Bothwell

[128] Wie bebte Königin Marie,

Als durchs geheime Pförtlein spat

Mit ungebognem Haupt und Knie

In ihr Gemach Graf Bothwell trat!


Ihr schön Gesicht ward leichenweiß;

Sie zuckt' und sah ihn fragend an:

Er wischte von der Stirn den Schweiß

Und sagte dumpf: »Es ist getan.


»Es ist getan, dein süßer Mund

War nicht für Buben solcher Art,

Heut abend um die achte Stund'

Hielt Heinrich Darnley Himmelfahrt.« –


Sie schrie empor: »Verzeih' dir Gott!

Nimm all mein Gold, nimm hin und flieh!«

Da lacht' er laut in grimmem Spott:

»Was soll mir Gold für Blut, Marie?


»Ich liebe dich, und wenn ich mich

Der Höll' ergab zu dieser Frist,

So war's um dich, allein um dich,

Weil du der schönste Teufel bist.


»Die Hand, die einen König schlug,

Greift auch nach einer Königin.«

Er rief's, und Graun in jedem Zug,

Starr wie ein Wachsbild sank sie hin.[128]


Er hub sie auf; sie fühlt' es nicht,

Daß ihr ins Fleisch sein Stahlhemd schnitt;

Ihr lockig Haupthaar wallte dicht

Um seine Schulter, wie er schritt.


Er stieß den Ring an ihre Hand,

Er schwang sie vor sich fest aufs Roß

Und jagt' ins wetterschwüle Land

Hinaus mit ihr gen Dunbar-Schloß.


Schwarz war die Nacht, als wäre rings

Erloschen jeder Stern des Heils;

Nur manchmal in den Wolken ging's

Gleichwie das Blitzen eines Beils.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 128-129.
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