Zwanzigstes Capitel.

Ein Mädchenherz.

[112] Der Junker war allein ausgeritten, mein Herz trieb mich, ihm entgegen zu gehen. Schon brach der Abend ein, er kam nicht; es schlug neun Uhr, er war noch nicht da. Gegen zehn Uhr endlich geht die Thüre auf, und sie bringen ihn auf einer Trage getragen.[112]

Guter Gott, was für ein erschrecklicher Anblick! ich dachte neben ihm niederzusinken. Sein Kopf war mit blutigen Tüchern bedeckt, einer seiner Stiefeln abgeschnitten, und sein Fuß von oben bis unten mit Bandagen umwickelt. Sie brachten ihn von dem nahen Flecken, wo er mit dem Pferde gestürzt war, und der Barbier begleitete ihn.

Er war so matt, daß er kaum sprechen konnte; alles versammelte sich um ihn her. Die gute gnädige Frau fragte ihn einmal über das andere, ob er nicht todt wäre. Er erblickte mich, und sagte mit sichtbarer Anstrengung: Das war ein garstiger Fall, lieber Gustel!

Ich überlasse es meinen Leserinnen, sich meine Empfindungen zu denken. Ich hätte sein Blut aufküssen mögen, um seine Schmerzen zu erleichtern. Endlich brachten wir ihn[113] zu Bette, und ich ließ es mir nicht nehmen, bey ihm zu wachen.

Er litt viel, besonders am Kopfe. Der Barbier behauptete, die äußere Hirnschale sey beschädigt, der zweyte Verband müsse es ausweisen. Es war eine schreckliche Nacht; ich saß weinend bey seinem Bette, seine Hand in der meinigen. Er drückte sie zuweilen, und das erhielt mich wach.

So kam der Morgen heran; der Verband wurde abgenommen, und die Wunde zeigte sich besser, als wir vermuthet hatten. Wirklich spürte mein theurer Adolph auch einige Erleichterung. Er genoß etwas Tamarindenmark, und konnte mir den Vorfall in gebrochenen Worten erzählen. Das Pferd war scheu geworden und mit ihm durchgegangen. Er hatte herunter springen wollen, und war geschleift worden.[114]

Um ihm die Zeit zu vertreiben, mußte ich ihm seine Kupferstiche bringen, wovon er eine ganz artige Sammlung hatte. Wir sahen sie mit einander an, und er erklärte sie mir. Da er die Arme nicht brauchen konnte, so führte ich ihm alles zum Munde; ich war sein Wärter, er genirte sich nicht vor mir – Liebende Mädchen, ihr allein könnt das fühlen! –

So wie seine Wunden sich günstig anliessen, ward mein Herz ruhiger. Er bekam allmählig feine Heiterkeit wieder, wir lachten und scherzten zusammen. Der Vorfall mit dem Hofmeister ward mehrmals wiederholt, zumal wenn Lorchen auf ein Stündchen zu uns kam. Dann setzte ich mich oft, wiewohl mit klopfendem Herzen, zu meinem Freunde auf das Bette; seine Füße ruhten an meinen Hüften, und meine Hand glitt sanft über die[115] seinigen hin. Lorchen setzte sich mir gegenüber, und drückte mich sanft mit ihren Knien.

Quelle:
Christian Althing: Hannchens Hin- und Herzüge nebst der Geschichte dreyer Hochzeitsnächte. Leipzig 21807, S. 112-116.
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