LXVII.


Der Isländische Schatten-Geist / auch vermeynter Natur- und Schutz-Engel.

[618] Es waltet / unter uns Christen / noch heut zu Tage /die Frage / Ob jedweder Mensch einen besondren Leib-Engel habe? Etliche / vorab die Römisch-Catholische / bejahen es; Andre verneinen es / oder nehmens / aufs Wenigste / für keine Gewißheit / an: weil wir keine Göttliche Nachricht davon haben / und es /von unsrer Vernunfft / nicht erlernen können. Denn (sprechen sie) das geoffenbarte Wort GOttes lehret uns zwar / daß die Engel uns behüten; meldet aber /von keinem absonderlichem Engel / der einem jeglichen Menschen wäre zugeordnet.

Die heidnische Weisen zweifelten daran gar nicht; ausgeschlossen die Peripatetici und Epicurer. Sie glaubten / der Mensch würde / von seiner Geburt an /durch einen Schutz-Engel / bedient / oder beobachtet: welchen sie auch deßwegen Genium, das ist / den Geburts-Engel / hiessen; entweder darum / weil er /ihrem Wahn nach / zuwegen brächte / daß wir geboren würden; oder weil er / mit uns / zugleich geboren würde; oder weil er / nachdem wir zur Welt geboren worden / uns in seinen Schutz nähme: Dieser Geburts-Engel / oder Genius, müsste deß Menschen so unaussetzlich hüten und warnehmen / daß er[619] keinen Augenblick von ihm zu weichen / sondern von Mutterleibe / biß an den Tod / ihn zu begleiten / verbunden bliebe: Immassen Censorinus die Bedeutung deß Genii, und dessen vermeynte Amts-Pflicht / also erklährt.1

Pindarus, und theils andre alte Poeten / stunden in gleichen Gedancken: imgleichen die Platonische Philosophi, Plotinus und Proclus. Plato selbst hielt dafür / es wären einem jedwedem Menschen eintzelne oder eigne und besondre Zeugen / Hüter und Aufseher / zugegeben / die sich / unsichtbarer Weise / allezeit um ihn fünden / und nicht allein seine würckliche Verrichtungen / sondern auch Gedancken / bemerckten.2 Eben dahin gehet auch die Rede Epicteti, GOtt habe einem Jeglichen einen Schutz-Engel zugeordnet /und diesem den Menschen in seinen Schirm anbefohlen: derselbe Schirm-Engel entschlummere nicht /könne auch nicht / von seinem Untergebenem / dem Menschen / getäuschet und hintergangen werden.

Die alte Kirchlehrer stimmen fast alle hiemit überein / daß ein Jedweder seinen besondern Schutz-Geist habe. Und solches schlossen sie / aus der Apostolischen Geschicht-Beschreibung / darinn gedacht wird /nachdem Petrus / durch den Engel / aus dem Kercker erledigt worden / hetten die Seinige / nachdem die Magd Rhode / angesagt / daß er / vor der Thür angeklopfft / und sie seine Stimme gehört hette / gemeynt /es wäre sein Engel.3[620]

Denn es war diese Meynung / unter den Jüden /(die Sadducœer ausgenommen) gar gemein / daß GOtt jedweden Menschen einem gewissen Schutz-Engel hette / zur Hut / anvertraut.

Dieses lassen sich auch / wie gesagt / die alte Kirchen-Lehrer gefallen / und bestetigen es / wiewol in gesünderem Verstande / weder die Heiden / hin und wieder / mit ihren Zeugnissen.

Origenes schreibt: Wir bekennen / daß auch theils Engel dienstbare Geister seyen / die von GOtt ausgesandt werden / zu denen Leuten / so die Seligkeit ererben sollen; und daß dieselbe bald hinauf fahren / in die reinste Himmels-Oerter / ja auch zu den Uberhimmlischen; um die Gebete der Menschen vorzutragen; bald wiederum herab fahren zu den Menschen / und zu jedwedes Nutzen etwas mitbringen; nachdem Jemand einer Wolthat / oder Gnade würdig ist.4 Eben hierauf ziehet er auch angedeutete Stelle aus der Apostel Geschichten / in dieser Rede: Von dem Petro / nachdem derselbe aus dem Kercker geführt / und an die Thür geklopfft / sprachen diejenige / welche damals im Hause waren. / Es ist sein Engel! So vernimmt man hieraus / wie deß Petri seiner / also sey auch ein andrer besondrer Engel deß Pauli / und ein andrer Apostel habe gleichfalls einen andren / und also nach gleicher Weise ein jedweder.

[621] Chrysostomus zeucht eben denselbigen Schluß daraus / wenn er spricht: Sie sprachen / Es ist sein Engel. Und es ist wahr / daß ein Jedweder seinen Engel hat.5 Und anderswo schreibt er: Die Engel seyen anfänglich / nach der Zahl und Austheilung der Völcker / zum absonderlichen Schutz einer jeglichen Nation / vertheilt worden; nunmehr aber seynd sie / nach Anzahl der Gläubigen / zu Wächtern bestellt: wie wir lesen / daß sie gleichfalls / im alten Testament / den Heiligen beygestanden.6

Wobey zu beobachten / daß Chrysostomus dafür hält / es werden nur den Gläubigen allein Schutz-Engel zugeordnet.

Welcher Meynung auch Basilius ist / und solche /mit diesen Worten / klärlich ausdruckt: Nicht Allen und Jeden / sondern allein den Gottsfürchtigen und Guten / stehen die Engel vor / etc. Daß einem jedweden Gläubigen ein Engel an der Seiten stehe / und wie ein Zuchtmeister und Hirt / sein Leben regiere / muß Niemand widersprechen / welcher der Worte deß HErrn eingedenck ist: Sehet zu /daß ihr nicht Jemand von diesen Kleinen verachtet. Denn Ich sage euch / Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.7 Und: Der Engel deß HErrn lagert sich um[622] die her / so Ihn fürchten.8 Und: Jacob spricht: Der Engel / der mich erloset hat / von allem Ubel / der segne die Knaben. Gen. 48. v. 16.9

Diesen pflichtet gleichfalls bey / nebenst Andren / Anastasius Nycænus, und Petrus Damianus: welcher schreibt / es seyen uns / von Zeit unsrer Geburt an / die Engel zu Hütern und Wächtern verordnet. Womit auch Hilarius einhällig ist.

