Drey und sechszigster Brief
Der Adjutant Harrison an Reinhold

[234] Auf Befehl meines Generals habe ich die Ehre Ihnen folgendes von der Einnahme der Vestung G.... zu melden:

Sie liegt auf einem schroffen Felsen und[234] bestreicht acht Hauptstraßen. Hatte sehr gute Werke und etwa zwölftausend Mann Besatzung.

Ein Officier der Garnison war zu uns übergegangen. Auch kannten mehrere der Unsrigen das Innere des Platzes ziemlich genau. Hierauf gründete sich unsre Hofnung. Die übrigen, freilich ansehnlichen Schwierigkeiten, machten uns weiter nicht bange.

In aller Stille wurde am Neunzehnten Abends ein Detaschement von sechszehnhundert Mann ausgehoben und erhielt Befehl, sich bey N... zu versammlen.

Alles gieng so gut, daß die Bestimmung dieses Korps der Armee gänzlich unbekannt[235] blieb. Nur aus den mitgenommenen Beilen, Äxten und Brecheisen konnte man vielleicht, doch nur unvollkommen, etwas ahnen.

Gegen sieben Uhr setzte sich die kleine auserwählte Schaar in Bewegung. Jeder hatte eine weiße Binde um den Arm, und war übrigens mit allem Nöthigen versehen.

So gieng es schweigend durch die kalte Herbstnacht. Nur einige Wolken schwebten am Himmel. Oft brach der Mond hinter ihnen hervor und das stille Häufchen drängte sich dichter an einander.

Jetzt waren wir bey N... Man nahm Abschied von den Kamaraden, das kleine Heer ward in zwey Kolonnen, diese in zehn Attacken[236] vertheilt, und nun gieng es rasch gegen die Vestung.

Während der General den Hauptangriff dirigirte, sollte Graf Antonelli sich der L.... Straße bemeistern, durch den gewölbten Gang bey des Commandanten Wohnung hervorbrechen, und sich wieder, nachdem die Thore gesprengt seyn würden, zur Einnahme des ganzen Platzes mit uns vereinigen.

Jetzt schlug es Zwey, noch einige hundert Schritte, wir hatten die Vestung umgangen und waren glücklich bey dem Fuße des Glacis angekommen.

Die erste Schildwache pfiff sich ein Stückchen um munter zu bleiben, dann und wann[237] schallte ein Zuruf der feindlichen Posten, sonst war kein Laut zu vernehmen.

Jetzt hörten wir das dumpfe Hinan! und ehe wir selbst es nur glaubten, war der Berg schon erstiegen. Aber in dem Augenblicke waren wir auch von der Schildwache entdeckt. Kein andrer Rath! unsre Bajonette mußten sie zum Schweigen bringen. Ihren Kamaraden gieng es nicht besser, und so waren wir nach kurzem über die Palisaden hinweg.

Aber hier änderte sich plötzlich die Scene. Zwey feindliche Posten gaben Feuer, man[238] hörte den Angrif auf die Stadt und alles kam in Bewegung.

»Zu den Waffen! zu den Waffen! die Feinde! Hier Kamaraden!« So erscholl es von allen Seiten. Jetzt schmetterte die Lärmtrommel dazwischen, und das Getöse stieg bis zur schrecklichsten Betäubung.

Indessen war der Angrif auf die Stadt glücklich ausgeführt, und wir erstiegen nun muthig die Wälle. Balken, Steine, Handgranaten stürzten uns entgegen und zerschmetterten die Brüder vor unsern Augen.

Der General sahe es, hörte das Röcheln dicht um sich her, und sein Schmerz schien sich in Wuth zu verwandeln.[239]

»Hinan Brüder! hinan! – rief er – daß Menschenblut nicht umsonst vergossen werde!«

Es half; noch einige Minuten, und wir waren oben.

Aber in dem Augenblicke wurden Graf Antonelli und seine Gefährten entdeckt. Mit fürchterlichem Getöse drang er jetzt durch den unterirdischen Gang, und nun begann ein wüthendes Gemetzel. Zwey Thore hatten wir inne; aber er und der Platz waren verlohren hätte die Verzweiflung unsre Kräfte nicht verdoppelt.

Wie ein junger Löwe brach er aus seinem Hinterhalte hervor, und befand sich beinah[240] immer allein unter den Feinden. Unbegreiflich ist es, daß sie ihn nicht zum Gefangnen machten. Der Gang war so enge, daß nur drey Mann neben einander stehen konnten. Natürlich wurden diese sogleich getödtet, oder verwundet, versperrten denen die an ihre Stelle treten wollten den Weg, und machten so die Grundlage von einem Haufen Leichen. Dichte davor fanden wir Antonelli allein, unverwundet, aber durch Blut und Staub beynahe unkenntlich.

Jetzt hörte er die Stimme unsers Generals, und ein sechsfaches Leben schien ihn zu begeistern. Mehrere der Unsrigen sahen ihn[241] kommen und hörten vor Erstaunen nicht ihre Führer. Rechts links schlug er die Feinde. Er stand bey uns, und wir starrten ihn an.

Aber jetzt wurden wir schrecklich aus unsrer Betäubung geweckt.

»Der General ist verwundet!« – durchlief es die Reihen. – »Nicht wahr! nicht wahr!« – rief Antonelli – und so gieng es wieder in den dichtesten Haufen der Feinde.

Nun keine Rast! wir mußten hindurch, und kamen nur bey dem Worte Sieg zur Besinnung.

Die Vestung war unser, der Commandant getödtet, die Garnison gefangen; aber unser Häufchen zu neunhundert eingeschmolzen und[242] unser allgemein verehrter General an zwey Stellen verwundet.

Ich habe Fräulein S... geschrieben und übersende Ihnen hierbey eine Abschrift dieses Briefes. Ohne meine Bitte werden Sie alles beytragen, unsern Wunsch zu erfüllen. Ist es möglich, Fräulein Julie zu überreden, so haben wir Hofnung.[243]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 234-244.
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