12. Amor

[404] Des kleinen Schützen heiße Polzen,

die stecken allzu tief in mir,

seither so ist mir für und für

von ihnen Leib und Sin zerschmolzen.

Wer zweifelt, sehe mich nur an,

ob Amor sei ein bloßer Wahn!


Man hat mich oft bereden wollen.

die Liebe sei nichts als ein Wahn.

Itzt wird mir an mir kund getan,

was ich nicht hätte gläuben sollen.

Wer zweifelt, sehe mich nur an,

ob Amor sei ein bloßer Wahn!


Ja, was noch mehr von diesem Knaben,

obschon der Pövel anders spricht:

er traf und dennoch zielt' er nicht.

Er muß ja ein Gesichte haben.

Wer zweifelt, sehe mich nur an,

ob Amor sei ein bloßer Wahn!


So kan ichs auch in mich nicht bringen,

daß er ein schwaches Kind soll sein.

Ich Armer bins nicht nur allein',

er kan die Götter auch bezwingen.

Wer zweifelt, sehe mich nur an,

ob er nicht mehr sei als ein Man!


Ein Teil der spricht, er soll wol hören.

O, das ist wol ein großer Schnitt!

Ich ruf', ich seufz', ich fleh', ich bitt':

umsonst ists, daß wir ihn so ehren.

Wer spricht, daß Amor hören kan,

und gläubts, der sehe mich nur an!


Wie schändlich hat auch der gelogen,

der michs beredt' und schwur darbei,

daß Amor nichts als Freude sei!

Itzt fühl' ichs, daß ich bin betrogen.

Wer zweifelt, sehe mich nur an,

ob Amor nicht betrüben kan!
[404]

Ein Ieder traue seinem Sinne,

wer Amor sei und wie und was!

Man sage diß, man sage das:

ich bin es leider worden inne.

Was Amor nicht kan oder kan,

das zeiget mein Exempel an.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 404-405.
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