Hingegen schreiben andre Kirchen-Scribenten /allen und jedweden Menschen einen besondern Schutz-Engel zu; als Gregorius Thaumaturgus, Methodius, und vor diesen auch Didymus: welcher aber setzt / daß die Frommen / von den Engeln deß Lichts; und die Bösen / von den Engeln der Finsterniß / bewahret werden. Wiewol / meines Erachtens / diese Mißstimmung leicht / zur Harmonie und Einstimmigkeit / gebracht werden kann.

Hieronymus rühmt es / für eine besondre Begnad-und Beehrung der Menschen / daß ein Jeglicher /unter ihnen / mit seinem eigenem Schutz-Engel / versichert wird. Es gereicht (schreibt er) den Seelen zu grossen Ehren und Würden / daß Jedwede /gleich vom Anfange der Geburt / einen / zu ihrer Hut bestimmten / Engel hat.10

Unter den protestirenden Theologis, wollen Etliche so wol evangelischer / als reformirter Religion /[623] diese Meynung nicht verwerffen: ob sie gleich dieselbe / für keinen Glaubens-Articul / erkennen. Der gelehrte Gerardus Vossius scheinet hiezu allerdings geneigt /indem er diese Worte gebraucht: Ex eo etiam id evincitur, quod legimus. Act. XII. 15 cùm ancilla Rhode dixisset, se agnoscere vocem Petri præ foribus stantis, hi, quibus illud nunciabat, dicerent, Ο᾽ ἄγγελος ἀυτοῦ ἰςιν. Ut indè liqueat, communem fuisse opinionem inter Judæos, singulis nominibus Angelum à DEO custodem attributum. Es wird dieses (nemlich / daß jedweder Mensch seinen Engel habe) daraus erobert / daß wir / im 12 Capittel der Apostel Geschichten / lesen / es hetten diejenige / welchen die Magd Rhode angekündigt / sie vernähme die Stimme Petri / der vor der Thür stünde / gesagt: Es ist sein Engel. Daß also daraus erhellet / es sey damals / unter den Jüden / diese Meynung gemein geweßt / GOTT habe jedwedem Menschen einen Schutz-Engel zugeeignet.11

Er hält gleichfalls dafür / daß gantzen Königreichen und Völckern gewisse Engel vorstehen. Wie wir anderswo ihn hierüber vernehmen werden.

Philippus Camerarius ist / in seinen Horis sive operis subcesivis, derselbigen Meynung. Ja Mancher will nicht allein jedwedem Menschen / und Lande /sondern auch jedwedem Geschlecht der Thiere[624] Thiere und Pflantzen / und jeglichem Element / besondre Schirm-Engel zuschreiben; als Aretus, Andreas Cretensis, Cassianus.12 Und dieses seynd auch deß H. Augustini Gedancken.

Von Andren aber / will dieses / daß ein Jeglicher seinen eigenen Schutz-Engel um sich habe / für unscheinbar angesehn werden: weil / wie sie sprechen /uns der vorgeschützte Spruch H. Schrifft / Es ist sein Engel! nicht dazu zwinge.

Etliche Gelehrte deuten das Wort Engel allda nicht / auf einen Geist; sondern auf einen Boten.13 Daher es auch Isidorus Clarius also übersetzt hat: Es ist sein Bote.

Andre sprechen / man brauche solcher Erklährung nicht ein Mal; sondern könne es näher haben; angemerckt / es der heilige Scribent nicht assertivè (oder Bekräfftigungs-Weise) sondern nur relativè (Erzehlungs-Weise) gesetzt habe / nemlich zu deuten / daß damals selbige / allda versammlete / Heiligen / in solcher Meynung / gestanden.14

Calvinus schreibt / wer diejenige Sorge / so GOTT für uns trägt / nur auf einen Engel allein einschränckt / oder verbindet / der thue ihm selbsten / und allen Gliedmassen der Kirchen / groß Unrecht / und scheine dadurch so viel zu sagen / als ob die englische Hülff-Schaaren / womit wir / im Streit / allenthalben um ringt seyen / vergeblich uns versprochen wären: die H. Schrifft sage nicht / Er[625] hat seinem Engel; sondern / seinen Engeln / über dir befohlen / etc.15

Aber dieser / deß Calvini, Beweis ist der stärcksten keiner. Denn aus gleichem Grunde (oder Schein-Grunde) könnte ich folgern: GOtt hat / uns zu Dienste / die heilige Frohn-Boten ausgesandt; derwegen hat Er nicht den Ertz-Engel Gabriel allein / sondern alle heilige Engel / zu der hochgebenedeytesten Jungfrauen / gesandt.

So ermangelt die Auslegung derer / welche / wie vor gemeldet / wollen / die / so in dem Hause gewest /hetten einen Boten dadurch verstanden / eines vernünfftigen Scheins / und laufft wider die Apostolische Beschreibung. Welche bericht / die Magd habe drinnen angezeigt / sie hette Petri Stimme erkannt. Darzu schickt sich gar nicht diese Antwort: Es ist sein Bot. Denn sie kunnten leicht gedencken / daß Petri Stimme / und seines Botens Stimme / unterschiedlich lauten müssten / und die so genau horchende Rhode solchen Unterscheid leicht würde erkannt haben. Bleibt also dieses das Vermutlichste / daß sie gemeynt / es wäre sein Engel.

Ich will / in dieser Strittigkeit / mich zu keinem Richter aufwerffen; doch unterdessen meine unvorgreiffliche Gedancken nicht verheelen.

