55. An Suavien

[515] Ich tät' es, Suavie, ich wartete nach dir

die ganze halbe Nacht, gleich als du mir versprochen.

Wie kams dann, daß du mir die Treue hast gebrochen?

Immittels starb' ich fast für schmerzlicher Begier.


Zuletzte ließ ich dir noch einen Kuß alhier,

für dem auch hast da dich aus Übermut verkrochen,

wie sehr er dich gesucht bei einer halben Wochen.

Itzt kommt er wieder matt und ohne Trost zu mir.


Die Ursach' hör' ich itzt, dir sei zu Ohren kommen,

als hätt' ich Amnien in meine Gunst genommen;

nein, Licht, nein, gläub' es nicht! Es leugt sich itzund viel.


Wie ofte wird gesagt, du meinest mehr als Einen.

Ich höre, was ich muß, und gläube, was ich will.

Du wirst es nimmermehr ja nicht so böse meinen.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 515.
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