Die Fahne Schwerins

[223] Im Arsenal, dem alten,

Zu Petersburg am Dock,

Zersplittert und zerspalten

Steht ein alter Fahnenstock;

Er steht in seiner Ecken

An die hundert Jahre nun,

Mit den andern Fahnenstöcken

Hat er nichts zu tun.


Der Fahnen jüngste schmunzelt:

»He, Kamerad im Eck,

Warum so viel gerunzelt?

Das bringt uns nicht vom Fleck;

Nicht ewig stumm und einsam

Und nicht so steif-apart,

Gesellig hübsch, gemeinsam,

Und etwas Lebensart.«


Der drauf: »An Schaftes Runde

Sieh hier den Silberring,

Er deckt die breite Wunde,

Die ich bei Prag empfing,

Zersplittert hat, zerspalten

Die Kugel mich von Erz,

Schwerin, der mich gehalten,

Dem ging sie durch das Herz.


Wen solch ein Held getragen

In solcher Preußenstund',

Dem will es nicht behagen

Auf fremdem, russischem Grund,

Der will unter Trommelchören

In Berlin im Zeughaus stehn

Und den ›Dessauer‹ wieder hören,

Und von Hohenfriedberg den.«[223]


Im Arsenal, dem alten,

Zu Petersburg am Dock,

Zersplittert und zerspalten,

Sprach so der Fahnenstock.

Die andern nickten leise,

Der Zugwind wehte sacht,

Immer stiller ward's im Kreise; –

Ein Stern schien durch die Nacht1.

Fußnoten

1 Die Fahne befindet sich jetzt wieder im Zeughause zu Berlin.


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 223-224.
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