Daß ein Gottsfürchtiger allezeit einen Engel um sich habe / steht bey mir weit ausser dem Zweifel: sintemal der obangezogene Psalm solches gar deutlich /mit diesem schönem Trost-Spruch / vergewissert: Der Engel deß HErrn lagert sich[626] um die her / so Ihn fürchten / und hilfft ihnen aus. Daß er aber Keinen mehr / als nur Einen allein / um sich habe; kann ich nicht verbürgen; sondern glaube vielmehr / daß mancher Mensch / zumal ein solcher / an welchem andren Leuten viel gelegen / mehr / als einen / um sich habe. Solten einem christlichen Fürsten und Regenten die Augen aufgehen; würde er ohne Zweifel wol hundert Engel um sich sehen / so wol als manchen Hof-Teufel; und sich entsetzen / wie genau sie zu beyden Theilen / die gute Engel zwar zu seinem Schutz / und deß Landes Wolfahrt; die bösen aber / zu derer beyder Verderben / und Erweckung vieles Jammers / vieler Ungerechtigkeit / böser An- und Rahtschläge / wachen und aufmercken.

Wie dem Allen; so darff ich doch gleichwol auch nicht kecklich / für verwerfflich / ausgeben / daß ein jeglicher Mensch einen besondren englischen Hüter habe. Denn es folget nicht / wann gleich ein Mensch viel Engel um sich hat / daß / unter denselben / nicht Einer insonderheit / auf ihn / verordnet sey / ihn / wie einen Augapffel / zu bewahren. Ob aber ein solcher Schutz-Engel / von der Geburt biß an denTod / bey ihm verharre / und unterdessen / durch keinen andren Leib-Hut-Engel deß Menschen / werde abgewechselt /kann ich nicht sagen; Beydes kann vermutet werden. Dann die Engel seynd Gedancken-schnelle Geister /die im Augenblick seyn können / wo sie wollen: darum könnten ihrer zween / deren Einer in Indien /der Andre in Teutschland wäre / in einer Stunden /mehr als tausendmal einander abwechseln / und[627] deß Zustandes ihres / hie und da / anvertrauten Pfleglings berichten: also scheinets / es dörffte ein so schneller und vielmaliger Umwechsel der Oerter ihnen behäglicher / weder die unabgelöste Schildwache bey einer Person / fürkommen. Daher denn Mancher die Folge ziehen mögte / es sey die Abwechslung am stärcksten zu vermuten.

Allein es kann die englische Schnellheit / an der andren Seiten / eben so leicht der Sachen einen Schein geben; nemlich daß ein eigener Leib-Engel allstets und immerzu seinen Anvertrauten beobachte; doch einen Weg / wie den andren / in einem Augenblick /auch andre ferrn-entweitete Oerter / auf erhaltenen Göttlichen Befehl / besuchen / und in dem andren oder dritten Augenblick wieder bey seinem Anbefohlenem seyn.

Man muß sich / von den Engeln / keine solche Eigenschafft einbilden / wie von einem Menschen / als ob sie / durch stetige Beobachtung eines gewissen Menschens / immerzu an einem Ort verarrestirt blieben. Die Engel der Kleinen tragen allezeit ihr Schutz-Kind in den Augen; und sehen doch allezeit das Angesicht ihres Vaters im Himmel: Das ist überaus nachdencklich / und zeuget von einer Schnellheit der Engel / die im Augenblick / von der Erden / in den höchsten Himmel / sich hin- und wieder zurück schwingen kann: ob sie schon nicht / gleichwie GOTT / allgegenwärtig seynd. Ja! es will noch mehr sagen: nemlich / daß die Engel / wo sie gleichsam gehn und stehen / von GOttes Angesicht erleuchtet werden; das ist / in GOtt / Alles augenblicklich erkennen / sehen / und erfahren können / was sie wissen und erfahren[628] sollen; solchem nach in demselbigen Augenblick / ja vielmehr immerzu / wissen / und sehen /wie es ihrem Schutz-vertrautem Menschen gehe.

Dieses voraus gesetzt / braucht es im geringsten keines Abwechsels / daß ein Schutz-Engel der Freuden geniesse / seines eignen Pfleglings zu warten /und doch beynebst vor GOttes ihm überall gegenwärtigem Angesicht andrer Menschen Beschaffenheit zu erkennen / auch / zu noch vielen andren Diensten /seinem Schöpffer und HErrn aufzuwarten.

Will mir hie Jemand antworten / man möge / durch diese Engel-Schnellheit / und durch ihre Anschauung Göttliches Angesichts / eben so bald bewogen werden / zu vermuten / daß ein Schutz-Engel bißweilen wol ihrer drey / vier / fünff / oder zehen / ja wol fünfftzig Menschen / unter seinem Schutz habe; begehre ich mich nicht zu widersetzen: denn es ist gar wol möglich. Aber eine Unfehlbarkeit / in allen diesen Vermutungen / zu geben / wird uns wol fehlen / so lang wir annoch aller Fehlbarkeit nicht entnommen / und gleich den Engeln vor GOttes Angesicht stehn.

Unterdessen ist / aus H. Schrifft / beweislich / daß der Mensch / zumal der Gläubige / seinen Schutz-Engel habe: ob er mehr / als einen / habe / oder wann er nur einen hat / ob derselbe allezeit / ohnabgewechselt / Zeit seines Lebens / ihn begleite / und ihn nur einig allein / oder auch zugleich mehr Menschen /unter seiner Obachtung habe; stelle ich aus / biß meine Seele / von den Engeln / meiner gläubigen Hoffnung nach / in Abrahams Schoß / getragen wird; finde mich doch immittelst[629] geneigt / zu einer Mutmassung / daß / ob gleich mehr als ein Engel / von dem gnädigem und liebreichem GOTT / einem frommen Christen / zu Dienste ausgesendet werden / und auch /ohne Zweifel / mehr / als einer / sich freuen / sein Gebet vor GOtt zu tragen / dennoch gar wol Einer /vor Andren / ihm zum ungeschiedenem Gefährten /Beobachter / und Schützer / verordnet seyn könne; doch also / und dergestalt / daß eben derselbige nichts destoweniger / ohne Müh und Verhindrung / daneben noch eines andren Menschen Hüter und Schutz-Engel seyn könne; und derjenige / dessen sonderbarer Bewahrer er ist / dennoch gleichfalls / von dem Schutz und Schirm andrer heiliger Engel / nicht ausgeschlossen sey.

