Neuntes Kapitel.

[266] Viel stürmischer als das vorige.


Ehe wir weiter fortfahren zu erzählen, was nun unsrem liebenden Paar begegnete, wird es dienlich sein, dasjenige beizubringen, was während ihrer zärtlichen Unterredung unten im Vorsaal vorging.

Sobald als Jones den Herrn Western auf die vorhin erzählte Weise verlassen hatte, kam seine Schwester zu ihm und empfing sehr bald Nachricht von allem, was zwischen ihrem Bruder und ihrer Nichte in Ansehung Blifils vorgefallen war.

Dieses Betragen ihrer Nichte legte die gute Dame aus als einen völligen Bruch der Traktate, nach welchen sie sich verbunden hatte, aus ihrer Liebe gegen Jones ein Geheimnis zu machen. Sie hielt sich also demzufolge für völlig frei, alles was sie wußte dem Junker zu offenbaren, was sie auch den Augenblick ohne alle Vorrede oder sonstige Zierlichkeiten und in den deutlichsten Ausdrücken that.

Der Gedanke an eine Heirat zwischen Jones und seiner Tochter war dem Junker niemals, weder in den wärmsten Minuten des Wohlwollens gegen diesen jungen Mann, noch aus Argwohn oder Verdacht, noch bei sonst einer Gelegenheit in den Sinn gekommen. Er hielt wirklich eine Gleichheit des Vermögens und des Standes für ebenso physikalisch notwendig bei einer Ehe, als die Verschiedenheit der Geschlechter, oder ein ander dergleichen wesentliches Erfordernis, und hatte ebensowenig besorgt, daß seine Tochter sich in einen armen Menschen verlieben würde, als irgend in ein andres Tier von verschiedener Gattung.[266]

Ihm ward also bei seiner Schwester Erzählung als einem vom Donner getroffenen. Anfangs war es ihm unmöglich zu antworten, weil ihn die gewaltige Bestürzung fast alles Atems beraubt hatte. Dieser stellte sich indessen bald wieder ein und zwar, wie es bei andern Fällen nach einer Ruhezeit zu geschehen pflegt, mit verdoppelter Stärke und Wut.

Den ersten Gebrauch, den er von der Gabe der Sprache machte, nachdem er solche nach überstandener Wirkung seines plötzlichen Erstaunens wieder erlangt hatte, war, eine derbe Ladung von Flüchen und Verwünschungen herabzudonnern. Hierauf wackelte er hastig nach dem Gemach, wo er die Verliebten anzutreffen meinte, und murmelte oder vielmehr brauste Vorsätze von Rache bei jedwedem Schritt, den er that.

So wie zwei Tauben oder zwei Turteltauben, oder so wie wenn Strephon und Phyllis (denn das letztere liegt näher zum Ziele) sich in einem angenehmen einsamen Wäldchen verborgen halten, um der ergötzlichen Unterhaltung des Gottes Amor zu genießen, dieses blöden Götterknabens, welcher sich schämt, in Gesellschaft zu sprechen, und niemals bei mehr als zweien zugleich ein guter Gesellschafter ist; sollte hier, wenn alles umher heiter erscheint, plötzlich ein lauter Donner durch die zerrissenen Wolken hervorkrachen und sein fürchterliches Gebrüll über ihren Häuptern dahinrollen, so rafft sich das erschrockene Mädchen auf vom moosigen Ufer, oder vom grünenden Rasen; die bleiche Livree des Todes folgt auf die rote Regimentsfarbe, womit Amor vorher ihre Wangen bekleidet hatte; Angst und Furcht erschüttern ihr ganzes Gebein, und kaum kann ihr Geliebter ihre zitternden, schwankenden Glieder unterstützen. – Oder als wenn zwei durstige Herren, unbekannt mit dem erfindungsreichen Witze des Orts, in einem Gasthofe oder Weinhause zu Salisbury sitzen und ihre Flasche leeren. Wenn der große Löhley, der seine Rolle als Tollhäusler ebensogut spielt, als einige seiner Ansteller die Rolle des Narren, mit seinen Ketten zu rasseln beginnt und sein Lied zwischen den Zähnen brummend auf der Galerie daherkommt, der erschrockene Fremde Maul und Augen aufreißt, die von dem fürchterlichen Getöse gellenden Ohren zuhält – einen Ort sucht, der ihn vor der annahenden Gefahr schützen könne, und, wenn die wohlvergitterten Fenster ihm einen Ausgang erlaubten, seinen Hals daran wagen würde, der drohenden Wut zu entwischen, welche jetzt sich ihm zu nahen scheint: – So zitterte die arme Sophie, so erblaßte sie vor dem Getöse ihres Vaters, der mit einer Stimme, erschrecklich zu hören, fluchend herbeikam und ihrem Jones den Untergang drohte und schwur. Die Wahrheit zu sagen, glaube ich, würde der Jüngling selbst aus einigen klugen Bedenklichkeiten in diesem[267] Augenblicke einen andern Ort des Aufenthalts vorgezogen haben, hätte sein Schrecken und seine ängstliche Besorgnis für Sophie ihm Freiheit gelassen, über etwas nachzudenken, das ihn selbst auf keine andre Weise betraf, als insofern seine Liebe ihn an allem teilnehmen hieß, was seine Sophie anging.

