Der reiche Mann von Köln

[358] Zu Köln ein reicher Kaufherr saß,

Der hatt' ein Herz von Eisen;

Er lebte dahin in Saus und Braus

Und drückte Witwen und Waisen.[358]


Er zählte sein Silber und wog sein Gold

Und lachte dazu im stillen;

Der Richter bog um Gunst und Geld

Das Recht nach seinem Willen.


Da war ein Mägdlein in der Stadt,

Ein Kind von jungen Jahren,

Er trieb es fort von Haus und Hof

Mit grimmigem Gebaren.


Und als der Schnee im Winter fiel,

Und ging der Rhein mit Eise,

Ihn jammerte nicht des Kindes Not,

Das hatte nicht Kleid noch Speise.


Und als der Frühling kam ins Land,

Die Vöglein sangen mit Schalle:

Sie fanden das Mägdlein morgens tot

Auf einer Streu im Stalle.


Sie trugen es fort und gruben es ein

Am Friedhof auf der Wiese;

Die Seele ging in Sankt Michaels Schoß

Hinauf zum Paradiese.


Den Tag darnach der Kaufmann ritt

Wohl lachend daher im Trabe,

Da standen drei Lilien weiß wie Schnee

Gewachsen auf dem Grabe;


Da standen drei Lilien weiß wie Schnee,

Im Winde die Blumen gingen;

Ein Vöglein schwang vom Hügel sich auf,

Im Flug hub's an zu singen:


»Herr Marx von Köln, Herr Marx von Köln,

Wie bleich ist dein Gesichte!

Du bist ein Mörder, Herr Marx von Köln,

Ich lade dich zu Gerichte.«[359]


Dem Kaufherrn wohl das Lachen verging,

Sein Mut war all verloren;

Er wandte sein Roß und jagte nach Haus,

Vom Blute troffen die Sporen.


Er mochte nicht nehmen Speise noch Trank

Vor ängstlichen Gedanken;

Wohin er schaut' in Saal und Hof,

Drei Lilien sah er schwanken;


Und als er nachts auf dem Kissen lag,

Keinen Schlaf konnt' er erzwingen;

Sobald ihm fielen die Augen zu,

Hört' er das Vöglein singen.


»Ach helft mir, helft mir, lieber Arzt!

Ich will's Euch neunfach zahlen,

Mir brennt's im Herzen wie höllisch Feur;

Helft mir von diesen Qualen!«


Wohl ging der Arzt, mit Sorg' und Fleiß

Manch bittern Trank zu mischen;

Es tat nicht gut, es tat nicht schlimm,

Das Vöglein sang dazwischen:


»Herr Marx von Köln, an deiner Sünd'

Wird alle Kunst zunichte!

Du bist ein Mörder, Herr Marx von Köln!

Ich lade dich zu Gerichte.«


Und um die dritte Mitternacht

Ging an der Tür ein Klopfen;

Den Kranken trieb's vom Lager auf,

Ihm floß die Stirn von Tropfen.


Und als seine Hand den Riegel schob,

Sie flog vor Angst und Schmerze;

Und als die Tür in den Angeln ging,

Ein Zug blies aus die Kerze.


Der draußen stand, das war der Tod;

Er nahm Herrn Marx von Köllen,

Er setzt' ihn auf sein aschfarb Roß

Und fuhr mit ihm zur Höllen.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 358-360.
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