So will ich derhalben nicht streiten / daß einem eignem Engel jedweder Christen-Mensch vielleicht insonderheit / von GOtt / zur Aufsicht / anbefohlen /und ohne dem doch überdas auch andren Engeln die Beschirmung desselben / in gewisser Masse / recommendirt sey: damit nemlich mehr / als einem Engel allein / die Ehre solches dem Gliede Christi geleisteten /Dienstes mitgetheilt werde / auch nicht nur ein Engel /sondern viel Engel miteinander / sich seines Wolverhaltens / ritterlichen Kampffs / und endlichen Obsiegs / erfreuen mögen. Denn nebst der sonderbaren und special-Aufsicht / so Einer insonderheit über Jemanden führet / kann dennoch auch wol eine allgemeine /so ihrer Viele über denselbigen haben / Stat finden.

Uber einen Sünder / der Busse thut / freuen sich /auf Erden / alle christliche Lehrer / die / durch[630] ihre offentliche Ermahnungen auf dem Predigt-Stuhl / an ihm gebauet; insonderheit aber sein eigener Seel-Sorger und Beicht-Vater / dessen Fürsorge seine Seel sich anvertraut hatte: und über eben denselbigen Sünder / wird Freude seyn / im Himmel / vor den Engeln GOttes; insonderheit aber vor demjenigen Engel / der (vermutlich) Seiner insonderheit und allezeit / mit fleissiger Obachtung / gewartet. Daher auch Lazarus nicht nur von einem / sondern von etlichen Engeln / in Abrahams Schoß getragen ward.

Manche Platonisten wollen die menschliche Seele selbsten / für deß Menschen Schutz-Geist / halten. Und gewinnt es einen grossen Schein / daß Plato selber der Meynung gewest; wenn man bedenckt / daß er dem Menschen eine materialische Form / oder korpörliche Seel / zugeschrieben / so wol als auch ein unkorpörliches Gemüts-Wesen / oder unmaterialischen Geist / oder unleibbare absonderliche Form / welche einem jeglichen Menschen beywohnete / wie eine abgesonderte Substantz / und doch bißweilen ausser ihrem Hause / herumschweisete / auch den Menschen vertraulich unterrichtete / und durch geheimes Eingeben belehrte.

Von dem Genio, oder Geburts-Geist Socratis / erzehlt / dieser Meynung / Apulejus / daß derselbe stets Seiner / nemlich deß Socratis / gehütet / als ein sonderbarer eigener Auffseher / und geheimer Haus-Wächter / der das Böse an ihm gestrafft / das Gute gebilligt / in gewissen Dingen gute Vorsehung gethan /für Gefahr und Unglück vorher gewarnet / in der Gefahr selbst ihn beschirmt /[631] und im Nothstande ihm hülfflich beygesprungen habe.16

Maximus Tyrius berichtet / der Genius, oder Geburts-Geist / Socratis sey auffrichtig / vertraulich / gemeinsam und leutselig gewest; habe ihn / wenn er durch ein allzutieffes Fließ-Wasser gehen (oder schwimmen) wollen / zurück geruffen / und als er den Alcibiadem lieben wollen / ihm solches widerrahten /etc.17

Plutarchus hält dafür / es sey dieser Genius deß Socratis / in keinem Gesichte bestanden; sondern es habe sich etwan eine gewisse Stimme ihm hören lassen / und eingesprochen / was er thun sollte.18

Obangezogener Apulejus urtheilet gleichwol nicht /daß der Genius Socratis, desselben Seele / oder verständiges Gemüt gewesen sey; sondern ein Geist / aus der hohen Ordnung: gleich wie sonst auch Plato selber / von der Ausschweiffung menschlicher Seelen bey ihres Leibes Leben / nichts gehalten. Maximus Tyrius setzt / es sey Einer / aus dem Geschlecht solcher Geister / gewest / die mitten zwischen Himmel und Erden schweben / von welchen er / als ein Heide /also redet:

Es ist gewiß / GOtt bleibt / an seinem Ort / in dem Er den Himmel regiert / disponirt und ordnet daselbst Alles mit einander: Derhalben hat er einige unsterbliche Kräffte / welche man die andre Unsterbliche (oder[632] Affter-Götter) nennet /mitten zwischen Himmel und Erden / gestellt. Diese seynd so mächtig nicht / als wie die Götter; vermögen doch gleichwol mehr als die Menschen: sie seynd der Götter Bediente / Vorsteher der Menschen / den Göttern am nechsten / fleissige Verpfleger und Vorsorger der Leute.19

Ob nun gleich Plato / vorberührter Weise / dieses für Mährlein annimmt / daß die Menschliche Seel /bey lebendigem Leben / bisweilen / ausser dem Leibe / wallen sollte: seynd unterdessen doch alle Platonici der Meynung / daß die Seel / nach ihrer Ableibung /ein Dæmon, das ist / ein solcher seliger Geist / oder Götter-Dienerinn werde.

