XXI.


Das verführische Irr-Licht.

[172] Daß die so genannte Nacht- oder Irr-Lichter / welche denen / bey Nacht wandrenden / reitenden / oder fahrenden Leuten nicht selten zu Gesicht / offt auch wol gar nahe auff den Leib kommen / für sich selbst nicht unnatürlich / sondern eine Entzündung gewisser Dünste seyen / habe ich / in meinen vorigen Schrifften /unterschiedlicher Orten / sonderlich aber / in dem fünfften Discurs deß Erd-umgebenden Lufft-Kreyses / mit ziemlicher Ausführlichkeit behandelt. Allda ich auch gedacht / daß / auff den Spannischen Gebirgen / die Irrwische sehr häuffig beyeinander / von den Reisenden / gesehn werden; und / in Aethiopien / oder Morenlande / die Felder offt / gantze Nächte durch /davon leuchten / nicht anders / als ob sie gestirnt wären: imgleichen / daß / auff dem so genannten Perlen-Fluß / in Sina / bey Nacht solche Liechter auch erscheinen / und von den Sinesern für helle Karfunckeln geachtet / doch gleichwol aber Jeming / das ist / Nacht-Lichter / genannt werden.

Durch solche Irr-Lichter nun / kann man gar wol /natürlicher Weise / in Wasser und Morast / verleitet /und drüber seines Lebens verkürtzt werden; wenn man denselben nachfolgt: weil sie sich gern / nach und nach / dahin ziehen. Gleich wie aber Scherertzius / von den Meer-Lichtlein / die sich / bey Stürmen /auff die Schiff-Bäume / oder Segel /[173] setzen / oder auch ob dem Schiffe schweben / gantz willig gesteht /daß sie aus natürlichen Ursachen sich entzünden / und den Schiffenden erscheinen (welche Ursachen ich gleichfalls / in angeregtem Discurs / am 572 und etlichen folgenden Blättern / habe angezeigt) nichts destoweniger aber doch der Satan / als ein Feind menschliches Geschlechts / seine Gauckeley mit drein menge: damit er den Schiffleuten die Furcht und Angst vergrössere; daher dann solche Meer-Lichtlein bißweilen gleichsam / als wie eine menschliche Stimme / ein Geheul und Gewinsel von sich geben: (wiewol dieses Kirren und Winseln eben sowol natürlich geschehen kann) Also lässt sich solches viel gewisser noch / von den Irrlichtern / urtheilen; nemlich daß bißweilen die Gespenster ihr Spiel damit treiben / um die Leute in Unglück zu bringen / indem sie dieselbe dadurch auff Irrwege / in morastige Oerter / und Wasser-Pfühle / verführen.

