl bei den wichtigsten als unbedeutendsten Dingen war) seine Zusage zu erfüllen.

Während der Zeit, zwischen dem Gespräche im letzten Kapitel und diesem Tage eines feierlichen Gastmahls, hatte Sophie aus verschiedenen dunkeln Anspielungen, die ihrer Tante entfielen, einen Argwohn geschöpft, daß diese einsichtsvolle Dame ihre Leidenschaft für Jones ahnte. Sie entschloß sich daher, diese Veranlassung zu nehmen, alle dergleichen Mutmaßungen zu vernichten, und that zu dem Ende ihrem Betragen einen völligen Zwang an.

Erstlich also bemühte sie sich, ein traurig klopfendes Herz hinter der äußersten Munterkeit in ihrem Thun und Lassen und der größten Fröhlichkeit in ihrem ganzen Wesen zu verbergen. Zweitens richtete sie alle ihre Reden an Herrn Blifil, und that den ganzen Tag nicht, als ob sie den armen Jones bemerkte.

Der Junker war über dies Betragen seiner Tochter so entzückt, daß er die ganze Mahlzeit über kaum einen Bissen aß und fast seine ganze Zeit damit zubrachte, auf Gelegenheiten zu lauern, seiner Schwester durch Blicke und Kopfnicken seinen Beifall zu verstehen zu geben, welche anfangs von dem was sie sah nicht so gänzlich befriedigt war, als ihr Bruder.

Kurz, Sophie übertrieb ihre Rolle dermaßen, daß ihre Tante anfangs darüber stutzte und bei ihrer Nichte einige Verstellung zu mutmaßen begann. Da sie indessen selbst ein Frauenzimmer von großer Kunst war, so schrieb sie auch dieses sehr bald einer weit getriebenen Kunst bei Sophien zu. Sie erinnerte sich der vielen Anspielungen, deren sie sich gegen ihre Nichte über ihre Verliebtheit hatte entfallen lassen, und bildete sich ein, das junge Fräulein habe diesen Weg gewählt, um sie durch eine übertriebene Höflichkeit aus ihrer Meinung herauszuwitzeln; eine Meinung, welche durch die ungemeine Munterkeit, womit das Ganze begleitet ward, gar[245] sehr bestärkt wurde. Wir können hier nicht umhin, anzumerken, daß diese Mutmaßung besser gegründet gewesen wäre, wenn Sophie ungefähr zehn Jahre in der Hofluft gelebt hätte, woselbst junge Damen eine wundersame Fertigkeit erlernen, mit dieser Leidenschaft zu schäkern und zu tändeln, welche in einer zwanzig Meilen weiten Entfernung von der Residenz in Hainen und Wäldern eine höchst ernsthafte Angelegenheit ist.

Die Wahrheit ist, wenn wir den Betrug bei andern entdecken wollen, so kommt es sehr viel darauf an, daß unsre eigene List mit der ihrigen genau in einem Tone gestimmt sei (wenn ich mich dieses musikalischen Kunstworts bedienen darf), denn sehr feine Schälke schießen zuweilen vorbei, weil sie andre für weiser oder, mit andern Worten, für größere Schelme halten, als solche wirklich sind. Da diese Bemerkung so ziemlich aus der Tiefe heraufgeholt ist, so will ich solche durch folgendes Geschichtchen ein wenig illuminieren. Drei Landleute setzten einem Diebe von Wiltshire durch Brentford nach. Der Einfältigste von ihnen riet seinen Gefährten, als er ein Haus erblickte, das die Wiltshirer Herberge zur Aufschrift aushängen hatte, man müßte hineingehen, denn da würden sie, meinte er, ihren Landsmann finden. Der zweite, welcher weiser war, lachte über seine Einfalt; der dritte aber, der noch weiser war, antwortete: »doch, doch! laßt uns hineingehen, denn er wird nicht denken, daß wir ihn für so dumm halten, daß er unter seine eigene Landsleute gehen solle.« Sie gingen also hinein und suchten das Haus durch, und dadurch versäumten sie es, den Dieb einzuholen, der damals nur einen kleinen Vorsprung vor ihnen hatte, und der, wie sie alle wußten, nur nicht daran dachten, nicht lesen konnte.

