Siebentes Kapitel.

[259] Gemälde von einer förmlichen Brautwerbung, en Miniature, wie solche Gemälde immer gemacht werden sollten, und eine Szene von zärtlicherer Gattung, gemalt in Lebensgröße.


Es hat einer (und vielleicht mehrere) sehr richtig angemerkt, daß selten ein Unglück allein kommt. Diese weise Maxime ward jetzt von Sophien bewährt befunden, welche sich nicht nur in der Hoffnung, den Mann zu sehen, den sie liebte, getäuscht fand, sondern auch noch den Verdruß hatte, daß sie sich ankleiden und herausputzen mußte, um von dem Manne, den sie haßte, einen Besuch anzunehmen. Diesen Nachmittag eröffnete Herr Western seiner Tochter zum erstenmale seine Willensmeinung, indem er sagte: er wüßte recht gut, daß sie es schon von ihrer Tante erfahren hätte. Sophie machte hierzu eine sehr ernsthafte Miene, und konnte einem Paar Thränen nicht wehren, die sich in ihre Augen drängten. »Komm! komm! weg mit deinem Jungferngeziere! Weiß all's, glaub' mir's, weiß alles, d'e Schwester hat mir alles gesagt.«

»Ist es möglich,« sagte Sophie, »daß meine Tante mich bereits verraten haben kann?« – »Wieso?« sagte Western, »verraten! dich! hm! hast dich gestern mittag bei Tisch nicht selbst verraten? mir dünkt, d' hätt'st deinen Herzenswunsch deutlich genug sehen[259] lassen. Aber so ist's, ihr jungen Dinger wißt niemals, was ihr recht wollt. So! weißt wohl nich, daß ich dich mit dem Manne verheiraten will, in den du verliebt bist! dein' Mutter selige, 'ch erinner' mich's noch, zimperte und flensete auf eben die Manier. Aber, kaum vierundzwanzig Stunden währt's, als wir getraut waren, da war all's über, all's über. Blifil ist 'n junger, frischer Kerl, der wird dir das Geziere bald abgewöhnen. Komm, freundlich! bis freundlich! er muß all' Augenblick kommen.«

Sophie war nunmehr überzeugt, daß ihre Tante ihr redlich Wort gehalten habe; und sie beschloß diesen unangenehmen Nachmittag so standhaft als möglich auszuhalten, um ihrem Vater nicht den geringsten Verdacht zu erwecken.

Bald darauf langte Herr Blifil an. Nach einer kleinen Weile begab sich Herr Western hinweg und ließ das junge Paar allein.

Hier erfolgte ein Stillschweigen, das beinahe eine Viertelstunde dauerte; denn der Herr Bräutigam, der doch die Konversation beginnen sollte, besaß alle jene unanständige Bescheidenheit, welche in der Blödigkeit besteht. Er strengte sich oft an, zu sprechen; und ebenso oft verschluckte er seine Worte wieder, wenn er sie eben bis zur Spitze der Zunge gebracht hatte. Endlich brachen sie hervor in einem Strome von weit hergesuchten und hochtrabenden Komplimenten; auf welche von der andern Seite mit niedergeschlagenen Blicken, halben Knixen und einsilbigen Tönen geantwortet wurde. Blifil war im Umgange mit den Frauenzimmern so unerfahren und hatte eine so gute Meinung von sich selbst, daß er dieses Betragen für eine bescheidene Einwilligung in seinen Liebesantrag aufnahm, und als Sophie, um einen Auftritt zu verkürzen, den sie nicht länger aushalten konnte, aufstand und das Zimmer verließ, so setzte er auch das auf Rechnung ihrer schüchternen Blödigkeit, und tröstete sich damit, daß er ihre Gesellschaft bald oft und satt genug haben würde.

Er war wirklich mit dem guten Gange seines Liebesgeschäftes vollkommen wohl zufrieden: denn was den gänzlichen und völligen Besitz des Herzens seiner Geliebten anlangte, welchen romantische Liebhaber zu begehren pflegen, so war ihm daran noch nicht der mindeste Gedanke in den Kopf gekommen. Ihr Vermögen und ihre Person waren die einzigen Gegenstände seiner Wünsche, zu deren Besitz er, wie er nicht zweifelte, gar bald gelangen würde; weil Herrn Westerns Sinn so ernsthaft auf dieses Familienpaktum gestellt war, und weil er den strengen Gehorsam wohl kannte, welchen Sophie dem Willen ihres Vaters in allen Dingen zu leisten gewohnt war, und den noch weit strengern, welchen der Vater erzwingen würde, wenn Not an Mann gehen sollte. Dieses väterliche[260] Ansehen also, zusammengenommen mit den Reizungen, die, nach seiner Einbildung, sich in seiner Person und seinem Umgange befänden, könnten nach seiner Meinung nicht fehlen, den Willen des Fräuleins zu lenken, deren Neigung, wie er nicht zweifelte, noch völlig frei wäre.

