XIII.


Der Süsse Brey.

[84] Es weiß Jedermann / im Böhmen / zu sagen / von der Gastung / so der Gubernator zu Hradecz Gindrzichu (oder Neuhaus) und zu Telczy den Unterthanen / und armen Leuten / jährlich / in der Char-Wochen / am Grünen-Donners-Tage / von undencklicher Zeit hero /ausrichtet. Man nennets insgemein den süssen Brey.

Zu dieser Mahlzeit / versammlet sich / aus aller umligenden Nachbarschafft / eine solche Menge der Armen / daß alsdann / in dem Neuhäuser-Schloß /zum wenigsten sieben tausend / jemaln aber auch wol neun- oder zehen tausend solcher armen Gäste gezehlet werden: Massen der Pater Balbinus solches / mit seinen eigenen Augen / bezeugt / als welcher öffter /denn nur ein Mal / zugeschaut / und dem wir auch diese Nachricht davon zu dancken haben.

Es setzen sich je zwölffe beysammen auff die Erden / auff denen gar weit-geraumen Schloß-[84] Plätzen zu Neuhaus: sintemal / in den Gemächern / eine solche Menge nicht Raums genug fünde. Und damit keine Unordnung / noch Unruhe / entstehe; zehlet man die Tische / und werden / bey jedem / besondre Auffwärter gestellt / welche zu Tische dienen / die Speise aufftragen / Trincken bringen / und einschencken müssen. Solche Auffwartung besteht nicht / in gemeinen Leuten; sondern / in lauter Befehlhabern und Beamten: als da sind / die Amtmänner / Capiteyns /Burggrafen / Schreiber / und sonst allerley Beamten /oder Verwalter / deren es unzehlich-viel giebt; imgleichen die Rahtsherren / und andre ansehnliche Bürger der Stadt. Gemeinlich geht selbst der Gubernator und Herr deß Orts / mit etlichen fürnehmen Gästen / vor dem Gepränge der Gerichte / her / trägt die erste Schüssel zu / und wird ihm von einem starcken Hauffen solcher Tafel-Diener / nachgefolgt.

Weil es aber nicht wol möglich / daß eine so grosse Menge Volcks / an einem Ort / und auff eine Zeit /zugleich essen kann: lässt man / auff ein Mal / der Gäste nicht mehr ein / als der Raum deß Platzes verstattet. Wann dieselbe gesättigt / lässt man sie / durch das Hinter-Theil deß Schlosses / hinaus / und führt hingegen Andre wiederum herein: biß alle vorhandene Armen gespeiset seynd / und Keiner mehr übrig / welcher der Mahlzeit nicht genossen hette.

Die Speisen aber / so man ihnen vorsetzt / seynd diese folgende: Erstlich wird ein dreypfündiges Brod aufgelegt: hernach eine Suppen von Bier / oder andrer Brühe / auffgesetzt / die[85] gar fett und wol mit Butter geschmältzet ist: dem nechst zweyerley Speisen von Karpffen / (das ist / die auff zweyerley Art zugerichtet) Und endlich der so genannte Süsse Brey; derselbe mag gleich aus Erbsen / Buchweitzen / (oder Heidelkorn) oder sonst aus einer andren Hülsen-Frucht /gekocht seyn. Vor Alters / pflag man ein wenig Honigs drein thun: daher nennet man ihn noch heut den Süssen Brey. Dünnen Biers giebt man ihnen / so viel sie fordern; und zuletzt Jedwedem auch sieben Pretzel von Semmel-Meel. Die meisten Gäste / sonderlich die Armen / nehmen mit sich nach Hause /was sie können; und bringen darum zween Hafen (oder Töpffe) mit sich: In den einen werffen sie zwey Theile von den Karpffen; ohnangesehn / daß dieselbe / in der Würtze und Zurichtung / unterschieden seynd: in den andren schütten sie das Bier. Alles übrige / so sich nicht theilen lässt / als die Suppe / daß Eingeweide / und den Brey / verzehren sie zusammen miteinander.

Offtgemeldter P. Balbinus gedenckt / es habe Graf Ferdinand von Slavata, damaliger Gubernator dieser Famili / zum Ruhm solcher Liberalität / ihm erzehlt /daß bey diesem Gast-Mahl der Armen / etliche Bier-Siedens / drauf gingen / und gantze Fisch-Teiche ausgeleert würden.