Der Leser wird mir eine kleine Abschweifung verzeihen, worin in so schätzbares Geheimnis mitgeteilt wird, weil jeder weise Spieler die Notwendigkeit eingestehen wird, genau zu wissen, wie der andre seine Karten zu spielen gewohnt ist, um ihn zwischen die Hand zu bringen, wie der Kunstausdruck lautet. Dies gibt aber eine Ursache an die Hand, warum der weisere Mann, wie man oft sieht, dem schwächern zur Katzenpfote dient, und warum unbefangene, unschuldige Charaktere gemeiniglich mißverstanden und mißdeutet werden; was aber noch wesentlicher ist, dies wird es erklären, wie Sophie ihre Tante hatte hintergehen können.

Nachdem die Mahlzeit geendigt war und die Gesellschaft sich in den Garten begeben hatte, zog Herr Western, der von alledem was seine Schwester ihm gesagt durch und durch überzeugt war, Herrn Alwerth auf die Seite und plumpte mit dem Vorschlage einer Verbindung zwischen Sophien und dem jungen Herrn Blifil heraus.

Herr Alwerth war keiner von jenen Menschen, denen bei einer[246] unerwarteten plötzlichen Nachricht von zeitlichen Vorteilen gleich das Herz pocht. Sein Gemüt war wirklich mit derjenigen Philosophie gestählt, welche einem Mann und einem Christen geziemt. Er heuchelte keine Unempfindlichkeit gegen alles Vergnügen, alle Schmerzen, alle Freuden und allen Gram. Er war aber auch nicht sogleich durch jeden zufälligen Windstoß, durch jedes Lächeln oder Stirnrunzeln des Glücks zerknittert und aus den Falten gebracht. Er hörte also Herrn Westerns Vorschlag an, ohne irgend eine sichtbare Gemütsbewegung und ohne im geringsten seine Fassung zu verlieren. Er sagte, das Bündnis sei von der Beschaffenheit, wie er es aufrichtig wünsche. Darauf ließ er sich in sehr gerechte Lobsprüche über die Verdienste des jungen Fräuleins heraus, gestand, daß das Anerbieten, was den Punkt des Vermögens beträfe, vorteilhaft sei; und nachdem er Herrn Western für die gute Meinung, die er für seinen Neffen geäußert, Dank gesagt hatte, schloß er damit, wenn die jungen Leute einander leiden möchten, so würde er sehr bereit sein, die Sache abzuschließen.

Herr Western war ein wenig betroffen über Herrn Alwerths Antwort, welche nicht so warm war als er erwartete. Er behandelte den Zweifel »ob die jungen Leute einander leiden möchten« mit großer Schnödigkeit, indem er sagte: Eltern wären die besten Richter über die Zulässigkeit der Verbindungen ihrer Kinder; seinerseits würde er auf dem unterwürfigsten Gehorsam seiner Tochter bestehen, und wenn irgend ein junger Bursche eine solche Bettgesellin ausschlagen könnte, so wäre er sein gehorsamer Diener! Und somit hoff' er, wär' das Unglück nicht groß.

Alwerth bemühte sich, seines Nachbarn Zorn durch manche Lobsprüche auf Sophie zu besänftigen und versicherte ihm, er zweifle gar nicht, sein Neffe würde das Anerbieten mit viel Freuden annehmen; aber alles war umsonst! Er konnte von dem Junker keine andre Antwort herausbringen als: »Ich sag' nichts weiter – hoff' unterthänigst, d's Unglück ist nicht groß – dabei bleibt's!« welche Worte er wenigstens wohl hundertmal wiederholte, ehe seine Gäste wegfuhren.

Alwerth kannte seinen Nachbar zu gut, um ihm sein Betragen übelzunehmen; und ob er gleich die Strenge, womit manche Eltern ihre Kinder im Punkte des Verheiratens behandeln, dergestalt mißbilligte, daß er beschlossen hatte, seines Neffen Neigungen niemals Gewalt anzuthun, so war ihm bei dem allem doch die Aussicht auf die Vereinigung sehr angenehm, denn das ganze Land erscholl von Sophiens Lob, und er selbst hatte die ungemeinen Gaben ihres Geistes und Vollkommenheiten ihres Körpers aufrichtig bewundert; wozu wir dann auch noch, wie ich glaube, die Rücksicht[247] auf ihr Vermögen mitrechnen können, denn so wie er zu mäßig war sich davon berauschen zu lassen, so war er doch auch zu vernünftig, um es zu verachten.

