Der Arme und das Glück

[178] Ein armer Mann, versehn zum Graben,

Wollt itzt ein besser Schicksal haben

Und rief das Glück um Beistand an.

Das Glück erhörte sein Verlangen.

Er fand, indem er grub, zwo starke goldne Stangen;

Allein der ungeschickte Mann

Sah sie für altes Messing an

Und gab für wenig Geld den Reichtum aus den Händen,

Fuhr fort und bat das Glück, doch mehr ihm zuzuwenden.


»O Tor!« rief ihm die Gottheit zu,

»Was quälst du mich, dich zu beglücken?

Wer wäre glücklicher als du,

Wenn du gewußt, dich in dein Glück zu schicken?«


Du wünschest dir mit Angst ein Glück

Und klagst, daß dir noch keins erschienen.[178]

Klag' nicht, es kommt gewiß ein günst'ger Augenblick:

Allein bitt' um Verstand, dich seiner zu bedienen;

Denn dieses ist das größte Glück.

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 178-179.
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