Elftes Kapitel.

[17] Unfälle, welche Jones auf seinem Wege nach Coventry begegnen, nebst Rebhuhns weisen Anmerkungen.


Keine Heerstraße kann ebener sein, als von dem Orte an, wo sie jetzt waren, bis nach Coventry; und ob solche gleich weder Jones noch Rebhuhn, noch der Vorreiter jemals gereist waren, so würde es ihnen doch fast unmöglich gewesen sein, ihren Weg zu verfehlen, wäre es nicht der zwei Ursachen wegen geschehen, deren wir am Schluß des letzten Kapitels gedacht haben.

Da sich aber diese beiden Umstände zum Unglück darein mischten, so gerieten unsre Reisenden auf einen weit weniger beschlagenen Weg; und nachdem sie fast zwei gute Stunden geritten waren und bei dem stolzen Turme von Coventry angelangt sein sollten, befanden sie sich noch in einem sehr kotigen Hohlwege, wo sie kein Zeichen gewahr werden konnten, daß sie sich den Außenwerken einer großen Stadt näherten.

Jones erklärte jetzt, sie müßten gewiß ihren Weg verloren haben; aber der Wegweiser bestand drauf, das wäre unmöglich: ein[17] Wort, welches im gemeinen Leben häufig gebraucht wird, nicht um etwas anzudeuten, was etwa unwahrscheinlich ist, sondern oft sogar, was sehr vermutlich und zuweilen schon wirklich und gewiß geschehen ist. Diese hyberbolische Gewaltthätigkeit ist jener ähnlich, welche den Worten unendlich und ewig so häufig angethan wird; durch das erste derselben ist es gewöhnlich, eine Weite von ein paar Fuß, und durch das letzte eine Dauer von etwa fünf Minuten auszudrücken. Und ebenso gewöhnlich ist es, die Unmöglichkeit zu behaupten, etwas verlieren zu können, was bereits verloren ist. Dies war auch hier der eigentliche Fall; denn der Vorreiter mochte noch so zuversichtlich und gewiß das Gegenteil behaupten, so war es ausgemacht, daß sie sich ebensowenig auf dem rechten Wege gen Coventry befanden, als der betrügerische, habsüchtige, scharrende, grausame, heuchlerische Geizhals auf dem rechten Wege zum Himmel ist.

Für einen Leser, der sich niemals in ähnlichen Umständen befunden hat, mag es wohl nicht leicht sein, sich das Grausen vorzustellen, womit Finsternis, Regen und Wind solche Leute anfüllen, welche des Nachts von ihrem rechten Wege abgekommen sind und welche folglich die angenehme Aussicht auf ein warmes Zimmer, trockene Kleidung und andre Erquickungen nicht haben, um ihre Kräfte bei dem Kampfe gegen rauhe und ungestüme Witterung emporzuhalten. Aber auch ein sehr unvollkommener Begriff von diesem Grausen wird gleichwohl hinreichen, die ängstlichen Grillen zu erklären, welche jetzt Rebhuhns Kopf anfüllten und welche wir jetzt genötigt sein werden, dem Leser zum besten zu geben.

Jones behauptete mit immer zunehmender Gewißheit, daß sie nicht mehr auf dem rechten Wege wären, und der Pferde-Enke gestand zuletzt selbst, sie müßten wohl nicht mehr auf der Coventryer Heerstraße sein, obwohl er zu gleicher Zeit behauptete, es wäre unmöglich, daß sie die Straße hätten verfehlen können. Rebhuhn aber war ganz andrer Meinung. Er sagte, es hab' ihm gleich geahnt als sie abgeritten wären, daß es ihm auf die eine oder die andre Art unrichtig gehen würde. »Sahen Sie denn nicht, lieber Herr,« sagte er zu Jones, »das alte Weib, das an der Pforte stand, just als Sie aufs Pferd stiegen? Ich wünschte von Grund der Seele, Sie hätten ihr eine Kleinigkeit gegeben, denn sie sagte gleich, es würde Ihnen leid thun! Und gerade in dem Augenblick fing es an zu regnen und der Wind ist seitdem immer stärker geworden. Was auch gewisse Leute davon denken mögen, ich lasse mir's nicht ausreden, daß die Hexen die Macht besitzen, den Wind wehen zu lassen wann sie wollen. Ich hab' es in meinem Leben schon sehr oft gesehen und erfahren, und ich müßte in meinem ganzen Leben keine Hexe gesehen haben, oder das alte Weib war ganz gewiß eine.[18] Ich dacht's gleich damals auf der Stelle, und hätt' ich nur etwas Kleingeld bei mir gehabt, ich hätt' ihr gern was gegeben; denn das ist ausgemacht, 's ist immer das Sicherste, wenn man gegen solche Leute barmherzig ist; denn man muß fürchten, was sich zutragen kann, und manche Leute haben ihre Kühe und Pferde verloren, weil sie ein paar Pfennige sparen wollten.«

So entsetzlich verdrießlich Jones über die Zögerung war, welche dieses Irrereiten wahrscheinlicherweise in seiner Reise veranlassen mußte, so konnte er sich doch nicht enthalten, über den Aberglauben seines Freundes zu lächeln, welchen jetzt ein Zufall gar mächtig in seiner Meinung bestärkte; dies war ein Purzelbaum, den er vom Pferde machte, wodurch er indessen keinen andern Schaden nahm, als den der Kot seinen Kleidern zufügte.

Rebhuhn war nicht so bald wieder auf die Beine gekommen, als er sich auf seinen Fall berief, als auf einen unwidersprechlichen Beweis alles dessen, was er hervorgebracht hatte. Als aber Jones fand, daß er unversehrt davongekommen war, antwortete er mit einem Lächeln: »Deine Hexe, Rebhuhn, ist wirklich eine undankbare Vettel und weiß ihre Freunde, wie ich sehe, von ihren Feinden nicht zu unterscheiden, wenn sie ihre rachgierige Galle ausläßt. Wenn die alte Kunkel mir deswegen aufsätzig ist, weil ich ihr nichts gegeben habe, so seh' ich doch nicht, warum sie eben dich vom Pferde abkollern machte, denn du hast ihr doch, mein' ich, Ehrerbietung genug erwiesen.«

»Mit solchen Leuten,« rief Rebhuhn, »die die Macht haben, solche Dinge zu thun, mit denen ist nicht gut spaßen! Ich denke noch immer an einen Hufschmied, der eine von ihnen damit neckte, daß er sie fragte, wann denn die Zeit um wäre, auf welche sie sich dem Herrn Urian verschrieben hätte. Keine drei Monate währte es, da war eine von seinen besten Kühen ersoffen. Aber dabei ließ sie's noch nicht gut sein, denn nicht lange darnach kam er um eine Tonne von seinem besten Bier, denn die alte Hexe zog den Zapfen aus und ließ alles in den Keller laufen, gleich den ersten Abend da er's angezapft hatte, um sich mit einigen Nachbarn dabei lustig zu machen. Kurzum, es wollte nachher gar nicht wieder mit ihm auf einen grünen Zweig kommen, denn sie that dem armen Mann so vielerlei Schabernack an, daß er sich auf den Trunk legte, und in einem oder ein paar Jahren mußte er bonis zedieren, und nun liegt er und seine Familie dem Kirchspiel auf'm Halse.«

Der Vorreiter und vielleicht auch sein Pferd dazu waren beide so sehr aufmerksam auf dieses Gespräch, daß sie, entweder aus Mangel an Vorsicht oder durch die Bosheit einer Hexe dalagen und sich im Kote wälzten.[19]

Rebhuhn schrieb diesen Fall völlig derselben Ursache zu, der er den seinigen zugeschrieben hatte. Er sagte zu Herrn Jones, die Reihe würde nun ganz gewiß an ihn kommen, und ersuchte ihn aufs angelegentlichste, daß sie umkehren und die alte Frau aufsuchen möchten, um sie wieder gut zu machen. »Wir werden gar bald,« fügte er hinzu, »wieder die Schenke erreichen, denn ob es gleich scheint, als wären wir vorwärts geritten, so bin ich doch so gewiß, als ich nur sein kann, daß wir seit einer Stunde nicht einen einzigen Schritt vom Fleck gekommen sind, und ich will wohl schwören, wenn's Tag wäre, so könnten wir das Haus noch sehen, wo wir abgeritten sind.«

Anstatt auf diesen weisen Rat eine Antwort zu geben, war Jones gänzlich damit beschäftigt, wie es dem Vorreiter ginge, der auch keinen andern Schaden empfing, als welcher vorher den Rebhuhn betroffen hatte, und den seine Kleider sehr leicht ertragen konnten, weil sie schon seit vielen Jahren dran gewöhnt waren. Er kam bald wieder auf seinen Quersattel, und durch die tüchtigen Flüche und Prügel, womit er sein Pferd aufmunterte, überzeugte er Herrn Jones ebensobald, daß kein Unglück geschehen sei.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 17-20.
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