3. Adonis Todtenfeyer

[9] Wehe! daß der Gott auf Erden

Sterblich mußt gebohren werden!

Alles Dasein, alles Leben

Ist mit ihm dem Tod gegeben.

Alles wandelt und vergehet,

Morgen sinkt was heute stehet;

Was jetzt schön und herrlich steiget,

Bald sich hin zum Staube neiget;

Dauer ist nicht zu erwerben,

Wandeln ist unsterblich Sterben.

Wehe! daß der Gott auf Erden

Sterblich mußt gebohren werden!

Alle sind dem Tod verfallen,

Sterben ist das Loos von allen.

Viele doch sind die nicht wissen,

Wie der Gott hat sterben müssen;

Blinde sind es, die nicht sehen,[9]

Nicht den tiefen Schmerz verstehen,

Nicht der Göttin Klag und Sehnen,

Ihre ungezählten Thränen,

Daß der süße Leib des Schönen

Muß dem kargen Tode fröhnen.


Laßt die Klage uns erneuern!

Rufet zu geheimen Feyern,

Die Adonis heilig nennen,

Seine Gottheit anerkennen,

Die die Weihen sich erworben,

Denen auch der Gott gestorben.


Brecht die dunkle Anemone,

Sie, die ihre Blätterkrone

Sinnend still herunter beuget,

Leise sich zur Tiefe neiget,

Forschend ob der Gott auf Erden

Wieder soll gebohren werden!


Brechet Rosen; jede Blume

Sei verehrt im Heiligthume,

Forscht in ihren Kindermienen,

Denn es schläft der Gott in ihnen;

Uns ist er durch sie erstanden

Aus des dumpfen Grabes Banden.

Wie sie leis hervor sich drängen,

Und des Hügels Decke sprengen,

Ringet aus des Grabes Engen

Sich empor verschloßnes Leben;[10]

Tod den Raub muß wiedergeben,

Leben wiederkehrt zum Leben.

Also ist der Gott erstanden

Aus des dumpfen Grabes Banden.

Quelle:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Band 1–3, Band 2, Berlin-Wilmersdorf 1920–1922, S. 9-11.
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