10. Auf Eines seiner besten Freunde Geburtstag

[336] 1632 Mai.


Sind wir itzt nicht in dem Maien,

in der besten Jahreszeit,

da man Alles sich sieht freuen,

was sich reget weit und breit,

da die stolze Welt sich putzt

und in jungem Schmucke stutzt?


Du nur wilst dich nicht bequemen

zu der süßen Liebligkeit

und die Freude mitte nehmen,

so sich giebet dieser Zeit?

Du nur tust nicht, kleine Welt,

was der großen so gefällt?


Gib den müden Büchern Feier!

Tu die matte Feder hin!

Was du hast erlebet heuer,

wird dirs übers Jahr nachziehn?

Was ists, dem du dich verbannst

und in ein solch Joch dich spannst?


Was der von Stagyr geschrieben,

Plato, was du hast erdacht,

das ist Alles nach euch blieben;

ihr nur gabet gute Nacht.

Ist denn diß die große Frucht,

die man in dem Schreiben sucht?


Mein! Was hilft es doch dem Dichter,

daß sein Fleiß ihn überlebt?

Zwar ein Ieder ist hier Richter,

daß er hat auf Ruhm gestrebt.

Aber was geneußts der Man,

der schon längst ist beigetan?


Eh' man etwas Tüchtigs schreibet,

lauft fürwar viel Zeit vorbei.

Und was ists, das nach uns bleibet?

Ein vergebliches Geschrei,

das derselbe doch nicht höret,

der darmitte wird geehret.
[336]

Geben dir die Götter Gaben

und verehren dich mit Kunst,

daß du des kanst Ehre haben

und verdienen Vieler Gunst,

so gedenk doch auch darbei,

wie ein eitel Ding das sei!


Wo sind Perianders Schriften,

Chilon, Thales, Pittakus?

Weil ihr Fleiß flog nach den Lüften,

sind die Namen auch Verdruß.

Wie viel hundert Andre sein

mit dem Namen gangen ein!


Haben sie bei ihrer Mühe

nicht Ergetzligkeit gehabt

und sich, wenns die Zeit verliehe,

nicht mit lieber Lust erlabt,

was denn wird wol ihre sein,

nun auch nicht mehr ist ihr Schein?


Lebe, weil du bist im Leben,

und gebrauche deiner Lust;

doch sei nicht zu sehr ergeben

dem, das du bald meiden mußt!

Denke, daß du auch einmal

wol berechnest deine Zahl!


Gott verwehrt uns keine Freuden,

wann sie Freuden bleiben nur,

wenn wir hierbei nur vermeiden,

was lockt auf der Wollust Spur.

Und wie kan diß Freude sein,

was sie nur ist auf den Schein?


Was hilft das zu Tode-Saufen,

das Verleihen seinen Leib,

das um Wollust Reue-Kaufen,

Borgen eines Andern Weib?

Ist das Freude, heißt das Lust,

daß du Schande haben mußt?


Was für Freuden mir behagen,

sind von schnöden Lüsten weit.[337]

Worzu mich die Sinnen tragen,

ist vergönnte Fröligkeit.

Was ist ehrbar, was gerühmt,

was bedachte Weisen ziemt,


was die müde Seele speiset

und den lassen Leib ergetzt,

was zum höchsten Gut uns weiset

und in sanften Wolstand setzt:

ich, du, der und alle wir

sind von dessen wegen hier.


Itzund laß dich von mir führen

in der feuchten Rosen Tal,

daß wir sehn die Flora zieren

ihrer langen Wiesen Saal,

wie sie um die Bäume tanzt

und manch schönes Blümlein pflanzt!


Ist schon hier nichts aus Idumen

und was her kömmt über See,

ei, so sind doch Maienblumen,

feister Schmergel, dicker Klee.

Haben wir schon Fremdes nicht,

doch an Lust drum nichts gebricht.


Der gesunde Tau sinkt nieder,

das gezogne Kind der Nacht,

der der matten Kräuter Glieder

wieder steif und saftig macht,

der die welken Blumen tränkt

und in ihre Schoß sich senkt.


Zynthius streckt her von oben

seines Goldes reinen Schein,

wenn er itzt sein Häupt erhoben

und fängt munter an zu sein,

wenn er seine Glut aufsteckt

und die faule Welt erweckt.


Vor ihm her kömt hergegangen

die Zertreiberin der Nacht

in den purpurbraunen Wangen,

in der Anemonen Tracht,[338]

die denn balde, wenn er kömmt,

schamrot ihren Abschied nimmt.


Und itzt ist vor zweien Stunden,

als es noch war tiefe Nacht,

eh' es Iemand hat empfunden,

schon die Nachtigal erwacht,

welche denn verführet schon

manchen lieben süßen Ton.