Seine Worte führt er also: Wenn sich die Seele auffgemacht / aus diesen Oertern / ihren Leib ausgezogen (wie ein Kleid) und der Erden / zur Verwesung / hinterlassen; wird sie / gleich zu selbiger Zeit / aus einem Menschen / ein glückseliger Engel-Geist (δαίμον) belustigt ihre reine Augen /in ihren Schau-Lüsten: wird auch daran / durch keine Finsterniß deß Leibs / noch Unterschiedlichkeit der Figuren / verhindert / oder darinn irre gemacht; noch / durch einige Grobheit der Lufft / davon ausgeschlossen: sondern befindt sich in solcher Geniessung / daß sie das Schöne selbst mit ihren Augen / anschauet / und völliger Freuden geniesst. Wann sie nun hie alsdenn ihres vergangenen Lebens gedenckt; betrübt sie sich drüber: indem[633] sie aber / an ihr nunmehr anderes und gegenwärtiges Leben / gedenckt; freuet und preiset sie sich glückselig. Sie beweint auch andre / ihr anverwandte / Seelen / die annoch auff Erden / herum getrieben werden / und wallen; mögte gern / aus Liebe / gegen den Menschen /mit ihnen umgehen / (conversiren) und ihnen /wenn sie straucheln oder fallen / unter die Arme greiffen. Immittelst ist ihnen (den abgeleibten Seelen) dieses Amt / von GOtt / aufferlegt / daß sie jedwedem Menschen / welches Geschlechts oder Stands sie auch seynd / so wol in gutem als bösem Glück / ingleichem dem Verstande / Gemüt / und der Kunst / bey- und vorstehen; mit diesem Bedinge / daß sie den Frommen Hülffe leisten: denen / welchen Gewalt und Unrecht angethan wird / Rache (oder Sicherheit) verschaffen / und ihre Beleidiger straffen. Jedoch verrichtet nicht ein jeglicher Dæmon (oder Schirm-Geist) Alles miteinander: sondern es hat auch daselbst ein Jeglicher seine besondre Verrichtungen; dieser eine solche; Jener eine andre.20

Wir / als Christen / haben GOtt-lob / aus Heil. Schrifft / hierinn eine viel bessere Wissenschafft; nemlich / daß unsere Seelen / in keine Dæmones verwandelt / noch einiger Massen / woferrn sie christgläubig abgeschieden / mehr betrübt / oder mit Beobachtung der hinterlassenen Sterblichen / weiter verunruhigt werden; glauben hingegen ungezweiffelt / daß die Engel GOttes Unserer[634] / mit ihrer unsichtbaren Hut / unfehlbarlich pflegen / und daß niemals ein einiger getauffter Christ / ohn englische Obacht / wandle.

Für mich selbst aber halte ich auch dieses / für wolvermutlich / daß / nebst etlichen Andren Engeln /auch einer insonderheit / auf diesen oder jenen Menschen / Acht habe / und denselben in seiner Hut halte: gleichwie eben so vermutlich / daß ob gleich alle böse Engel / wie brüllende Leuen / umher gehen / und suchen / welchen sie verschlingen mögen; dennoch auch wol ein oder andrer böser Geist diesem oder jenem Menschen insonderheit auffpasse / und denselben an Leib und Seele zu gefähren / ja würcklich zu beschädigen trachte; dahingegen ein guter Engel eben einen solchen / von dem bösen Engel / belaurten / Menschen / imfall dieser GOtt fürchtet / insonderheit bewahrt / daß der Satan keine Macht an ihm finde / noch ihn stürtzen und verderben könne.

Dennoch glaube ich darum mit nichten / daß /wann vielleicht der Mensch / nebst andren Engeln /auch einen solchen ordentlichen Schirm- und Leib-Engel / von seiner Geburt an / hat; deßwegen er auch einen ordentlichen und besondern bösen Engel / von seiner Geburt an / nothwendig haben müsse. Denn die guten Engel empfahen von GOtt / Ordre und Befehl /dieses oder jenes Menschen insonderheit zu warten; mit nichten aber die böse Engel / auf diesen oder jenen zu lauren; sondern der böse thut solches / aus eigner boßhaffter Bewegung / und kann also geschehen / daß die Teufel / gleich wie andre Verrichtungen / also auch diese Jägerey / dergestallt[635] / unter sich austheilen / daß einer diesem / der andre jenem Menschen / immerzu nachschleiche / um denselben / so bald er sich durch geistliche Unachtsamkeit und mutwillige Sünden / deß englischen Schutzes entblösset / zu erhaschen / und anzufallen.

Es sollen von beyderley / nemlich so wol von dem Mord- als Hort-Engeln / so wol von dem Schutz- als Trutz-Geistern / von den Hut-Engeln / sage ich / so wol / als von den Wut-Engeln / in denen folgenden Erzehlungen / nach und nach / etliche gar denckwürdige Beyspiele angeführt / anjetzo aber die Einbildungen etlicher Isländer allhie zur Betrachtung gestellet werden / von denen Geniis, oder Schatten-Geistern der Menschen / welche sie / ihres beständigen Vorgebens / mit ihrer Scharffsichtigkeit / erblicken.

Diese Leute sagen / daß sie ohne Gebrauch einiger Kunst / oder Artzeney / und ohne einige Leibs- oder Verstands-Erkranckung / von Kindheit auf / eine solche Gesichts-Schärffe haben / daß sie eines Menschen Schatten / oder Natur-Geist / (Umbras five Genios) in Gestalt einiges Thiers / gantz klar / kennt-unterschied- und eigendlich / vorhertreten sehen / auch /aus den Gestalten selbiger Schatten-Geister / urtheilen können / was der Mensch für eine geheime Inclination, oder innerliche Zuneigung habe / und wie er gesinnet sey.

Insonderheit muß Einer diese Zweyerley / an ihnen / hiebey verwundern.

Erstlich: daß sie offt dieses oder jenes Menschen Zukunft / etliche Stunden zuvor / wissen; und wenn man sie / um die Ursach solcher Vorwissenschafft /[636] fragt / zur Antwort geben / es werde alsdann schon deß erwartenden Menschens vorauslauffender Schatten ersehn / als der bißweilen / einen weiten Weg /vor seinem Leibe / her gehe.

Zweytens: daß sie / aus der Gestalt solches Schattens / die geheime Raht- und Anschläge desselbigen Menschens / oder zum wenigsten die Art und Neigungen derselben / errahten können. Als zum Exempel /aus der Wolffs-Bildung selbiges Schattens / schliessen sie / er sey gesinnt zu rauben / oder von Gemüt gar raubsuchtig. Ist der Schatten-Geist gebildet / wie ein Fuchs; so weissagen sie / der Mensch gehe / mit listigen Rencken / um / sey verschlagener und betrieglicher Natur. Presentirt die Bildung einen Leuen; so vorverkündigen sie / derselbe Mensch gehe an / leuen-mütiger Weise / mit edler Entschliessung / und Tapfferkeit.

