Abschiedsaria

[83] Schweig du doch nur, du Hälfte meiner Brust;

Denn was du weinst, ist Blut aus meinem Herzen.

Ich taumle so und hab an nichts mehr Lust

Als an der Angst und den getreuen Schmerzen,

Womit der Stern, der unsre Liebe trennt,

Die Augen brennt.


Die Zärtligkeit der innerlichen Qual

Erlaubt mir kaum, ein ganzes Wort zu machen.

Was dem geschieht, um welchen Keil und Strahl

Bey heißer Luft in weitem Felde krachen,

Geschieht auch mir durch dieses Donnerwort:

Nun muß ich fort.


Ach harter Schluß, der unsre Musen zwingt,

Des Fleißes Ruhm in fremder Luft zu gründen

Und der auch mich mit Furcht und Angst umringt!

Welch Pflaster kan den tiefen Riß verbinden,

Den tiefen Riß, der mich und dich zulezt

In Kummer sezt?


Der Abschiedskuß verschliest mein Paradies,

Aus welchem mich Zeit und Verhängnüß treiben;

So viel bisher dein Antliz Sonnen wies,

So mancher Bliz wird jezt mein Schröcken bleiben.

Der Zweifel wacht und spricht von deiner Treu:

Sie ist vorbey.


Verzeih mir doch den Argwohn gegen dich;

Wer brünstig liebt, dem macht die Furcht stets bange.

Der Menschen Herz verändert wunderlich;

Wer weis, wie bald mein Geist die Post empfange,

Daß die, so mich in Gegenwart geküst,

Entfernt vergißt.
[84]

Gedenck einmahl, wie schön wir vor gelebt

Und wie geheim wir unsre Lust genoßen.

Da hat kein Neid der Reizung widerstrebt,

Womit du mich an Hals und Brust geschloßen,

Da sah uns auch bey selbst erwüntschter Ruh

Kein Wächter zu.


Genung! Ich muß; die Marterglocke schlägt.

Hier liegt mein Herz, da nimm es aus dem Munde

Und heb es auf, die Früchte, so es trägt,

Sind Ruh und Trost bey mancher bösen Stunde,

Und lis, so oft dein Gram die Leute flieht,

Mein Abschiedslied.


Wohin ich geh, begleitet mich dein Bild,

Kein fremder Zug wird mir den Schaz entreißen;

Es macht mich treu und ist ein Hofnungsschild,

Wenn Neid und Noth Verfolgungssteine schmeißen,

Bis daß die Hand, die uns hier Dörner flicht,

Die Myrthen bricht.


Erinnre dich zum öftern meiner Huld

Und nähre sie mit süßem Angedencken!

Du wirst betrübt, dies ist des Abschieds Schuld,

So muß ich dich zum ersten Mahle kräncken,

Und fordert mich der erste Gang von hier,

So sterb ich dir.


Ich sterbe dir, und soll ein fremder Sand

Den oft durch dich ergözten Leib bedecken,

So gönne mir das lezte Liebespfand

Und las ein Creuz mit dieser Grabschrift stecken:

Wo ist ein Mensch, der treulich lieben kan?

Hier liegt der Mann.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 83-85.
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