Deutsche Wanderschaft

[239] Frühling 1868.


Der Wald steht in Blüte, die wilden Schwäne ziehn,

Mir klingt's im Gemüte wie Wandermelodien;

Zum Stab muß ich greifen, leb' wohl, altes Haus!

Und singend wieder schweifen ins deutsche Land hinaus.


Ihr blauenden Gipfel, ihr Täler, Gott grüß'!

Ihr dunkeln Eichenwipfel, wie rauscht ihr so süß!

Ihr wollt mir's erzählen, daß endlich hoffnungsvoll

Durch alle deutschen Seelen ein Lenzodem quoll.


Durch Steingeklüft und Forsten zu klimmen, o Lust!

Auf schwindelnden Horsten zu lüften die Brust.

Tief unten verklingen die Glocken weit umher,

Ein Adler hebt die Schwingen vom Felsen zum Meer.


Ins Brausen der Quellen wie pocht der Hämmer Schlag!

Da fördern die Gesellen das Eisen zutag',

Da wächst in roter Erde das Schwert für den Feind,

Der uns am deutschen Herde noch dreinzureden meint.


Nun kommst auch du geschwommen im frühroten Schein,

Willkommen, willkommen, du dunkelgrüner Rhein!

Du tränkst mit goldner Freude dein blühend Geländ'

Und weißt von keiner Scheide, die seine Stämme trennt.[239]


Wie lang wird es währen, Altvater, so preßt

Man wieder deine Beeren zum Kaiserkrönungsfest,

Da kommt auf deinen Wogen im Purpurgewand

Der Hort des Reichs gezogen, das Banner in der Hand.


Dann ruhen alle Waffen, dann ist es vollbracht,

Dran tausend Jahr' geschaffen, das Werk deutscher Macht,

In Norden und Süden der letzte Zwist gesühnt

Und Freiheit und Frieden, so weit die Eiche grünt.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 239-240.
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