Es erzehlte mir / vor vielen Jahren / ein erbarer Mann / der mein Reise-Gefährt war / daß er vor kurtzer Zeit / in Gesellschafft eines fürnehmen Manns /zwischen Nürnberg und Nördling / bey Nacht / weil die Eilfertigkeit solche zur Gehülffinn erheischete /geritten / und ehe dann sie / hinter Kuntzenhausen /an die Brucke gekommen / eine Fackel aus selbigem Städtlein / mit sich genommen. Worauff / unweit von dem Wasser / etliche Irrlichter neben ihnen her zu flackern angefangen: Weßwegen sie / um so viel mehr / die Fackeln angezündt / um der Brucken / weil / von dem hohen Wasser derselhen ein guter Theil überschwemmt und verdeckt war / destoweniger zu verfehlen / noch von derselben[174] herab / in den Strom / zu verfallen. Welches ihnen auch / bey einem Haar /schier wäre widerfahren; wann nicht der Mann / welcher mir solches erzehlte / aus offtmaliger Bereisung selbiges Weges / deß rechten Strichs wäre kündig gewest. Denn die Irrlichter / welche / eine Weile / hinter / oder neben ihnen her / geflattert / begunnten sich zu mehren / und sie fast irr zu machen: indem etliche derselben vor ihnen her fliegend / sich auf die Brucke stelleten / etliche über dem Wasser / zur Seiten der Brucken; etliche auff das Stuck der Brucken / welches unterm Wasser stund. Und wie diese zween Reitende eben an den Ort gelangten / da der beflossene Anfang der Brucken seyn musste; wollte dem fürnehmen Mann schier bang werden / und ihm / sein Pferd / abwerts zur Seiten / weichen: Welches ihn denn gewißlich in die Tieffe geführt hette / daferrn nicht sein voranreitender / und dieser Brucken wol-erfahrner Reise-Gefährt / ihm zugeruffen / er sollte still halten / auch etliche Schritte zurück geritten / und ihn wieder auff den rechten Pfad gebracht hette. Hernach ermahnte er ihn / ihm nur stets hertzhafft zu folgen. Also ritten sie / mit grössester Behutsamkeit / durch das über die Brucken hinlauffende Gewässer / biß sie den trucknen Theil derselben erreichten / als unterdessen besagte Nacht-Lichter / unweit von ihnen hin und wieder hüpfften / und hernach wiederum voraus fliegend / an-und neben dem End-Stuck der Brucken / welches gleichfalls unter dem Wasser verborgen lag / ihre Gauckeley oder Flatter-Wesen anfingen. Daraus sie dann nicht unfüglich geschlossen / daß ein Gespenst mit im Spiel wäre; und daß / woferrn sie nicht ein[175] brennendes Windlicht mit genommen hetten / Einem von ihnen besorglich / im Strom / seine zwey Stirn-Lichter würden erloschen seyn. Wie dann Unfall gemeinlich darauf folgt / wo vorher die Fürsichtigkeit gefallen / und auch leicht das leibliche Auge denen zugeht / welchen das Gemüts-Auge / die Behutsamkeit / ausgerissen ist.

Man lieset auch / beym Fromondo / daß Einer / der ihm beschwägert gewest / als derselbe bey der Nacht gereiset / mitten auff dem Felde / urplötzlich / von dreyen oder vier Irrlichtern umgeben / und dergestalt drüber erschrocken sey / daß er sich alsobald auf die Erde nidergelegt. Da sie dann eine Zeitlang allda verblieben / und / etliche Schritte weit von ihm / ohn einige Bewegung / still gestanden; endlich aber / nach dem er ziemlich lange / an der Erden / gelegen / und GOtt um Schutz angeruffen / von ihm weggesprungen / und weiter / denn eine Meilwegs / uber die Mosel /gefahren. Kaum aber ist er ein paar Schritte fortgegangen; da seynd sie gleich wieder zuruck geflogen /und ist er eben / wie vorhin / von ihnen / umringt worden: Worüber er dann noch hefftiger erschrocken /abermal sich auff die Erde geworffen / und nicht eher auffgestanden / als / biß sie wieder davon geflogen /und nicht wieder gekommen.

Solche wunderseltsame Bewegung hält Fromondus1 für verdächtig / und urtheilt sie sey / von einem bösen Geist / regiert worden. Welches ich gleichfalls vermute. Denn ob mich zwar meine eigene Augen dieses gelehrt / daß diese Nachtlichter sich / natürlicher Weise / also trennen / oder[176] entzweyen / ja bißweilen aus einem drey oder vier werden / und schneller als ein Vogel / biß auf eine Viertheil oder halbe Meil /von einer Stelle / zur andren / fahren: giebt dieses doch ein besondres Nachdencken / und Anzeigen einer unnatürlichen Regierung / daß sie / nach solcher fernen Wegflucht / zu selbigem Menschen plötzlich wiedergekehrt / ihn umringt haben / und eine Weile bey ihm still gestanden: da sonst die Irr-Lichter /wann sie eine Stelle verlassen / und weit hinweg fliegen / sich gemeinlich voneinander gar weit entfernen /und an unterschiedene Oerter fliegen / auch nicht bald an die erste Stelle wieder kehren / zum wenigsten nicht alle.

Sonst halte ich nicht Alles / für unnatürlich noch teufelische Gauckeley / was manchen die falsche Einbildung also fürmahlt. Als / zum Exempel / wann diese Irr-Lichter bißweilen spratzeln und krachen /und einen unlieblichen seltsamen Laut von sich geben / der schier einem wimmrenden und ächtzendem Menschen nachaffet; so fallen manche / weil der Schrecken / welcher bey Nacht das menschliche Gemüt stärcker angreifft / als bey Tage / ihnen die recht vernünfftige Betracht- und Ermessung verhindert / und die wahre Ursach verdeckt / auf die Gedancken / solches ächtzen / kirren / und spratzeln / sey deß Satans Affenwerck / und eines Gespenstes Stimme: da es doch von der entzündeten Materi entsteht / und offt ein auf dem Heerd brennendes Holtz dergleichen Laut giebt.

