Drittes Kapitel.

[98] Enthält allerlei Materien.


Jones befand sich nicht so bald allein, als er begierig den Brief erbrach und las, wie folgt: »Es ist mir unmöglich Ihnen zu beschreiben,[98] was ich seitdem gelitten habe, da Sie dies Haus verlassen, und da ich Ursache habe zu glauben, daß Sie willens sind, wieder zu kommen, so habe ich Ihnen meine Jungfer geschickt, so spät auch schon der Abend ist, weil sie mir sagt, sie wisse wo Sie wohnen, um ihnen diesen Vorsatz auszureden. Ich bitte Sie bei aller Hochachtung, die Sie für mich haben, denken Sie nicht daran hier wieder einen Besuch zu machen, denn es wird gewiß entdeckt werden; ja, aus verschiedenen Reden, welche meiner Tante entfallen sind, muß ich fast vermuten, daß sie bereits einigen Argwohn geschöpft hat. Es ergibt sich ja wohl noch eine andre günstigere Gelegenheit! Wir müssen mit Geduld warten! Aber, ich wiederhole meine Bitte noch einmal, wenn Ihnen meine Ruhe nicht ganz gleichgültig ist, so denken Sie nicht weiter drauf, wieder hier ins Haus zu kommen.«

Dieser Brief gab dem armen Jones eben die Art von Trost, welchen ehedem Hiob von seinen Freunden bekam. Außerdem daß er ihm alle die Hoffnung vereitelte, die er sich davon versprach, wenn er Sophien sehen könnte, so war er in Rücksicht auf die Frau von Bellaston in die unglückseligste Verlegenheit versetzt; denn es gibt so gewisse Versprechungen, deren Nichterfüllung, wie er wohl wußte, sich höchst schwer entschuldigen lassen, und wieder hinzugehn, nachdem es ihm Sophie so dringend untersagt hatte, dazu hätte ihn keine menschliche Gewalt zwingen können. Endlich, nach vielen Ueberlegungen, welche diese Nacht hindurch die Stelle des Schlafes vertraten, beschloß er, sich krank zu stellen, denn dieses Mittel bot sich von selbst dar, als das einzige, um den abgeredeten Besuch zu unterlassen, ohne die Bellaston gegen sich aufzubringen, welches zu vermeiden er aus mehr als einer Ursach wünschen mußte.

Das erste indessen was er des Morgens that, war, an Sophie eine Antwort zu schreiben, die er in einen Umschlag an Jungfer Honoria einschloß. Alsdann sendete er einen andern Brief an die Frau von Bellaston, welcher die obenerwähnte Entschuldigung enthielt, auf welchen er in kurzer Zeit folgende Antwort erhielt:

»Es ist mir ärgerlich, daß ich Sie heute Nachmittag nicht bei mir sehen soll, noch mehr aber thut mir die Ursache leid. Sorgen Sie ja aufs beste für Ihre Gesundheit, und lassen Sie den geschicktesten Arzt rufen, und dann, hoffe ich, soll's keine Gefahr haben! Ich werde diesen Morgen von allerlei Narren geplagt, daß ich kaum einen Augenblick gewinnen kann, Ihnen zu schreiben. Adieu!«

P.S. »Ich will suchen, es möglich zu machen, heute Abend um Neune bei Ihnen vorzukommen. – Sorgen Sie, daß Sie allein sind.«