Betreffend die erste Stifftung dieses Mals / so schreibt mehr besagter Author / wann man ihn ehedessen darum gefragt / habe er anders keinen Bescheid drauff zu geben gewusst / als / daß die Gottseligkeit der Vorfahren ohne Zweiffel / an solcher Gutthätigkeit gegen die Armen / den ersten[86] Anfang gemacht: Als man aber weiter in ihn gedrungen / mit der Frage / in welchem Jahr solches geschehen / und wie die erste Stiffter mit Namen geheissen? habe er seine Unwissenheit dißfalls / durch Stillschweigen / an den Tag geben müssen. Welches ihn dann bewogen /durch Befordrung erstgenannten Grafens Ferdinand /wie auch deß Samuelis Carolidis, welcher damals aller selbiger Herrschafften Haabe / Güter / und Einkommen / an stat deß Regentens / in seiner Verwaltung gehabt / solcher alten Urkunden und Antiquiteten auch sehr befliessen gewest / die alten Briefe deß Archivi (das ist / der Ur-Cantzeley oder alten Brief-Kammer /) durchzusuchen. Da er dann erstlich / gefunden daß / bey allen und jeden Jahren / deß Süssen Breyes Meldung geschehn / auch gar genau und richtig dabey aufgezeichnet worden / wie viel man / auf solchen Tisch / für so viel tausend Mäuler / gewendet. Der erste Ursprung aber ist so wenig / als einiger Buchstab / zu finden gewest / daraus er / in Original /hette eine Verordnung ersehn mögen / daß der Herr deß Schlosses / und Vorsteher dieser Famili / solches Gast-Mal zu geben / sollte verbunden seyn: Welcher Stifftungs-Brief aber entweder / in einiger Feuersbrunst / oder durch andre Zufälle / in so langer Zeit /wol kan umgekommen und verlohren seyn. Dann diese so alte Gewonheit erstattet selbst Anzeigungs genug / sie müsse nicht ohne Ursach oder ungefähr nur also aufgekommen / viel weniger so lange Zeit hero fort gesetzt / und beybehalten seyn.

Weil dann / aus den alten Schrifften und Ur-Briefen / nichts zu hoffen gewest: hat vorersagter[87] Graf die allerältesten Leute herzuruffen / und Jedweden insonderheit befragen lassen / ob / und was sie / wegen des Herkommens und Urgestiffts dieser Gasterey / von ihren Vor-Eltern / vernommen hetten?

Unter solchen Weiß-Köpffen / befanden sich neuntzig- ja allerdings auch hundert-jährige Greysen: dieselbe antworteten fast gleiches Lauts / sie hetten von alten Leuten / und von ihren Vätern / verstanden / es wäre ehedessen eine fürnehme Matron fürnehmes Stamms gewest / deren man die Vormundschafft /oder Aufsicht der verwäisten jungen Herren von Neuhaus vertraut hätte; diese habe man / weil sie / als wie eine Witwe / in Witwen-Kleidung gegangen / die Weisse Frau genannt; und sey eben dieselbe / so /wie die Vorfahren gleichfalls angezeigt / bißweilen im Schloß erscheine: Dieselbe habe angefangen / das Neuhäusische Schloß zu bauen / und viel Jahre / über solchem Werck zugebracht / mit grosser Beschwerung aller Unterthanen / so sie bey Grabung und Aufführung der Wälle / Auffrichtung der Thürne / Zuführung deß Kalchs / Sands / der Steine / und andrer Materialien / biß zu gäntzlicher Vollendung solches weitläufftigen und grossen Schloß-Gebäues / ausgestanden: dabey sie doch gleichwol solchen frohnenden Unterthanen freundlich zugesprochen / mit Vertröstung diese Arbeit und Frohn-Dienste würden schon mit ehestem zu Ende gehn; auch Jedwedem seinen Tag- oder Arbeits-Lohn / mit baarem Gelde / bezahlt /und ihnen zugeruffen habe: Arbeitet / für eure Herren / ihr getreue Unterthanen / arbeitet![88] Wann wir das Schloß werden verfertigt haben / will ich euch / und allen euren Leuten / einen Süssen Brey vorsetzen. Denn diese Art zu reden führten die Alten / wann sie Jemanden zur Mahlzeit luden.

Nachdem endlich das Schloß in völligem Stande /und vollendet (welches / nach Aussage dieser befragten Alten / im Herbst geschehn) hat die Frau / ihres Versprechens eingedenck / allen Unterthanen ein herrliches Mal zugerichtet / und / unter währender Mahlzeit / zu ihnen gesagt; Zu steter Gedächtniß eurer Treu gegen eurer lieben Herrschafft / sollt ihr jährlich eine solche Mahlzeit haben: also wird das Lob eures Verhaltens / auff die späte Nachkommen / fortgrünen.

Nachmals / aber (sagten diese gute ehrliche Grau-Köpffe) hetten die Herren für füglicher angesehn / daß man diese Mahlzeit / aus dem Herbst / auff den Tag und Gedächtniß der Einsetzung deß Heil. Abendmals / verlegte; als an welchem ohne dem die Armen / von reichen und fürnehmen Christen / tractirt würden; und solche Verändrung deß Tags wäre eben so über-alt noch nicht / ja sie erstrecke sich noch kaum über hundert Jahre. Das war es / was die hochbetagte Grau-Bärte davon aussagten.

