[Ein jung- und starckes Blut, das schon am Galgen stund]

[275] [275] Auf Lachm(ann), Pred(iger) in Brieg, sonst Alazon genand


Ein jung- und starckes Blut, das schon am Galgen stund,

Verblich vor Todesangst auf Wangen, Stirn und Mund;

Das Herze schlug vor Furcht und lies mitsamt den Haaren,

Worauf das Schröcken saß, viel Seufzer aufwärts fahren.

Indem der arme Tropf nun schon am Kloben hing

Und auch der rauhe Strick den fetten Hals umfing,

Kam Gnade vor das Recht und lies die schwachen Sinnen,

Die schon der Tod ergrif, von neuem Kraft gewinnen.

Da sprang der gute Kerl, ein Danckgebeth zu weihn,

Dem nechsten Tempel zu und trat mit Freuden ein,

Gleich als Polylogus auf neue Kezer krachte

Und manchen schönen Spruch zum Canzelmärtrer machte.

Da dies der gute Tropf mit Ungedult vernahm

Und ohngefehr ein Kerl von seinen Brüdern kam,

So blies er diesem ein mit ängstlichem Gesichte:

Ach Bruder, stünd ich doch nur jezo vor Gerichte!

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 275-276.
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