Auf Jones war er ganz und gar nicht eifersüchtig; und ich habe es oft für wunderseltsam gehalten, daß er es nicht war. Vielleicht bildete er sich ein, daß der Ruf, in welchem Jones in der ganzen Nachbarschaft umher stand (mit welchem Recht oder Unrecht, mag der Leser entscheiden), daß er einer der wildesten Burschen im ganzen Reiche sei, ihn bei einem so außerordentlich modesten Frauenzimmer verhaßt machen könne. Vielleicht auch, daß Sophiens und Jones' Betragen, wenn sie alle beisammen in Gesellschaft waren, ihn in Schlaf gewiegt hatte. Endlich, und eigentlich hauptsächlich, war er sicher überzeugt, daß ihm keine andere Ichheit im Wege stand. Nach seiner Einbildung kannte er unsern Jones durch und durch bis auf den Grund, und hatte wirklich eine große Verachtung für seinen Verstand, weil er so wenig auf seinen eigenen Nutzen bedacht war. Er besorgte nicht, daß Jones in Sophien verliebt wäre, und, was die übrigen kleinen Finanzgründe bei einer solchen Sache beträfe, meinte er, solche würden auf einen so einfältigen Gauch wenig wirken. Ueberdem, dachte der kluge Blifil, wäre die Bekanntschaft mit Molly Seegrim noch im vorigen Gange, und meinte wirklich, dieser Gang würde das Paar zum Traualtar führen: denn Jones liebte ihn wirklich von Kindesbeinen an, und hatte für ihn kein Geheimnis gehabt, bis sein Betragen während der Krankheit des Herrn Alwerth sein Herz völlig von ihm abgezogen hatte. Und diese Mißhelligkeit welche damals entstanden und noch nicht so völlig wieder ausgesöhnt war, machte, daß Blifil nichts von der Veränderung erfahren hatte, die mit dem Liebeshandel zwischen Molly und Jones vorgegangen war.

Aus diesen Ursachen sah Herr Blifil also kein Hindernis, das seinem Glücke bei Sophien im Wege stände. Er machte in seinem frommen Sinne den Schluß, ihr Benehmen sei so, wie aller jungen Bräute beim ersten Besuche des Bräutigams; und im Grunde hatte er nicht das Mindeste weiter erwartet, als was er fand.

Herr Western trug Sorge, dem Bräutigam den Weg zu verrennen, als er von seiner Geliebten heimgehen wollte. Er fand ihn so entzückt über sein Glück, so verliebt in seine Tochter, und so zufrieden über die Art wie sie ihn aufgenommen hätte, daß der alte Herr anfing, auf seine eigene Hand in seinem Vorsaale herumzuspringen und zu tanzen, und durch allerlei andre Handlungen und Gebärden das Uebermaß seiner Freude an den Tag zu legen;[261] denn er hatte nicht die geringste Macht über seine Gemütsbewegungen, und diejenige, welche eben in seinem Herzen die Oberhand hatte, riß ihn allemal zu den wildesten Ausschweifungen fort.

Gleich nachdem Blifil sich empfohlen hatte, welches erst nach vielen Umarmungen und herzlichen Küssen von Herrn Western geschehen konnte, ging der gute Junker alsobald hin seine Tochter aufzusuchen, und er hatte sie nicht so bald gefunden, als er in die allerzügellosesten Freudebezeigungen ausbrach; ihr gebot, sie solle sich an Kleidern und Juwelen aussuchen was ihr nur gelüste; und beteuerte, er habe sein Vermögen zu keinem andern Gebrauche als sie froh und glücklich zu machen. Dann liebkoste er sie abermals und abermal mit dem größten Uebermaß von Zärtlichkeit; gab ihr die tändelndsten Liebe-Kinder-Namen, und versicherte aufs feierlichste, sie sei seine einzige Freude auf Erden.

