Harr' aus!

[238] Dezember 1867.


Es stürmt im rauhen Kleid von Eisen

Beschwingten Schritts dahin die Zeit,

Kaum, daß sie dir und deinen Weisen

Ein Ohr noch leiht.


Umbraust von ihrer Gleise Dröhnen,

Von ihres Marktes ew'ger Hast,

Wie fände sie zum Dienst des Schönen

Die heitre Rast!


Wie ging' in selbstvergeßner Freude

Das Herz ihr auf beim Flötenlaut,

Die schallend zu des Staats Gebäude

Die Quadern haut!


Dem Stoff erst ringt sie ab, dem festen,

Das Werk, dran unsre Sehnsucht hängt;

So murre nicht, daß auch die Besten

Der Stoff befängt,


Und daß ihr Blick, vom Schaugepränge

Zerstreut, das alle Sinne reizt,

Vorüberschweift, wo keusche Strenge

Mit Farben geizt.[238]


Willst du den müden Werkmann schelten,

Den rasch unechter Prunk besticht?

Nur laß sein Maß für dich nicht gelten

Und dein Gedicht.


Dem Gott gehorchend, der die Leier

Dir weihte, harr' in Treuen aus!

Es folgen Wochen goldner Feier

Der Zeit des Baus.


Daß dann ein später Kranz dir werde,

Vergiß des Tages flücht'ge Gunst

Und opfre standhaft fort am Herde

Der reinen Kunst!

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 238-239.
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