Fünftes Capitel.

Die Spinne.

[136] »Herr Jemine! Herr Jemine!« – schrie sie auf einmal, und riß ihr Halstuch ab. – »Ein Kanker! Ein Kanker!1 ich bin des Todes!« – Gleichwohl hatte sie noch die Kraft, den Stuhl wegzurücken, und sich aufs nahe Bette fallen zu lassen. – »Um Gotteswillen, mein englisches Gustelchen! – Um Gotteswillen, holen Sie ihn heraus!« –

»Wo denn?« – sagte ich erschrocken und drehte mich herum – »Hier! Hier!« – indem sie auf etwas zeigte, das einen Busen[137] vorstellen sollte – »Hier! Hier! – Um Gotteswillen holen Sie ihn heraus! Er läuft mir am ganzen Leibe hinunter!« –

»Lassen Sie doch sehen, Mamsell Julchen!« – fuhr ich fort – »Ob ich ihn erwischen kann.« –

»Ja, ja, um Gotteswillen! holen Sie ihn heraus!« – indem sie am ganzen Leibe zu zittern schien.

Ich sing an zu rekognosciren, als sie mich mit beyden Armen an sich zog. – »Hier! hier!« – sagte sie, und ich merkte, wo die Spinne saß. – »Damit kann ich Ihnen nicht dienen!« – wollte ich eben antworten, und hätte die Wahrheit gesagt, als jemand heftig an die Thüre klopfte. Kaum hatte die Dame Zeit, sich aufzuraffen, als der Junker hineintrat.

»Zünde doch Licht an, Gustel!« – sagte er ernsthaft. – »Ich habe vorne eine Stunde[138] geklopft. – Gute Nacht, Mamsell Julchen!« – indem er uns verließ.

»Herr Jesus, mein englisches Gustelchen, der gnädige Herr Junker. Wenn Sie nur keinen Verdruß haben, um meinetwillen! Herr Jemine! Wo ist denn mein Halstuch! – Der verdammte Kanker! Er ist mir sicher in den Leib gekrochen, ich fühle es. – Nun gehn Sie nur heute, mein gutes liebes Gustelchen! Es wird sich schon ein andermal schicken! Morgen oder Uebermorgen! Wir wollen schon sehen, daß wir ihn herauskriegen« – indem sie mir die Hand drückte und die Wange küßte.

Ich nahm mein Licht, und eilte dem Junker nach.

Fußnoten

1 Kanker ist ein Provinzialism für Spinne.


Quelle:
Christian Althing: Hannchens Hin- und Herzüge nebst der Geschichte dreyer Hochzeitsnächte. Leipzig 21807, S. 140.
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