Die zwei Raben

[346] Ich ging übers Heidemoor allein,

Da hört' ich zwei Raben kreischen und schrein;

Der eine rief dem andern zu:

»Wo machen wir Mittag, ich und du?«


»Im Walde drüben liegt unbewacht

Ein erschlagener Ritter seit heute Nacht,

Und niemand sah ihn in Waldesgrund

Als sein Lieb und sein Falke und sein Hund.


Sein Hund auf neuer Fährte geht,

Sein Falk' auf frische Beute späht,

Sein Lieb ist mit ihrem Buhlen fort –

Wir können speisen in Ruhe dort.


Du setzest auf seinen Nacken dich,

Seine blauen Augen, die sind für mich,

Eine goldene Locke aus seinem Haar

Soll wärmen das Nest uns nächstes Jahr.[346]


Manch einer wird sprechen: ich hatt' ihn lieb!

Doch keiner wird wissen, wo er blieb,

Und hingehn über sein bleich Gebein

Wird Wind und Regen und Sonnenschein.«

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 346-347.
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