Und nun erblickte der Junker, nachdem er die Thüre aufgesprengt hatte, einen Gegenstand, der augenblicklich aller seiner Wut gegen Jones Einhalt that; dies war Sophiens totenbleiche Gestalt, die ohne Leben in ihres Geliebten Arm hingesunken war. Western ward dieses dramatischen Anblicks nicht sobald gewahr, als ihn seine ganze Raserei verließ. Er schrie mit der heftigsten Gewalt um Hilfe, rannte erst auf seine Tochter zu, dann wieder zurück nach der Thüre, rief: Wasser, Wasser! und dann abermal zurück nach Sophie, ohne darauf zu achten, in wessen Armen sie sich befände, oder auch vielleicht ohne sich einmal zu erinnern, daß ein solcher Mensch wie Jones in der Welt sei; denn wirklich, glaube ich, war jetzt der gegenwärtige Zustand seiner Tochter der einzige Punkt, welcher seine Gedanken beschäftigte.

Es währte gar nicht lange, so kam die gnädige Tante Western und eine große Anzahl von Bedienten mit Wasser, Herzstärkungen und allen übrigen Erfordernissen bei solchen Gelegenheiten herbei, um Sophien Hilfe zu leisten. Diese Dinge wurden mit so gutem Erfolg angewendet, daß Sophie nach einigen wenigen Minuten sich zu erholen begann und wieder alle Merkmale des Lebens blicken ließ.

Hierauf ward sie alsobald von ihrer eignen Jungfer und ihrer Tante hinweggeführt; auch trat diese gute Dame nicht eher vom Schauplatze ab, als bis sie ihrem Bruder einige heilsame Erinnerungen hinterlassen, betreffend die schrecklichen Wirkungen seines Zorns, oder, wie sie es zu nennen geruhte, seiner Tollheit.

Der Junker verstand vielleicht diesen guten Rat nicht, weil er mit dunkeln Anspielungen, Achselzucken und Verwunderungszeichen gegeben ward. Zum wenigsten, wenn er ihn auch verstand, machte er davon eben keinen Gebrauch, denn seine unmittelbare Besorgnis um seine Tochter war nicht so bald vorüber, als er in seine vorige Raserei verfiel, welche auf der Stelle eine Schlägerei mit Jones hätte hervorbringen müssen, wenn nicht Herr Pastor Schickelmann, ein Herr von vieler Knochenstärke, zugegen gewesen wäre und mit seinem kräftigen Arm den Junker von Gewaltthätigkeiten abgehalten hätte.

Den Augenblick, als Sophie weggebracht worden, nahte sich Jones in bittender Stellung dem Junker, welchen der Pfarrer in seinen Armen hielt, und bat ihn, sich zu fassen, weil es unmöglich[268] sei, so lange er in solchem Zorn verharre, ihm die geringste Satisfaktion zu geben.

»Satisfakschon will 'ch haben von dir,« antwortete der Junker, »und so nur abgeschält den Kittel! Bist'n halber Kerl nur; 'ch will dich wixen, sollst nicht so abgewixt sein in dein'n ganzen Leben!« Hierauf bespritzte er den Jüngling mit einem Ueberfluß von solchen Redensarten, welche unter unerzogenen Landjunkern und Pächtern gewöhnlich sind, wenn sie über eine Sache verschiedene Meinungen behaupten, und dabei gab er ihm wiederholte Einladungen, denjenigen Teil seines Leibes zu küssen, dessen Namen unter dem patriarchalisch lebenden und redenden niedern Adel des Landes in allen ihren Streitigkeiten bei Pferderennen, Hahnengefechten und andern dergleichen Lustbarkeiten so oft gehört, und auf welchen, des lieben Spaßes wegen, so oft angespielt wird, ohne zu bedenken, daß es den Philistern kein Spaß war, als sie vor alten Zeiten den Juden, um ferneres Blutvergießen zu verhindern, fünf goldene und fünf silberne Abgüsse dieses blöden Teils zum Tribute bringen mußten. Bei alledem, glaube ich, herrscht ein allgemeiner Mißverstand bei diesem Witze. Eigentlich steckt es nur im unähnlichen Klange der Wörter Kuß und Fuß, daß ein Herr von jemand fordert, er solle ihm da einen Kuß geben, wohin er demselben kurz vorher gedroht hat, mit dem Fuß zu stoßen; denn soviel habe ich genau bemerkt, daß niemand diesen Kuß einem andern anbietet, noch um den Fußtritt bittet. Es mag gleichfalls bewundernswürdig scheinen, daß bei den vielen Tausenden freundschaftlicher Einladungen von dieser Art, welche ein jeder der mit jenen patriarchalisch-philistrischen Nachkömmlingen nur einigen Umgang hat, gehört haben muß, doch niemand, wie ich glaube, ein einziges Beispiel gesehen habe, wo man das Begehren erfüllt hätte. Ein großer Beweis von ihrem Mangel an feiner Lebensart! denn in der Residenzstadt ist unter den Herren von der feinsten Lebensart nichts gewöhnlicher, als diese Zeremonie täglich bei ihren Obern und Vorgesetzten zu verrichten, ohne einmal von solchen um diese Gunstbezeigung gebeten zu werden.