Nun begrüßen auch die Andern,

die kein Nest mehr halten mag

und durch freie Lüfte wandern,

durch ihr Lied den jungen Tag.

Keines will vom Andern ein

in der Kunst getrieben sein.


Siehst du, wie sich lieblich gatten

hier ein Pärlein, dort ein Paar

in der jungen Blätter Schatten?

Wie die stumme Wasserschaar

an den sanften Ufern ringet

und sich um die Bulschaft dringet?


Und die ausverschämten Frösche

haben Hochzeit schon gemacht,

treiben ihr Koaxgewäsche

von früh' an bis in die Nacht;

von der Nacht bis wieder früh'

höret man sie schweigen nie.


Hier laß uns ein wenig schauen,

wie der Fischer Reusen legt,

wie der Feldman baut die Auen,

wie der Gärtner Bäume hegt,

oder wie die dicke Saat

halb schon gleich vorschosset hat!


Dorte stehen feiste Rinder

in der Weide bis an Bauch.

Hier sind Ziegen, so nichts minder

blaten um den fetten Strauch.

Hier gehn Lämmer, so für Lust

scherzen bei gesunder Kost.
[339]

Hast du der Lust satt gepflogen,

wol! so lege dich mit mir

unter den gewölbten Bogen

dieser hohen Linden hier,

da denn solche sanfte Rast

uns benimmt der Glieder Last!


Was die Vögel tiriliren,

das hallt wider durch die Kluft;

was wir hier für Reden führen,

das verschweigt die stille Luft.

Und da werd' ich melden viel,

das ich itzt nur denken will.


Dafnis werd' ich erstlich klagen,

Dafnis, meinen andern Mich,

und was er mir macht für Plagen,

seit er mir entrissen sich.

Seit er sich von mir gewandt,

bin ich selbst mir unbekant.


Achtmal hat nun, als ich zähle,

Phöbe volle Hörner kriegt,

daß zoh' hin die fromme Seele,

daß der liebe Leib erliegt,

und so lange sterb' ich hin,

weil ich ohn' mein Leben bin.


Wer sich einmal in den Orden

treuer Freundschaft hat gesetzt,

und ist ihm das Herz entworden,

das er über alles schätzt,

der giebt sich zufrieden nicht,

bis auch er aus sich entbricht.


Was ich sinne, was ich denke,

das ist Dafnis für und für.

Wo ich mein Gesicht' hin lenke,

schwebt sein Geist noch stets vor mir.

Wach' ich, schlaf' ich, was ich tu',

so dünkt mich, er sieht mir zu.


Will mir Gott denn Keinen geben,

der sich, Liebster, gleiche dir,[340]

nun so muß ich einsam leben

und mich immer halten mir,

[maß auch große Klagewort'

traurig führen fort und fort.]


Dieses Alles wirstu hören

und mich ansehn unverwandt,

drauf dich sehnlich zu mir kehren,

dar mir bieten deine Hand

und mit feuriger Begier

diese Worte sagen mir:


»Hastu etwas vor verloren,

suche selbigs nur in mir!«

Ich, als wär' ich neugeboren,

werde wenden mich zu dir,

sprechend: »Lieber, geh' es ein!

Du, da solst mein Dafnis sein!«


Linde, du und ihr, ihr Wiesen,

ihr, ihr sollet Zeugen sein,

daß ich diesen Meinen, diesen

gleich als meinen Dafnis mein'!

Ich bin deine, meine du!

Ganze Gegend, höre zu!


Denn so laß uns beide schreien:

»Glück zur neuen Brüderschaft,

Glück uns beiden, Glück uns zweien!

Dieses Bündnüß habe Kraft!«

Echo hallt: es habe Kraft!

Glück zur neuen Brüderschaft!


Was befreundet doch das Saufen?

Es ist nur des Pöfels Brauch,

da man Brüderschaft muß kaufen

um das, was nur füllt den Bauch,

die denn kaum so lange steht,

bis der Soff vom Leibe geht


Nüchtern soll man sein und seine,

wenn man seinesgleichen sucht,

weil noch sind die Sinnen reine,

weil man Scham noch hat und Zucht.[341]

Was beständig bleiben soll,

muß man vor bedenken wol.


Nachmals werden wir uns sehnen

um einander stets zu sein,

uns allmählich angewöhnen,

daß wir Leipzig achten klein.

Unser Sin wird höher stehn

als wo nur die Feigen gehn.


Dein Verbündnüß, deine Treue

macht, daß ich mein Vaterland

zu verlassen ganz nicht scheue.

Das verknüpfte Liebesband

wird uns führen hin und her,

über Trucken, über Meer.


Weg mit dem, der stets nur lieget

bei der faulen Ofenbank!

Wer sich in die Fremde füget,

wird bekant, verdienet Dank.