Woserrn auch auff die Aussage der Dennemärckischen Handels-Leute / die jährlich dahin reisen /sicher genug zu gehen / so verkündigen sie (die Isländer) denselben vielmals zuvor / daß sie sich / für diesem / oder jenem / ob er gleich annoch nicht ihr offenbarer Feind / hüten sollen: als welches sie hieraus vermuten / weil beyder Theile Genii (Natur-Engel / oder Leib-Geister) einander zuwidern / und bißweilen mit einander streiten: daher sie dann schliessen / es müsse / zwischen beyden Personen / ein geheimer Groll gehegt werden / der zwar noch nicht ausgebrochen /doch gleichwol in kurtzem / zur offendlichen Ruptur /hinaus schlagen werde. Und solches soll / nach gedachter Kaufleute Aussage / nachmals auch in der That / also ergehen. Immassen[637] der berühmte Dänische Medicus Doctor Olaus Borrichius diese Relation / zu denen Actis Medicis, gesteuret /21 Doch aber nichts darüber schliessen / sondern das Urtheil / von solchen Geniis, oder (vermeynten) Natur-Geistern / eines Jedwedem Verstande und Gutdüncken heimgestellt seyn lassen wollen.

Es fällt aber / meines einfältigen Ermessens / nicht schwer / zu vermuten / was solche Thier-gebildte Schatten für Genii, oder Geister / seyn müssen; nemlich keine Natur-sondern Gespenst-Geister. Von denen man nicht gewiß sagen kann / daß sie eben /solchen Personen allstets das Geleit geben / vor welchen sie / herzulauffen / scheinen. Gleichwie es auch eine wahre Unmöglichkeit / daß einiger Adler / oder Lux / geschweige dann einiger Mensch / solche Geister / natürlicher Weise / sollte erblicken können. Sondern / so ferrn die Aussage der Isländer anderst gewiß; wie ich denn dafür halte; muß der Satan dergleichen Leuten / als wie in einem Spiegel / solche Thier-Schatten in die Augen werffen: gleich wie er /bekandter Massen / manchen Lapländern / ob sie gleich sich bekehrt haben von der Zauberey / dennoch offt wider ihren Willen / die Leute zu Gesichte stellet / welche wol 40 oder 50 Meilwegs annoch von ihnen entfernet sind.

Es können aber solche Isländer / welche sich solcher Vorblicke / und Vorwissenschafften / rühmen /schwerlich rein vermutet werden / von einem heimlichen Verstande mit dem Teufel: Oder / so sie je / in keine ausdrückliche Bündniß mit ihm[638] verhengt sind /müssen sie / zum Aberglauben sehr geneigt seyn: daher alsdann der böse Geist durch solche Gesichter /sie zu belüstigen / und in seinen Dienst zu reitzen /strebet. Einmal ist diß was Ungezweifeltes / daß die Vorverkündigung eines jeglichen Zu- oder Abneigungen / Hasses / und Grolls / weder aus menschlicher Wissenschafft / noch von einem guten Geist / entspringe; sondern / von einem solchen wahrsagerischem Zigeiner-Geist / der / bey dergleichen Leuten /durch seine Weissagerey / den Aberglauben stärcken /und sie / zu einem Pact mit ihm / verleiten; auch /durch Entdeckung dieses oder jenes geheimen Grolls /Groll / Haß / und Feindseligkeit allererst stifften /oder vermehren / die Gemüter wider einander entrüsten und noch hefftiger verbittern / will; beynebst auch / solche fremde Kauff- und andre Leute die dergleichen Isländischen Vorverkündigungen gern Gehör reichen / von Jerusalem nach Endor / vom Vertrauen auff GOtt / zu aberglaubischen Wahrsagern / zu ziehen / trachtet: auff daß sie der (vermeynten) Lux-Augigkeit oder Scharffsichtigkeit solcher Isländer mehr /als der ewigen Fürsichtigkeit und Fürsorge GOttes /trauen / und sich an die unnützen Schwätzter / so gemeinlich deß Teufels Kuppler sind / mit fürwitzigem forschen und rahtfragen / hencken sollen.

Mir kommen gewißlich solche Lux-Augen der Isländer samt ihren Vorschauungen / und erblickten Geniis, nicht besser vor / als die Augen jenes Aegyptischen Wahrsagers / und die Genii, so derselbe / gesehn zu haben / sich rühmte; Von welchem Aegypter /Plutarchus berichtet / daß derselbe[639] die Kunst gewusst / zukünfftige Dinge / aus den Geburts-Zeichen / eines Menschen / zu weissagen. Dieser (schreibt besagter Plutarchus) hat / entweder der Cleopatra zu Gefallen / oder weil es die Warheit war / dem Antonio offenbarlich bewiesen / sein trefflichst-blühendes hohes Glück würde / von der Fortun Cæsaris (Octavii Augusti) vertunckelt / und ihm gerathen / er sollte sich / von diesem jungen Menschen / auffs allerfernste / entfernen. Denn dieses (Augusti) seinen Genium (oder Geburts-Geist) sagte er / scheuet dein Genius: welcher allezeit auffrecht und hoch einher tritt / wo er allein ist; aber / wann jener herbey nahet / nidriger / kleinmütiger / und verzägter wird.22

Wir wollen demnach solche vermeynte Genios lieber böse Speon- und Unglücks-Geister / als Geburts-oder Natur-Geister / nennen / und sicherlich gläuben / daß sie um kein Haar ehrlicher / weder derjenige /welcher / zum Bruto, und Cassio Parmensi, gesprochen: Ego sum malus tuus Genius! Ich bin dein böser Leib-Engel! oder Ich bin dein Unglücks-Geist!