Womit der Author Alles / was vorhin / von dem Geschlecht / Namen / und Lebens-Wandel der Weissen Frauen gesagt / gnugsam versichert und bestetigt schätzt; und erscheinet zugleich daraus / nach seiner Meynung / warum dieses Gast-Mahl / für die Armen /von ihr so eyfrig und hefftig behauptet[89] werde: weil sie nemlich ihre Sachen ihr lasse angelegen seyn / über ihre Wolthätigkeit und Gestifft die Hand halte / und Verlangen trage / daß es ewiglich bleibe.

Nachgehends macht dieser Author / nemlich Herr Pater Balbinus / dem wir für diese so umständliche Nachricht / guten Theils zu Danck verbunden seyn /diejenige Häuser (oder Schlösser) im Böhmen namhafft / darinn man die Weisse Frau erblicke. In seinem ersten Capitel / darinn er / von diesem Gespenst zu schreiben / den Anfang macht / nennet er die Oerter Krumlov / Neuhaus / Trzebonn (Wittengau) Frauenberg / (oder Hluboka) das Schloß zu Bechinie, und das Schloß zu Teltzen, etc.

Hernach / im 16ten Capitel deß dritten Buchs /namkündigt er noch andre mehr / und sagt / es sey für eine der grössesten Göttlichen Wolthaten zu achten /daß die Herren von Schvvamberg eben so wol / durch der Weissen Frauen Erscheinung / ihres bevorstehenden Todes / ehedessen erinnert worden; sintemal sie sich gleichfalls / in dem ertz-altem Schloß Kraselovv, oder Schvvamberg / alsdann habe sehn lassen: Und habe er von den Bedienten dieser Herren vernommen /daß sie / vor dem Tode der letzten Gebrüder solcher Famili / noch erschienen: Ob die Göttliche Gnade dieses Privilegium (so titulirt er es!) noch weiter heut auf die Erben ausgedehnt habe / wisse er nicht zu berichten; wiewol es / von etlichen Personen / bejahet werde.

In dem Schloß (schreibt er ferner) der Berkarum (derer von Berka) und der Lippæorum[90] sehr altem Neu-Schloß Novvy zamek, wird noch heut / wie bekandt / die Weisse Frau geschaut / auch daselbst die wahre Gestalt dieser Verstorbenen / jetzo aber ums Schloß herum wandrenden / Weissen Frauen / auf einer an der Wand hangenden Tafel gemahlt / den Leuten gezeigt.

Hiebey erinnert er sich / von einem Ordensmann gehört zu haben / daß etliche Jungfern und Mägde /nach Mittage / ins Schloß gegangen / allerley Schelmerey und Kurtzweil unter sich getrieben / und zuletzt solches Bildniß der Weissen Frauen / muthwilliger Weise einander / mit starckem Gelächter / gewiesen: Unter solchem ihrem Spaß / sey plötzlich ein Geräusch entstanden / darüber sie erschrocken / und davon geloffen; die Letzte aber / in der Flucht / erwischt und durch eine verborgene Gewalt (angemerckt / sie Niemanden gesehen) beym Rock / der ihr auffgehaben ward / angehalten / und / als sie zu schreyen angefangen / kaum wieder loßgelassen worden: Solches habe besagter Ordens-Mann / als welcher dabey gewest / Selbst mit angesehn.

Das wühste Schloß Tollenstein / von welchem das Gerücht geht / als ob viel Schätze darinn verborgen ligen / hat gleichfalls die Weisse Frau zur Einwohnerinn / oder Besucherinn. Sie schauet unterweilen zum Fenster herab: darüber sich alsdann die Wandersleute verwundern / und sie grüssen.

Das seynd also die Oerter in Böhmen / da man ihrer ansichtig wird. Daß / auch in Francken / und in der Marck Brandenburg / an theils grossen Höfen der Protestirenden / die Weisse[91] Frau / zur Anzeigung wigtiger Vorfälle sonderlich aber hoher Trauer-Fälle /sich ins Gesicht stelle / habe ich oben schon berichtet.

Sie sey und bleibe nun / wer sie wolle: ich verlange sie weder weiß / noch schwartz / zu sehen; will auch keines Vorzeichens zur Warnung für einem unversehener Lebens-Endschafft erwarten; sondern mich genug gewarnt achten / und täglich auch selbst warnen / mit der Warnung deß HErrn: Wachet! denn ihr wisset nicht / zu welcher Stunde deß Menschen Sohn kommen wird.

Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 84-92.
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