Und hier muß und will ich trotz aller belfernden Kritiker in der Welt eine Nebenbetrachtung über die wahre Weisheit einschalten, in welcher Herr Alwerth wirklich ein ebenso großes Muster war, als in der Güte des Herzens.

Wahre Weisheit also, ungeachtet alles dessen, was Herrn Hogarths Poet gegen den Reichtum mag geschrieben haben, und trotz alledem, was irgend ein reicher, wohlgenährter geistlicher Redner gegen das Vergnügen predigen mag, besteht nicht in schnöder Verachtung des einen oder des andern dieser Dinge. Ein Mann kann beim Besitz eines sehr erklecklichen Vermögens ebensoviel Weisheit haben, als irgend ein Bettler in den Gassen, oder kann sich seines schönen Weibes, oder seines herzigen Freundes erfreuen, und doch dabei noch immer ebenso weise bleiben, als irgend ein trübsinniger Mönch, der alle seine geselligen Triebe vergräbt und seinen Bauch schmachten läßt, derweil er seinen Rücken tapfer geißelt.

Die Wahrheit zu sagen, ist der weiseste Mann gerade der tüchtigste, alle zeitliche Vorteile in einem hohen Grade zu besitzen; denn so wie diejenige Mäßigkeit, welche die Weisheit vorschreibt, der sicherste Weg zu nützlichem Reichtum ist, so kann auch eben diese Mäßigkeit allein uns fähig machen, manch ein Vergnügen zu schmecken. Der weise Mann labt jeden Appetit und jede Leidenschaft, unterdessen daß der Thor alle übrigen aufopfert, um nur eine Leidenschaft bis zum Eckel zu sättigen.

Man kann mir einwerfen, daß sehr weise Männer äußerst geizig gewesen sind. Ich antworte: In dem Fall waren sie nicht weise. Ebenso kann man sagen, daß die weisesten Männer in ihrer Jugend das Vergnügen unmäßig geliebt haben. Ich antworte: Sie waren damals noch nicht weise.

Kurz die Weisheit, deren Lehren für den, der bei ihr in die Schule gegangen ist, als so schwer zu begreifen hingestellt worden sind, lehrt uns, eine klare Maxime (die selbst von den niedrigsten Ständen allgemein erkannt und befolgt wird) ein wenig weiter auszudehnen, als es in den niedern Ständen angeht, und die heißt: »Kaufe nichts zu teuer.«

Wer nun diese Maxime mit auf den großen Markt der Welt nimmt und sie bei jeder Ware, sei es Ehre, Reichtum, Vergnügen, oder was da sonst feil ist, zu Rate zieht, der ist, ich wage es zu behaupten, ein weiser Mann und muß nach dem buchstäblichen Sinne des Worts dafür erkannt werden: denn er trifft den besten Handel, weil er in der That jedes Ding für den Preis von ein[248] wenig Mühe einkauft, und bringt alle die obgenannten hübschen Sachen mit nach Hause, und behält dabei seine Gesundheit, seine Unschuld und seinen guten Namen, (die gewöhnlichen Preise, welche andre dafür bezahlen), unverringert, ungeschmälert für sich.

Von dieser Mäßigung lernt er gleichfalls noch zwei andre Lektionen, welche seinen Charakter vollenden. Erstlich, niemals zu jauchzen, wenn er den besten Kauf gethan hat; und zweitens, niemals niedergeschlagen zu sein, wenn der Markt leer ist, oder wenn der Marktpreis für ihn zu hoch gestiegen sein sollte.

Jedoch, ich muß nicht vergessen, was ich eigentlich schreibe und muß die Geduld eines gutmütigen Kunstrichters nicht zu sehr mißbrauchen. Hier mache ich also diesem Kapitel ein Ende.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 244-249.
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