Die verworfene Liebe

[170] Ich habe genug.

Lust, Flammen und Küße

Sind giftig und süße

Und machen nicht klug.

Komm, seelige Freyheit und dämpfe den Brand,

Der meinem Gemüthe die Weißheit entwand.


Was hab ich gethan!

Jezt seh ich die Triebe

Der thörichten Liebe

Vernünftiger an;

Ich breche die Feßel, ich löse mein Herz

Und haße mit Vorsaz den zärtlichen Schmerz.


Was quält mich vor Reu?

Was stört mir vor Kummer

Den nächtlichen Schlummer?

Die Zeit ist vorbey.

O köstliches Kleinod, o theurer Verlust!

O hätt ich die Falschheit nur eher gewust!


Geh, Schönheit, und fleuch!

Die artigsten Blicke

Sind schmerzliche Stricke;

Ich mercke den Streich.

Es lodern die Briefe, der Ring bricht entzwey

Und zeigt meiner Schönen: Nun leb ich recht frey.


Nun leb ich recht frey

Und schwöre von Herzen,

Daß Küßen und Scherzen

Ein Narrenspiel sey;

Denn wer sich verliebet, der ist wohl nicht klug.

Geh, falsche Syrene, ich habe genug!

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 170-171.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Gesammelte Gedichte
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Gedichte Von Johann Christian Günther (German Edition)