Herr Jones empfing nunmehr einen Besuch von Madame Miller, welche, nach einer feierlichen Einleitung, ihm folgende Anrede hielt: »Es thut mir sehr leid, Herr Jones, daß ich wegen einer solchen Veranlassung mir die Ehre geben muß, Ihnen aufzuwarten; aber ich hoffe, Sie werden die schlimmen Folgen in Ueberlegung ziehen, die es für den guten Namen meiner armen Mädchen haben müßte, wenn mein Haus nur einmal in eine üble Nachrede[99] käme. Ich hoffe also, Sie werden es mir nicht zum Argen auslegen, wenn ich Sie bitten muß, hinfüro weiter keine Frauenzimmer zu solcher späten Nachtzeit ins Haus kommen zu lassen. Die Glocke hatte zwei geschlagen, ehe die eine wieder wegging.« – »Ich versichre Sie, Madame,« sagte Jones, »das Frauenzimmer, welches vorige Nacht hier war und welches so spät blieb (denn das andere brachte mir bloß einen Brief), ist eine Dame von sehr hohem Stande und meine nahe Verwandte.« – »Von was für einem Stande sie sein mag, weiß ich nicht,« antwortete Madame Miller, »aber das weiß ich desto sicherer, daß kein tugendhaftes Frauenzimmer, es sei denn wirklich eine nahe Anverwandte, einen jungen Herrn des Abends um zehn Uhr besuchen und mit ihm bis um zwei Uhr des Morgens in seinem Zimmer allein bleiben wird. Ueberdem, Herr Jones, zeigte auch das Betragen ihrer Sänftenträger, was für eine Dame es war, denn sie hatten den ganzen Abend auf der Hausflur ihr Gehöhne über sie und fragten Rebhuhn im Beisein meiner Hausmagd, ob Madame Willens sei, die ganze Nacht durch bei seinem Herrn zuzubringen, mit einer Menge anderer unsauberer Redensarten, die sich für's Wiederholen nicht schicken. Ich habe wirklich einen großen Respekt vor Ihnen, Herr Jones, schon als vor einem artigen Manne; ja, ich habe Ihnen sehr große Verbindlichkeiten wegen Ihrer Großmut gegen meinen Vetter. In der That hab' ich nicht gewußt, wie sehr gut Sie gewesen waren, das hab' ich erst vor kurzem erfahren. Es war mir von weitem nicht eingefallen, zu was für schrecklichen Mitteln den armen Mann die Not getrieben hätte. Von weitem dachte ich's nicht, als Sie mir die zehn Guineen gaben, daß Sie solche einem Straßenräuber geschenkt hätten! Allmächtiger Gott! welche Güte haben Sie gezeigt! Von welch einem Unglück haben Sie diese Familie gerettet! Die Beschreibung, die mir der Herr von Alwerth von Ihnen gemacht hat, finde ich, trifft vollkommen zu. Und in der That, wenn ich auch Ihnen keine Verbindlichkeiten hätte, so hat der edle Mann eine solche Dankbarkeit von mir verdient, daß ich schon seinetwegen Ihnen die größte Hochachtung bezeigen würde, die nur in meinem Vermögen steht. Ja, glauben Sie mir, teuerster Herr Jones, wenn es auch nicht den guten Namen meiner Töchter und meinen eignen beträfe, so würde mich's doch um Ihrer selbstwillen kränken, daß ein so wackerer junger Herr mit solchen Weibsleuten Umgang haben sollte. Aber wenn Sie darauf beharren, diesen Umgang fortzusetzen, so muß ich Sie bitten sich anderwärts einzumieten, denn ich bin von Natur selbst eben nicht dafür, daß solche Dinge unter meinem Dache vorgehen, aber es ist mir dabei doch noch weit mehr um meine Töchter zu thun, welche, wie Gott weiß, außer ihrer unbescholtenen Ehre sehr wenig haben, das sie empfehlen kann.«

Jones stutzte bei dem Namen Alwerth und veränderte die Farbe. »In Wahrheit, Madame Miller,« antwortete er mit ein wenig Wärme, »Sie kränken mich nicht wenig. Ich will Ihrem Hause keine böse Nachrede zuziehn, aber die Freiheit darf ich mir nicht nehmen lassen, in meinem eignen Zimmer die Gesellschaft zu haben,[100] die ich will, und wenn Ihnen das im geringsten mißfällt, so werde ich mich, sobald ich nur kann, nach einem andern Quartier umsehen.« – »Es thut mir leid, Herr Jones, daß wir uns also trennen müssen,« sagte sie, »aber ich bin überzeugt, Herr von Alwerth selbst würde nicht über meine Schwelle kom men, wenn er nur den geringsten Verdacht hätte, daß ich so etwas in meinem Hause gestattete.« – »Nun wohl! Madame Miller, nun wohl!« sagte Jones. »Ich hoffe, mein lieber Herr Jones, Sie nehmen mir's nicht übel,« sagte sie, »denn ich möchte um alles in der Welt keinem von Herrn Alwerths Angehörigen etwas zuwider thun. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugethan, so ist mir diese Sache im Kopfe herumgegangen.« – »Es thut mir leid, daß ich Ihre Ruhe gestört habe, Madame!« sagte Jones. »Aber ich bitte nur, schicken Sie sogleich den Rebhuhn herauf.« Dies versprach sie zu thun und begab sich dann nach einer tiefen Verbeugung wieder weg.