Als Sophie ihren Vater in dieser Anwandlung von Herzensergießung sah, wovon sie die Ursache nicht so eigentlich begriff (denn, Anwandlungen von Zärtlichkeit waren wohl freilich nicht so selten bei ihm, aber die jetzige war doch heftiger als gewöhnlich), so dachte sie, sie könne niemals eine bessere Gelegenheit finden als diese, ihm ihr Herz zu eröffnen, wenigstens insofern, als es Herrn Blifil anbeträfe, weil sie gar zu gut voraussah, daß sie bald in die Notwendigkeit geraten würde, die ganze Lage der Sache aufzuklären. Nachdem sie ihrem Vater also für alle Zärtlichkeitsversicherungen gedankt hatte, fügte sie mit einem unaussprechlich sanften Blicke hinzu: »Ist's möglich, daß mein teuerster Papa so gütig sein kann, alle seine Freuden in dem Glück seiner Sophie zu finden!« – Und nachdem Western diese Frage mit einem kräftigen Schwur und einem Kuß bejahet hatte, ergriff sie seine Hand, fiel auf ihre Kniee und bat ihn, nach wiederholten warmen und herzlichen Versicherungen von kindlicher Liebe und Gehorsam, sie nicht dadurch zum unglücklichsten Geschöpfe auf Erden zu machen, wenn er sie zwänge, einen Mann zu heiraten, den sie ganz und gar nicht ausstehen könnte. »Dies flehe ich von Ihnen, liebster Papa,« sagte sie, »sowohl um Ihretwillen, als um meiner selbst willen, weil Sie so höchst gütig sind, mir zu sagen, daß Ihre Glückseligkeit an die meinige geheftet ist.« – »Wa – was?« sagt Western und starrt dabei wild umher. – »O, herzlichgeliebter Papa, nicht bloß die Glückseligkeit Ihrer armen Sophie, nein, selbst ihr Leben, ihr Dasein hängt daran, daß Sie diese Bitte erhören. Ich kann nicht leben mit diesem Blifil. Mich zu dieser Heirat zwingen, heißt mich töten.« – »Kannst nicht leben mit Blifil?« sagte Western. – »Nein, so wahr ich selig zu werden hoffe, ich kann nicht!« antwortete Sophie. – »Nun so stirb und fahr' zum Satan!« schrie er und stieß sie[262] fort von sich. – »O, Papa!« schrie Sophie und hielt einen Schoß seines Rockes, »erbarmen Sie sich meiner, ich bitte, ich flehe! sei'n Sie nicht so zornig und so gar grausam! – – Können Sie unerweicht bleiben, wenn Sie Ihre Sophie in so fürchterlichen Umständen vor sich sehen? Kann der beste von allen Vätern mein Herz durchbohren? Will er mich des schmerzhaftesten, bittersten, langsamsten Todes sterben seh'n?« – »Pah, pah!« schrie der Junker. »Wischi waschi! Unsinn! Lauter Jungferngeziere! Sterben sehn! Je, ja doch! Wirst du auch vom Heiraten sterben!« – »O teuerster Papa,« antwortete Sophie, »solch eine Heirat ist ärger als der Tod. – Er ist mir nicht nur gleichgültig, ich hass', ich verabscheu' ihn.« – »Hass'n hin, hass'n her!« schrie Western, – »sollst'n hab'n!« Dies bekräftigte er mit einem Eide, der zu fürchterlich war, um ihn zu wiederholen. Und nach mancher heftigen Beteurung schloß er mit diesen Worten: »Ich habe mein'n Sinn einmal drauf gesetzt, und wenn du nicht willst, wie ich: so kriegst du kein'n Schilling, nicht 'n roten Heller mit; nein, sag' ich dir, und sollt' ich dich auf der Straßen vor Hunger krepieren sehn! Nicht 'n Stück Brot wollt 'ch dir geben, um's Leben zu retten. Da hast du mein'n festen Entschluß, damit geh' 'ch; darnach kannst du dich richten!« Er riß sich darauf mit solcher Gewalt von ihr los, daß sie mit dem Gesicht gegen den Fußboden schlug, und er stürzte geradeswegs zum Zimmer hinaus und ließ die arme Sophie auf dem Boden hingestreckt liegen.

Als Western an den großen Vorsaal kam, fand er daselbst Herrn Jones; dieser, als er seinen Freund so wild aussehend, blaß und fast atemlos sah, konnte sich nicht entbrechen, sich nach der Ursache dieses melancholischen Anblicks zu erkundigen. Worauf ihn der Junker alsobald mit der ganzen Sache bekannt machte, und mit bittern Drohungen gegen Sophie, jämmerlichen Klagen über die Not und das Elend aller solcher Väter, welche so unglücklich wären, Töchter zu haben, seine Rede schloß.

Jones, welchem alle die Beschlüsse, welche man zu Gunsten Blifils gefaßt hatte, noch ein Geheimnis waren, stand anfangs bei dieser Erzählung fast wie vom Blitze gerührt; als er aber seine Lebensgeister ein wenig wieder gesammelt hatte, flößte ihm die bare Verzweiflung, wie er hernachmals sagte, den Einfall ein, Herrn Western etwas vorzuschlagen, wozu, wie es schien, mehr dreiste Unverschämtheit erfordert wurde, als jemals einer menschlichen Stirn beschert worden. Er bat um Erlaubnis, zu Sophien zu gehen, um zu versuchen, ob er ihre Zustimmung zu ihres Vaters Absichten bewirken könne.

Wäre der Junker ebenso scharfsichtig gewesen, als er wegen[263] des Gegenteils merkwürdig war, so könnte ihn doch gegenwärtig sehr wohl sein Zorn geblendet haben. Er dankte Jones für das Anerbieten, diesen Dienst zu übernehmen, und sagte: »Geh, geh, bitte! Versuch's, was du thun kannst.« Und dann stieß er eine Schar entsetzlicher Flüche aus, wie er sie aus'm Hause werfen wolle, wenn sie nicht in die Heirat willigte.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 259-264.
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