Auf diesen Witz antwortete Jones ganz gelassen: »Herr von Western, diese Begegnung mag vielleicht eine jedwede andre Verbindlichkeit, die Sie mir erwiesen haben, aufheben; eine aber ausgenommen, die Sie niemals aufheben werden; auch soll mich Ihr Schimpfen und Drohen nicht so weit aufbringen, meine Hand gegen Sophiens Vater aufzuheben.«

Bei diesen Worten ward der Junker noch rasender als vorher, so daß der Pfarrer den Jones bat, sich zu entfernen, indem er sagte: »Sie sehen ja, Herr Jones, Ihre Gegenwart macht ihn nur[269] immer ärger; darum lassen Sie mich Sie bitten, hier nicht länger zu verweilen. Sein Zorn ist zu sehr entbrannt, als daß Sie jetzt ein vernünftiges Wort mit ihm wechseln könnten. Sie thun daher besser, Ihren Besuch abzubrechen, und das was Sie zu Ihrer Vertheidigung anzuführen haben, auf eine andre Gelegenheit zu verschieben.«

Jones nahm diesen Rat mit Dank an und ging den Augenblick fort. Der Junker erhielt nun seine Hände wieder frei und so viel Mäßigung, darüber seine Zufriedenheit zu bezeigen, daß man ihn mit Gewalt zurückgehalten hätte, denn er beteuerte, er würde ihm gewiß das Gehirn aus dem Kopf geschlagen haben, und setzte hinzu: »'s würd' ein'n doch verflucht geärgert haben, wenn man eines solchen Schufts wegen aufs Schafott gekommen wäre.«

Der Geistliche fing nun an zu triumphieren über den glücklichen Ausgang seines Pazifikationsgeschäftes und ging dann über zu einer Predigt gegen den Zorn, welche vielleicht vermögender gewesen sein möchte, diese Leidenschaft bei einigen hastigen Gemütern eher zu erregen, als zu besänftigen. Diese Predigt verbrämte er mit mancher wichtigen Stelle aus den Alten, besonders aus dem Seneka, welcher wirklich so viel Gutes über diese Leidenschaft gesagt hat, daß ihn niemand, als ein zorniger Mann, ohne großen Nutzen und großes Vergnügen lesen kann. Der Herr Magister schloß seine Standrede mit der Geschichte vom Alexander und Clitus. Doch, da ich finde, daß in meinem Kollektaneenbuche diese Geschichte unter dem Artikel Betrunkenheit steht, so nehme ich Anstand, solche hier einzuschalten.

Der Junker gab auf diese Geschichte keine Achtung, sowie vielleicht auf nichts von alledem, was er sagte, denn er fiel ihm, noch ehe er damit zu Ende war, in die Rede und verlangte eine Kanne Bier, wobei er bemerkte (und seine Bemerkung war vielleicht ebenso wahr, als irgend eine andre Bemerkung über dieses Seelenfieber,): »Aerger macht einen trockenen Hals.«

Der Junker hatte nicht so bald einen derben Zug hinuntergeschluckt, als er wieder von Jones zu sprechen begann und den Entschluß äußerte, er wolle den nächsten Morgen ganz früh hingehen und es Herrn Alwerth hinterbringen. Sein Freund wollte ihm aus bloßer Gutherzigkeit hiervon abraten, aber sein Abraten that weiter keine Wirkung, als eine große Ladung von Schwüren und Flüchen hervorzulocken, welche den andächtigen Ohren des Herrn Schickelmann sehr wehe thaten; doch wagte er es nicht, gegen die wohlhergebrachten Gerechtsamen eines frei- und edelgeborenen Junkers Vorstellungen zu thun. Die Wahrheit zu sagen, war dem Pfarrer das Vergnügen, das er seinem Gaumen an des Junkers Tische verschaffte, immer noch den Preis wert, den er dafür[270] von Zeit zu Zeit mit diesem Ohrenzwange bezahlen mußte. Er befriedigte sich damit, zu denken, daß er diese üble Gewohnheit nicht eigentlich bestärke, und daß der Junker deswegen keinen Fluch weniger ausstoßen würde, wenn er auch niemals zu seinen Pforten einginge. Unterdessen, ob er gleich nicht so wenig Lebensart besaß, einem ehrlichen Manne in seinem eigenen Hause Vorschriften zu geben, so machte er ihn dafür so ganz seitwärts von der Kanzel herunter. Dies that nun freilich nicht die gute Wirkung, den Junker selbst zu einer Besserung zu bewegen; aber so viel wirkte es doch auf dessen Gewissen, daß er gegen andre die Gesetze des Landes desto schärfer in Ausübung brachte, und die höchste obrigkeitliche Person war im ganzen Kirchspiele die einzige, welche ungestraft fluchen und schwören durfte.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 266-271.
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