Ist demnach schier nicht Wunder / daß etliche Leichtgläubige und einfältige Leutlein sich / wie Cardanus, bey einem Discurs von den Irrlichtern / erinnert / hierüber den Wahn gefasst / als ob die[177] Seelen der Verstorbenen / mit diesen Flammen umhüllt /auch gestrafft / und gereinigt würden. Und ich vermute / dasjenige / was wir oben / aus dem Scherertzio, von dem Geheul und Winseln der Meer-Lichtlein vernommen / sey eben so wenig eine Anzeigung teuflischer Mitwürckung / sondern geschehe allerdings natürlich; nehme doch gleichwol hiemit nicht gäntzlich wieder zurück / was ich vorhin / aus gedachtem Scherertzio, gesetzt; daß dennoch zu Zeiten / auch denen gar zu abentheurlichen Bewegungen solcher Meer-Lichtlein / der Geist der Finsterniß wol einen Zusatz und Nebenwürckung geben könne.

Ein gantz unfehlbarer und unleugbarer Beweis aber / daß / unter den nächtlichen Irr-Flammen / manches Mal der Betrug und Tuck deß Satans verborgen stecke / wird / aus nachfolgender Geschicht / erhellen.

Es hat / vor nicht vielen Jahren / ein verheirahtetes gemeines Weib gelebt / wiewol / dem gemeinem üblen Gerücht nach / also / daß sie / für lebendig todt / geachtet worden. Man wollte sagen / ihr Leib wäre ein solcher Heerd / darauf heimlich viel fremdes Feuer brennete / die eheliche Treu hingegen äscherte; und ein solcher Schlott oder Schörstein / der von mehr /als nur einer / unreinen Laster-Brunst / sonderlich aber von Unzucht / rauchte. Ihr funfftzig-jähriges Alter / und Asch-graues Haat / hetten ihr eine stumme Predigt / und Erinnerung thun sollen / solchen wühsten Ruß vom Hertzen abzukehren / und dasselbe in Buß-Threnen zu waschen: aber daran gedachte sie noch lange nicht: unter der Haar-Aschen ihres Alters /glühete doch noch eine[178] solche Brunst / die einen stinckenden Rauch dem Gerücht pflegt unter die Nasen zu treiben: und hielt sie mehr / von der Wäsche / wodurch die Gurgel / als von einer andren / womit das Auge / genetzet wird. Uberall / wo etwas zum Besten war / und es eine Fröligkeit setzte / musste sie mit dabey / und weiter vorn- als hind-an seyn. Den Kirchweihen / auch dabey angestellten Reigen / und Mahlzeiten / war sie gantz geweihet; versäumte lieber zehen Mal die Kirche / als ein Mal die Kirchmeß. Sie wusste aber nicht / daß ihr die Grube so nahe / und die Todes-Kammer ihrer / mit auffgesperrter Thür /wartete.

Es begab sich endlich / daß / an einem nahgelegenem Ort / die Hebræer einen sonderbaren Feyer-Tag hatten: demselben / gedachte sie / mit zu feyren /auf ihre Weise / das ist / mit essen / trincken / und Wolleben / im Wirthshause: sprach derhalben ihren Mann mit aufs / und ging / in Begleitung andrer Befreunden / dahin; nicht so sehr / die Jüden / als gute ausgeschwängte Glässer / zu sehen / und guter Dinge zu seyn. Nachdem sie nun der Gesellschafft / mit einem guten Trunck / treulich beygestanden / und sich ziemlich beweint; wird sie / von den Ihrigen / ermahnt / aufzubrechen / und in Begleitung andrer Weiber /heimzugehen. Darein sie auch endlich willigt / in Meynung / ihr Mann sey schon / mit Andren / voraus.

