Das Glück eines guten Gewissens

[279] Besitz ich nur

Ein ruhiges Gewissen:

So ist für mich, wenn andre zagen müssen,

Nichts Schreckliches in der Natur.


Dies ist mein Teil!

Dies soll mir niemand rauben.

Ein reines Herz von ungefärbtem Glauben,

Der Friede Gottes nur ist Heil.


Welch ein Gewinn,

Wenn meine Sünde schweiget;

Wenn Gottes Geist in meinem Geiste zeuget,

Daß ich sein Kind und Erbe bin!


Und diese Ruh,

Den Trost in unserm Leben,

Sollt ich für Lust, für Lust der Sinne geben?

Dies lasse Gottes Geist nicht zu!


In jene Pein,

Mich selber zu verklagen,[279]

Der Sünde Fluch mit mir umher zu tragen;

In diese stürzt ich mich hinein?


Laß auch die Pflicht,

Dich selber zu besiegen,

Die schwerste sein! Sie ist's; doch welch Vergnügen

Wird sie nach der Vollbringung nicht!


Welch Glück! zu sich

Mit Wahrheit sagen können:

Ich fühlt in mir des Bösen Lust entbrennen;

Doch, Dank sei Gott! ich schützte mich.


Und welch Gericht!

Selbst zu sich sagen müssen:

Ich konnte mir den Weg zum Fall verschließen;

Und doch verschloß ich mir ihn nicht.


Was kann im Glück

Den Wert des Glücks erhöhen?

Ein ruhig Herz versüßt im Wohlergehen

Dir jeden frohen Augenblick.


Was kann im Schmerz

Den Schmerz der Leiden stillen;

Im schwersten Kreuz mit Freuden dich erfüllen?

Ein in dem Herrn zufriednes Herz.


Was gibt dir Mut,

Die Güter zu verachten,

Wonach mit Angst die niedern Seelen trachten?

Ein ruhig Herz, dies größre Gut.


Was ist der Spott,

Den ein Gerechter leidet?

Sein wahrer Ruhm! Denn wer das Böse meidet,

Das Gute tut, hat Ruhm bei Gott.


Im Herzen rein,

Hinauf gen Himmel schauen,[280]

Und sagen: Gott! du Gott, bist mein Vertrauen!

Welch Glück, o Mensch, kann größer sein?


Sieh, alles weicht,

Bald wirst du sterben müssen.

Was wird alsdann dir deinen Tod versüßen?

Ein gut Gewissen macht ihn leicht.


Heil dir, o Christ!

Der diese Ruh empfindet,

Und der sein Glück auf das Bewußtsein gründet,

Daß nichts Verdammlichs an ihm ist!


Laß Erd und Welt,

So kann der Fromme sprechen,

Laß unter mir den Bau der Erde brechen!

Gott ist es, dessen Hand mich hält.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 279-281.
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