Seid eins!

[215] 1859.


Wie lang noch eifersücht'gen Mutes

Verzehrt ihr euch in Streit und Neid?

Ihr Volksgeschlechter deutschen Blutes,

Besinnt euch endlich, wer ihr seid!


Schon donnert's überm Eidergrunde,

Schon wölkt sich's am Gestad' des Rheins;[215]

Es rinnt der Sand der elften Stunde,

Und jedes Sandkorn mahnt: Seid eins!


Seid eins! Von Gau zu Gau verkündigt

Ein Fest der Sühnung insgemein!

Wo all in gleicher Schuld gesündigt,

Ist's da so schwer denn, zu verzeihn?


Seid eins! Vom Schmähn und vom Verklagen,

Vom Hadern laßt, wer Führer sei;

Der Kühnste soll das Banner tragen,

Und der am treusten deutsch und frei.


Seid eins! Kein Griff nach fremder Krone!

Der Eichbaum wipfle vielverzweigt,

Doch Heil dem König auf dem Throne,

Der vor des Reichs Panier sich neigt!


Seid eins und laßt euch nicht zerspalten

Durch Priesterzorn und Leugnerspott!

Mag jeder seiner Kirche walten,

Wir glauben all an einen Gott.


Seid eins im Glück, seid eins im Leiden,

In Wort und Tat, in Spruch und Schlag,

Was auch der Erbfeind, euch zu scheiden,

Verheißen oder dräuen mag!


Seid eins, so donnert seinen Segen

Der Herr der Herrn vom Himmel drein,

Und sprechen mögt ihr allerwegen:

»Hie deutsches Schwert! So soll es sein!«

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 215-216.
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