Im fall aber / dieser oder jener Mensch / einen gewissen Leib-Engel / und besondern Schutz-Engel hat; scheinet derselbe / solcher Art zu seyn / als wie der /dessen der Frantzos Gabriel Cappuys gedenckt; wann er schreibt: Er habe eine ehrliche / gar gottsfürchtige und züchtige Frau gekannt / die / durch ungewöhnliche und lange Verstopffung der Monats-Zeit / irrig im Haupt worden. /[640] Welches ihr / zu unterschiedliche Malen widerfahren / und alle Mal / ziemlich lange /bey ihr / angehalten. Unter solchem beschwerlichen Zustand / dabey nicht allein die Gesundheit deß Leibes / sondern auch deß Verstandes / Noth gelitten /hat sie vielmals den unbesonnenen oder wahnsinnigen Sinn und Schluß gefasst / ihren Ehemann im Schlaff /und nachmals sich selbsten / umzubringen: Welches doch der gütige GOtt noch immerzu gnädiglich abgewandt.

Als aber / eines Tags / der Hüter / welchen man ihr zugeordnet / andren obligenden Geschäfften nach gegangen; ist sie geschwinde / aus dem Bette auffgesprungen / und im blossen Hemde / hinab geloffen in den Garten an ihrem Hause / und hat sich / in den daselbst befundenen Brunnen / der sieben oder acht Klaffter tieff war / am Seil / biß auff den Bodem /hinab gelassen. Nachdem sie allda / biß ans Kinn /eine Weile / im Wasser gestanden / ist sie hernach /an demselbigen Seil / wieder herauff gestiegen / und gantz naß wiederum in ihre Kammer gekommen.

Uber wenig Tage hernach / stellet sie sich / als habe sichs mit ihr gebessert / und führt einen ihrer Söhnen / welcher zwischen vier und fünff Jahren war /bey sich an der Hand / deß rasenden Fürsatzes / denselben samt sich selbsten / in den Fluß hinab zu werffen. Wie sie dann auch / biß auf die Brücke gekommen / und allda / etliche Mal / hin und wieder gegangen. Daß Kind lächelt ihr holdselig zu / giebt ihr auch tröstliche Worte / und hält sie damit auff.[641]

Als sie wieder nach Hause kam / ward sie / über eine kurtze Zeit hernach / durch eine Lässe an der Rosen-Ader / und gelinde Blut-Reinigung / (oder Purgation) ihrer Kranckheit ledig; erzehlte aber / da sie nunmehr ihrer Vernunfft wiederum mächtig / daß ihr /in solchen beyden gefährlichen Zuständen / ein weiß bekleidter Mann / wunder-liebliches Angesichts erschienen / welcher ihr / wann sie sich verletzen oder ums Leben bringen wollen / die Hand gehalten / und gleichsam mit einem freundlichen lächlen sie ermahnt / Sie sollte auff GOtt hoffen: Imgleichen / als sie / in dem Brunnen gewesen / und ihr / weiß nicht was für eine schwere Last den Kopff untergestossen / um sie gar unters Wasser zu sencken / ja so gar ihr auch das Seil aus den Händen reissen wollen / auff daß sie zu Grunde gehn mögte; sey eben diese schöne Person zu ihr gekommen / habe sie / bey den Achseln / angefasst / und ihr geholffen / daß sie wiederum heraus gestiegen: welches ihr sonst / aus eignen Kräfften / für sich allein / zu thun / wäre unmöglich gewest: Nicht weinger habe er sie / hernach / im Garten / getröstet / auch / in der Stille / nach der Kammer zugeführt; und sey darauf verschwunden: Wie sie auch / nach der Zeit /sich zu der Brucken / genahet / sey er ihr gleichfalls begegnet / und von weitem nachgefolgt / biß sie wieder zurück gekommen. Massen sie solchen Bericht /bey vorfallender Gelegenheit / mehr als ein Mal / so wol ihrem Mann / als ihrem Seelsorger / und auch andren guten Freunden / pflag zu wiederholen.

Nachdem sie zu völliger Gesundheit gelangt / war ihr höchstes Verlangen / nach einem seligen[642] Abscheide aus dieser Welt: darum sie auch täglich GOtt anrieff. Derselbe erhörte sie hierinn / nicht übrig lange hernach. Wie sie dann / über einen Monat nach ihrer Wiedergenesung / dessen eine nicht undeutliche Vorbedeutung bekommen. Denn / als sie wollen in die Kuchen gehn / ist ihr der Ober-Augzahn / aus dem rechten Kiefer / ohn einig-vorher- oder hernach-empfundenen Schmertzen / in die Hand gefallen. Welches sie aufgenommen / für ein Vorzeichen ihres obhandenen Endes / und sich auch durchaus nicht eines andren bereden lassen wollen. Dergleichen auch dem in dreyssigjährigen vormaligem Teutschen Kriege / eben so wol dem Keyserl. Generaln / Grafen von Gallas / begegnet ist. Denn als dieser / zu Lintz (wo mir recht) am Stein gelitten / ist ihm / eines Tags / unvermutlich ein Kiefer-Zahn / freywillig heraus gegangen / und gleichsam das Bild einer Todten Bar darauff von ihm erblickt worden: Welches er seinem Beichtvater gezeigt / und / als eine Fürbildung seines nah-bevorstehenden Endes / selbst ausgelegt; auch die rechte Bedeutung damit wol getroffen: angesehn / er deß Lagers nicht wieder auff / sondern / in wenig Tagen / ins Grab gekommen.