Indem diese nun / mitten auff dem Heim-Wege /begriffen seynd / und diß Weib spührt / ihr Mann sey noch zurück; kommt ihr die Lust an / dem noch hinterbliebenem Zech-Gelage wieder zuzusprechen / mit dem Vorwenden / sie müsse ihren[179] Mann holen: Will sich auch / von den Ihrigen / durchaus nicht auffhalten lassen / sondern stosst ihren nechsten Freund / der ihr nacheilt / und grosse Bitte / samt ihm wieder umzukehren / anlegt / mit Gewalt von sich: also / daß er sie endlich muß erlassen / und seines Weges fortgehen. Und weil von fernen sich gleichsam ein paar Fackeln sehen liessen; meynten ihre umschauende Gefreundte /es käme die noch hinterstellige Gesellschafft daher; derwegen sie nun bald zu ihrem Mann kommen könnte / als welcher zweiffels ohn / unter dem Hauffen /der sich die Fackeln vortragen liesse / seyn würde. Derhalben hörten sie auff / ihr nach zu eilen / und gingen allgemach / Schritt für Schritt / heimwerts fort. Uber kurtze Weil schauen sie zurück / und die erblickte Fackeln nicht mehr; vermuten also daraus / es sey selbige Gesellschafft / durch deß Weibs Zuruckkunfft bewogen worden / den Ruckweg vor zu nehmen / und die Zeche zu erneuren: Darum weil es nunmehr / selbiges vermeynten Hauffens zu erwarten /vergeblich scheinen wollte / marschirte der gantze Trupp / ohn weiteres Bedencken / nach Hause.

Ungefehr eine Stunde oder zwo hernach / kommt auch deß Weibes Mann heim / gäntzlichen Vertrauens / er werde sein / vor ihm hergegangenes / Weib da heim schon antreffen. Weil er sich aber / in solcher Meynung / betrogen findt / und von den Seinigen vernimt / es hetten zwo brennende Fackeln über Feld sich allgemählich berbey genahet / auff welche sie /die Fran / zugegangen: wird ihm nicht wol bey der Sache; sintemal er sich wol wusste zu erinnern / daß /um selbige Zeit / er / und seine gute Brüder / annoch auff der Zech-Banck /[180] bey einem guten Trunck / gar fest gesessen: Eilt demnach / mit etlichen nechsten Nachbarn / zurück / und zwar um so viel mehr / weil er vernommen / sein Weib sey solchen Wind-Lichtern entgegen gegangen / welche Einer unter ihren verlassenen Gefährten für keine rechte Lichter / angesehn /sondern verdächtig gehalten hette / darum daß dieselbe bald wieder verschwunden. Er kehrt wieder an den Ort / da man getruncken / und findet Sie daselbst so wenig / als in den nechsten Dörffern. Ob man sie auch / etliche Tage / ja gar etliche Wochen gleich nach einander suchte / so wol im Wasser / als in Feldern / und Wäldern: kunnte man doch / ihres Auffenthalts und Bleibens / nirgends keine Nachricht erhalten: denn die finstre Nacht hatte alle Spuhr zur Erfahrung ausgelescht.

Daraus entstunden nun mancherley Reden und Meynungen. Denn weil man vermutete / so ferrn sie etwan ins Wasser gefallen wäre / würde man sie / in so vielen Tagen / schon gefunden haben: urtheilten Etliche / sie wäre erschlagen / und in einen Pusch geworffen / oder geschwinde irgendswo eingescharrt; Etliche / sie wäre / mit einem bestimmten Soldaten /davon gezogen: Etliche / der Teufel hette Sie weggeführt; weil sie eben damals lustig geflucht / als ihr nechst-Verwandter sie nicht wollen gehn lassen.

Die Zeit gab endlich das Gewisseste; nemlich / daß / nachdem sie den beyden vermeynten Wind-Lichtern entgegen geeilt / sie / von selbigen Irrwischen / welche der böse Feind zu seinem Vorhaben gemißbraucht / in den nechsten Fluß geführt / und darinn ersoffen wäre. Denn / nach einem[181] viertheil Jahr / hat man sie /im Wasser / an einem Pusch / darein sich ihr Rock verwickelt gehabt / verarrestirt gefunden.

Fußnoten

1 Lib. 2. de Meteor. c. 2.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 172-182.
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