Diß ist meines Lebens Ziel,

daß ich stets mehr lernen will.


Drauf so gehn wir neuen Brüder

auf das nahe Golitz hin,

da denn auch nichts mangelt wieder,

was ergetzet unsern Sin.

Heint ist gleich die andre Nacht,

daß man Hochzeit da gemacht.


Tityrus hat seine Doris

an die heiße Brust gedruckt;

Melibeus greift der Chloris,

was ihr wol tut, wie sies juckt;

Andre, die zugegen sein,

führen einen Bauerrei'n.


Phillis legt den weißen Schleier

um ihr braunes Haar und steht,

bis sie holet ab ihr Freier

und mit ihr zu Platze geht,

da sie denn um einen Tanz

ihm vertauschet ihren Kranz.
[342]

Sind wir denn des Zusehns müde,

gut! so machen wir uns fort,

lachen über manchem Liede,

bis wir kommen an den Ort,

in den Hof, der uns wol kennt

und oft seine Gäste nennt.


Zwar wir könten uns auch wenden

auf das schöne Schönefeld

und den Knaben vor uns senden,

der uns Alles wol bestellt,

doch wie schöne jenes heißt,

Pfaffendorf bleibt vorgepreist.


Pfaffendorf hält uns in Ehren,

hier ist Lust in gutem Kauf,

hier kan man dem Trauren wehren,

hier trägt man vollauf uns auf.

Was man wündscht nur und begehrt,

dessen wird man hier gewährt.


Auf dem schattenreichen Rasen

dieses dicken Apfelbaums

oder dort, wo jene grasen,

ist der Platz sehr gutes Raums.

Oder liebt dieß Lusthaus baß,

da ich oft vor diesem saß?


Ich und jene lieben Dreie,

derer Einer nun ist hin, –

itzt die überbliebnen Zweie

ungesegnet von mir ziehn, –

ich alleine bin noch hier,

der ich weiß um die Revier.


Lüstet dich nach einem Fische,

den die Pleiße geben kan,

er soll bald stehn auf dem Tische.

Liebet dir ein feister Hahn,

der im Hof' ist worden jung,

hier giebts solches Viehs genung.


Haben wir denn Lust zu Weine,

Leipzig ist bald an der Hand,[343]

die den besten Trunk vom Rheine,

die den süß'sten Alakant

und was lieber noch kan sein

auf der Post uns liefert ein.


Wündschest da nach einer Schüssel,

so mit süßer Milch gefüllt?

Schau, dort ist der Kellerschlüssel!

Nim dir, so am meisten gilt!

Hier sind Semmeln, Löffel hier.

Iß, so viel beliebet dir!


Wollen wir zu Wasser fahren?

Dorte steht ein neuer Kahn.

Heute wird man nichts nicht sparen.

Knecht, greif frisch die Ruder an!

Enke, du solt auch herein,

mit der Dudei bei uns sein!


Gleichsfals mangelts nicht an Spielen.

Vor uns steht das Interim,

da die Peilke, hier sind Mühlen,

und wornach du dich siehst um,

Wol! es gilt auf gleichen Sieg,

einen Treppel, einen Pick!


Wilst du lortschen, wilst du dammen,

wilst da ziehen in dem Schach'?

Her, wir wagen uns zusammen!

Laß uns sehn, wers beste mach'!

Oder solls im Brete sein?

Gut! es gilt ein Stiebchen Wein!


Dorte liegen auch die Kegel.

Liebt dirs, nim es an mit mir!

Indeß bringt der Knecht das Legel,

angefüllt mit kaltem Bier,

und das soll uns lieber sein

als Madrill, dein bester Wein.


Wenn die Sonn' am höchsten stehet,

doppelt ihre wilde Glut

und kein linder West nicht wehet,

da verraucht uns Kraft und Mut,[344]

bis ein frischer Trunk ersetzt

das, was in uns war verletzt.


Über, unter, um und neben,

vor und hinter uns ist Lust.

Da ist lauter liebes Leben,

wo wir wenden hin die Brust.

Wo wir liegen, wo wir stehn,

sehn wir Freude mit uns gehn.


Doch was können wir alleine

mit einander lustig sein?

Laß hieher auch bitten Deine,

die nichts minder auch sind mein,

als die gleichsfals itzt, wie ich,

so bemühet sein auf dich!


Hola, Junger, hole Jene,

Jene, die du kennest wol!

Heiß sie kommen und erwähne,

daß wir schon sind zimlich voll!

Heiß sie da sein ohn' Verzug,

weil noch währt der dritte Krug!


Und so wollen wir uns freuen,

bis daß Phöbus Urlaub nimmt,

bis mit ihren lichten Reien

Luna an ihr Zimmer kömmt;

bis der Tag bricht wieder ein,

wollen wir so lustig sein!


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 336-345.
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