Dieser Frauen hat gleichfalls die Erfüllung Recht gesprochen; und zwar vier Wochen nach dem Ausfall ihres Backen-Zahns. Wodurch vermutlich GOtt so viel ihr anzeigen wollen / daß Sie ihr meistes Brod in diesem weltlichem Angst- und Threnen-Thal / schon gessen / und dessen / in kurtzer Zeit / hiernechst wenig mehr beissen würde. Er hatte / nach solchen 4 Wochen / das wenigste[643] Ansehn einer Kranckheit / mit ihr; als sie / an einem Morgen / früh / da sie eben auffstehen / und ihren Haus-Geschäfften obliegen wollte / sich bezwungen fand / im Bette zu bleiben; auch ihren Ehemann / als derselbe / über ein paar Stunden / ihr vors Bette kam / ihrer / von den ausgefallenen Zahn geführten Reden und Gedancken erinnerte / mit angehenckter christlicher Ermahnung / er sollte sich in GOtts Willen ergeben. Nach einem zwantzigtägigem Lager rühmte Sie / gegen ihrem Seelsorger / was für vortreffliche Erlösungen ihr offt von GOtt wiederfahren / dabey sie Alles / was oben gedacht worden / wiederholte; erzehlte auch noch viel andre dergleichen Sachen; und nahm daher destomehr Anlaß / der Göttlichen Vorsorge und Vergewisserung ihres Heils / sich zu versichern / und zwar mit vielen sehr schönen Trost-Reden. Da nun endlich der Tag ihres Ends herzu kam / lächelte sie: und als der Seelsorger / nach der Ursach fragte / antwortete sie gar leise: Ich sehe meinen Menschen: O wie ist er so schön! Bald nach solchem / schrie sie laut: Wart! warte mein! Worauff sie / nicht lange hernach nechst Gesegnung der Ihrigen / und Sprechung vieler tröstlichen Reden von ihrer seligen Hoffnung / unterm Gebet der Ihrigen / verblichen. Sie selbst betete mit /und / unter solchem ihrem inbrünstigen Gebet /schloß sie die Augen zu / gleich als ob sie schlieffe /verschied darauff / mit so lieblichem Angesicht / als man jemals / in ihren Lebzeiten / an ihr erblickt hat.[644]

Was / in dieser Erzehlung / gedacht worden / von der schweren Last / so ihr den Kopff unter sich gestossen / und sie gar ins Wasser sencken wollen /halte ich für keine blosse Einbildung / sondern hefftige Zusetzung deß Mord- und Würg-Engels / den ich zuvor einen Trutz-Engel hieß. Denn daß / um einen solchen Menschen / der ihm selbsten fürsetzlich das Leben abbrechen will / der Mord-Geist gar geschäfftig sey / daran zweifelt kein Christ / und lehrt es auch die Erfahrung nur leider allzuviel. Mir ist ein / diesem Fall ähnliches Exempel bekannt; daß ein / sonst frommes / aber etwas dabey einfältiges / Dienst-Mensch /als sie gewahr worden / daß die Ratzen und Mäuse alle / ihr von ihrer gebietenden Frauen / in Verwahrung gegebene Schaf-Käse zernagt hetten / aus grosser Angst und Furcht der Streiche (welche ihr auch /ob sie gleich nichts dafür kunnte / ohne Zweifel gantz mildiglich wären mitgetheilt worden) in einen gewaltig-tieffen Brunnen gesprungen. Denn nachdem solches / zu ihrem grossen Glück / der Schloß-Becker von fernen gesehn / und an seine Haus-Thür einen starcken Streich gethan / damit seine Becken-Knechte ihm geschwinde folgen mögten / hernach zum Brunnen geloffen / und sich in dem einem Eymer hinabgelassen: haben bey die 6 starcke Personen alle ihre Kräffte dran gestreckt / bey der eisernen Brunn-Ketten / ihn / samt der Schloß-Kuchen-Magd / herauff zu ziehen. Sie war / auff sein Zusprechen / mit einem Fuß allbereit zu ihm in den Eymer / womit er zu ihr hinab gefahren war / gestiegen; blieb aber / mit dem andern / im Wasser / welches doch nicht sumpfficht noch lettich / sondern[645] gar tieff gewesen / stecken; wie sehr sie sich auch bemühte denselben nach sich zu ziehen: und klagte / daß ihr derselbe Fuß / mit starcker Gewalt zurück gehalten / und hinab gezogen würde. Daher auch die / so droben / an der Ketten / zogen / eine gute Weil umsonst gearbeitet / biß mehr Hülffe gekommen / und man sie / mit grosser Gewalt heraus gerissen. Darüber ihr gleichwol der böse Geist / von demjenigen Fuß / welchen er bißhero auffgehalten hatte / den Schuch abgerissen; denn sie drunten hat hinterlassen müssen.

Eben so wenig ist dasjenige / was die Todschwache Frau / von dem vor ihr stehendem trefflich-schönem Menschen / gesagt / und darüber gelächelt / für eitel Phantasey / oder Irrthum einer verderbten Einbildung / zu achten. Denn man weiß auch dißfalls dergleichen Begebenheiten gar viel. Allhie / in dieser Stadt ist /vor wenigen Jahren / ein tugendhafftes gottsfürchtiges Weibsbild gestorben: Vor deren Ende / sich die Thür / zusehens andrer Leute / von selbsten geöffnet / und die krancke Frau drauff gesagt: Schau! da kömmt ein kleiner allerschönster Jüngling / mich abzuholen / und winckt mir / ich solle ihm folgen! Eine viertheil Stunde hernach / ist sie entschlaffen.

Fußnoten

1 Censor. de Dienat. c. 3.


2 Plato apud Apulejum de Deo Socratis p. 50.


3 Act. 12.


4 Origenes advers. Celsum.


5 Chrysost. in c. 12. Act.


6 Idem in Epist. ad Coloss. Homil. 37.


7 Matth. 18. v. 10.


8 Ps. 34.


9 Basil. Homil. in Ps. 33. p. 220.


10 Hieronym. lib. 3. in Matth. 18. v. 10.


11 Voss. De Orig. & Progr. Idololatr. lib. 1. cap. 7. p.m. 56.


12 Et Collect. 1. 3. c. 12. & Collect. 8. c. 7.


13 Brochm. Tom. 1. System. Theolog. art. de Aug. c. 2. quæst. 1. p. 244. Scharp. Curs. Theol. col. 366. & alii.


14 König in Cas. Miscell. p. 78.


15 Calvin, lib. 1. Instit. p. 48.


16 Vid. Apulejus de Deo Socr. p. 51.


17 Max. Tyrius Diss. 26. p. 265.


18 Plutarch. de Socrat. Genio p. 588.


19 Max. Tyr. Dissert. XXVI. de Dæmone Socr.


20 Idem Dissert. 27. p. 278.


21 Vid. Acta Medica & Philosophica Hafniensia Thomæ Bartolini Vol. 2. Observ. 80. p. 199.


22 Plutarchus in Antonio.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 618-646.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon