Neu Lid in der Marterwochen

[828] Aus dem. 53. Cap: Jesaiä gezogen.


1.

Was ärgert dich, vngläubig schar,

das Gots Son hie veracht würd gar

vnd hat so klain ansähen?

Vnd sein gestalt vngstalter ist

als ander Leut, vnd meh sicht wüst,

kanst nichts, das dir gfall, sehen?

Dieweil er der Vnwärdest ist,

mit schmerz vnd krankhait ganz verwüst,

ja also ist verachtet

Das man das gsicht for jm verbirgt,

vnd rufet ›den hinweg, gewürgt

vnd jn verspeut, verlachet!‹


2.

Last euch solches nicht ärgern mehr,

glaubt der Propheten gpredigt lehr,

welche euch klar anzaigen

Den arm des Herrn, den Gotes Son,

das es mit jm werd also gohn,

sein Reich durch demut steigen:

Dan Er schist auf for Got ganz werd,

gleich wie ain Zweig aus dörrer Erd,

aus Jesse dörrem stammen,

Da er nun schir verplichen war

vnn bestund inn Maria gar

on Königlichen Namen.


3.

Wie sehr Er euch auch scheint veracht,

noch schist Er auf inn voller macht

mit seim Leben vnd lehre,

Auch wunterlich inn dörrem Land,

wie sehr man jm auch widerstant,

durch list vnd macht jm wehre:

Dan Er durch seine Knechtsgestalt

würd noch erhöcht zu höchster Gwalt,

wan Er würd rain besprängen

Vil Haiden, den Er nie war kund,

also, das König jren Mund

werden gen jm einzwängen.


4.

Last euch nicht ärgern sein schwachait,

dan zwar Er trug vnser krankhait,

lud auf sich vnser schmerzen;

Er hat verdinet nicht solch plag

das jn GOT marter vnd zerschlag,

sonder aus Lib von herzen

Ist Er vmm vnser sünd verwund,

vmm vnser fäl Er straich empfund,

die straf ist auf jn gleget,

Damit vns der Frid werd zu thail,

wir durch sein Wunden wurden hail

vnd durch sein plut rain gfeget.


5.

Drumm, du allgmain Kirch vberal,

sprich nun mit Jesaia zumal

'wir haben all geirret,

Wir all haben geirrt wie Schaf,

kainer die rechte ban nicht traf,

vnd warn je meh verwirret,

Bis das vns Got den Hirten sand,

der vns verirrte Schäflin fand

vnd leget auf sein rucken,

Dan auf den Hirten warf der Herr

all vnser Sünd vnmäsig schwer,

die vns mochten vertrücken.[828]


6.

Ja das wir arm verirrte Schaf

nicht fülen inn die ewig straf,

ward selbs zum Lamm der Hirte,

Welchs für vnser vngehorsam

ging zur Schlachtbank ganz gehorsam,

wa man es nur hinführte.

Er that auch nicht auf seinen Mund,

wie ain Schaf for seim Schärer stund,

erstummet, on alls schmehen,

Gescholten Er nicht wider schalt,

belaidigt tröut Er nicht mit gwalt,

sprach ›Gots wil mus geschehen.‹


7.

Daher mit Niderträchtigkait

ist Er erhebt zur Mächtigkait,

zu Gots gerechten lebig:

Wer kan aussprechen nun sein Gschlecht?

wer ist der sein Leben ausrecht?

sein Reich ist wie Er ewig.

Er ward gerissē von der Erd,

auf das sein Reich on end dort wärt,

der gstorben werd vntödlich:

Des gschlecht man ganz wolt rotten aus

hat nun ain ewig gschlecht vnd haus,

das tötlich wird nun Götlich.


8.

Wiwol Er nie kain vnrecht that,

inn seim Mund kain betrug nie hat,

noch ward sein Tod jm gsetzet

Gleich der Gotlosen argen rott,

nam wie ain Reuber seinen tod,

ward vnter Mörder gschätzet,

Vnd solchs vmm vnser missethat,

dan es Got so gefallen hat

jn mit krankhait zuschlagen,

Auf das, so Er sein Söl hingeb

zu aim Schultopfer, er lang leb

vnd mög vil Samen tragen


9.

Derselbig Sam ist Christj Gmain,

gewäschen durch sein Plut ganz rain

vnn durch sein Wort befeuchtet;

Daran sicht er sein ainig fräud,

sättigt sich, wann es wachset weit

vnd alle Land erleuchtet,

Wann sie glauben stanthaftiglich,

das Er ausfür vollkomenlich

des Herren will vnd gfallen,

Welcher hirinn allain bestoht,

das Leben sej inn Christi Tod

den Wargläubigen allen.


10.

Wann sie glauben ganz vnverzagt

dis welchs Got selbs von Christo sagt

›mein Grechter Knecht würd machen

Durch sein Erkantniis vil Gerecht,

die jn im Glauben kennen recht

vnd sein war Amt betrachten,

Das Er all jr sünd auf sich lad,

er trag all jre Missetat,

er richte auf die schwachen,

Vnd führ zum Raub die starken all,

Tod, Teufel, Höll vnn all vnfall

die vns machten verschmachten


11.

Durch sein Ghorsam vnd gros Demut

hab Er erworben das höchst Gut,

das Ewig selig lebē,

Darumm, das Er sein Söl zur gnod

gutwillig hat ausgschütt inn tod,

sein Leben dahin geben,

Ist vbeltätern gleich gerecht:

ja, drum das mein Gerechter Knecht

hat viler Sünd getragen,

Vnd für die vbeltäter auch

gebetten, nach ains Mitlers prauch,

derhalb soll niman zagen.‹


12.

Weil vnser Hoher Prister doch

vnd vnser Mitler lebet noch

zu seins Vaters Gerechten,

Allda durch seines Leidens kraft

vns mit dem Vater frid verschaft,

wer wil dan mit vns fechten?

Christus inn seines Vaters schos

rechtfärtigt vns vnd spricht vns los,

wer will vns dan verdammen?

Niman! O liber Jesu Christ,

dan du deim Vater Lib ja bist,

vnd wir inn deinem Namen!


Quelle:
Philipp Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, Leipzig 1874, S. 828-829.
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