Sobald als Rebhuhn herauf kam, fiel ihn Jones mit einer entsetzlichen Heftigkeit an: »Wie oft soll ich für Seine Narrheit büßen, oder vielmehr für meine eigne, daß ich Ihn um mich behalte? Hat Er's denn ordentlich drauf angelegt, mich mit Seiner Zunge ins Verderben zu bringen?« – »Was hab' ich denn gethan, Herr?« fragte Rebhuhn ängstlich. – »Wer gab ihm die Erlaubnis von der Straßenräubergeschichte zu schwatzen, oder zu sagen, daß der Mann, den Er hier sah, der Thäter gewesen?« – »Das hätte ich gethan?« – »Nun, mach' Er's nur nicht noch ärger durch Leugnen,« sagte Jones. – »Wenn ich mir so was habe entfallen lassen,« antwortete Rebhuhn, »so versichre ich Sie doch, daß ich kein Arg dran hatte, denn ich hätte meinen Mund nicht aufgethan, wär's nicht gegen seine eigne Freund' und Verwandte gewesen, und die, dachte ich, würden's ja nicht weiter ausbringen.« – »Ich hab' aber auch noch eine weit wichtigere Klage über Ihn, als diese,« sagte Jones. »Wie hat Er sich, nach allen Warnungen, die ich Ihm gegeben, dennoch unterstehn können, den Namen Alwerth hier im Hause zu nennen?« Rebhuhn leugnete mit vielen Schwüren, daß er das gethan habe. – »Wie hätte sonst,« sagte Jones, »Madame Miller erfahren können, daß er mich und ich ihn etwas anginge? Und eben diesen Augenblick hat sie mir gesagt, daß sie mich um seinetwillen hochschätzte.« – »O, lieber Gott, Herr!« sagte Rebhuhn, »wenn Sie mich nur wollen ausreden lassen, so sollen Sie sehn, wie unglücklich alles gekommen ist. Hören Sie mich nur aus, so werden Sie sehn, wie unrecht Sie mich beschuldigen. Als Mamsell Honoria gestern abend wieder weggehn wollte, begegnete sie mir auf der Flur und fragte mich, ob meine Herrschaft Briefe von Herrn Alwerth hätte, und es ist wahr, Madame Miller hörte alles, Wort für Wort, und den Augenblick als Mamsell Honoria fort war, ließ sie mich in ihre Stube kommen. Herr Rebhuhn, sagte sie, was für ein Herr Alwerth ist das, von dem die Mamsell sprach? Ist es der große Herr von Alwerth in Sommersetshire? – Auf mein Wort, Madame, sagt' ich, ich weiß nichts davon! – Ihr Herr ist doch nicht gar der Herr Jones, von dem Herr von Alwerth so oft mit[101] mir gesprochen hat? – Auf mein Wort, Madame, sagt' ich, ich weiß gar nichts davon! – Nun dann, sagte sie zu ihrer Tochter Nanette, so wahr wie der treue Eckhard, dies ist der junge Mann leibhaftig, ganz so wie ihn Herr von Alwerth beschrieben hat. Gott im Himmel weiß, wer's ihr gesagt hat, denn ich will der ärgste Schurke sein, der nur jemals auf zwei Beinen gestanden hat, wenn es aus meinem Munde gekommen ist. Sie können sich drauf verlassen, Herr, ich weiß ein Geheimnis zu verwahren, wenn man's von mir verlangt. Ich habe wirklich so wenig die Sache von Herrn Alwerth gesagt, daß ich sogar das pure Kontrarium gesagt habe, denn ob ich's gleich nicht auf der Stelle widersprach und besserer Rat, wie man sagt, kommt über Nacht, so fiel mir's ein, daß jemand geträtscht haben müßte, und so dacht' ich bei mir selbst, ich will der Geschichte ein Ende machen, und so ging ich wieder hin in die Stube, ein Weilchen nachher, und sagt' auf mein Wort, sag' ich, wer Ihnen gesagt hat, daß dieser Herr der Herr Jones ist, das heißt, sagt' ich, daß dieser Herr Jones der andre Herr Jones ist, der hat Ihnen eine schändliche Lüge g'sagt, und ich bitte Sie, sagt' ich lass'n Sie sich doch von so was ja nichts merken, sagt' ich; denn mein Herr, sagt' ich, wird denken, ich müßt' es Ihn'n gesagt hab'n. Und da laßt jemand auftret'n im ganzen Hause und sag'n, ob ich jemals so 'n Wort gesagt habe. Gewiß Herr, 's ist eine ganz wunderliche Sache und ich habe seitdem beständig drüber nachgeson'n, wie's zugegangen sein kann, daß sie's erfahren hat, wenn's nicht 'n alt Weib gewesen ist, das ich hier vor ein'gen Tagen vor der Thür betteln sah, und die ebenso aussah, wie jene, welche wir in Warwickshire sahen, die uns all' dies Unglück gebracht hat. In Wahrheit, 's ist niemals gut, wenn man vor ein'm alt'n Weibe vorbeigeht und ihr nicht was gibt, hauptsächlich wenn sie ein'n ansieht; und das soll m'r die ganze Welt nicht ausreden, daß sie eine große Macht hab'n, Unheil anzurichten, und so viel weiß 'ch, ich werde in meinem Leben kein alt Weib wieder ansehn, daß ich nicht bei mir selbst denke: Infandum regina iubes renovare dolorem.«

Jones mußte über die Einfalt Rebhuhns lachen, und damit war es vorbei mit seinem Zorn, der im Grunde niemals lange in seinem Gemüt anhielt, und anstatt ihm Anmerkungen über seine Verteidigung zu machen, sagte er ihm, er sei entschlossen, dies Quartier aufs baldigste zu verlassen, und befahl ihm, hinzugehn und sich nach einem andern zu erkundigen.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 98-102.
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