WIEDERSEHEN MIT DER SELIGEN

[133] Sobald des ersten himmels siebensterne

Stillstanden denen wachen oder schlafen

Und trübung ausser der durch sünde ferne


Die jeden hier der pflichten die ihn trafen

Erinnern – wie ihr bild auf erden lehre

Des steuermannes bahnen nach dem hafen:[133]


Da sah ich wie sich die wahrhaftigen heere

Die zwischen diesen und dem Greifen kamen

Zum wagen wandten wie zur schönsten ehre


Und einer rief als ob in Himmels namen

Dreimal: ›Komm Braut vom Libanon‹ im sange –

Und alle andren drauf ihn nachzuahmen ...


Wie die erwählten bei dem lezten zwange

Empor aus ihren erdenhöhlen ragen

Mit neu erlangter stimme jubelklange:


So hoben sich auf Gottes siegeswagen

An hunderte ›ad vocem tanti senis‹

Sie die des Ewigen Lebens würden tragen.


Wo jeder ›Benedictus‹ sang ›qui venis‹

Indem er rings und aufwärts blüten streute

Und ›Manibus o date lilia plenis!‹


Ich schaute einst als sich der tag erneute

Den teil gen osten hin ganz rot verschattet

Indes den andren heitre helle freute.[134]


Der sonne antlitz hob sich wie ermattet ·

Es wurde durch der trüben dämpfe brüten

Dem aug ins licht zu schauen lang verstattet.


So zeigte sich mir im gewölk von blüten

Die aus der engel händen niederschwammen

Und stiegen und nach allen seiten sprühten


Ein Weib: den reinen schleier hielt zusammen

Ein ölbaumzweig. Ihr grüner mantel deckte

Ein kleid von farbe der lebendigen flammen.


Und wenn auch eine lange zeit sich streckte

Seit sie durch ihre nähe meine sinne

Zum zittern brachte niederschlug und schreckte:


So ward ich jezt – und ohne schauen – inne

Der kraft die im geheimen auf mich drückte

Und fühlte die gewalt der alten minne.


Als kaum von der erscheinung niederzückte

Die hohe macht die mich so früh gefangen

Noch eh ich aus den knabenjahren rückte:[135]


Da wandt ich mich nach links mit dem verlangen

Der kinder ihre mutter zu erreichen

Wenn sie nicht froh sind oder wenn sie bangen


Und sagte meinem führer mit erbleichen:

Kein tropfen blut ist in mir der nicht bebe –

Ich kenne noch der alten flamme zeichen.


Doch war Vergil in einer tiefern schwebe

Uns ferne schon · Vergil mein süsser ahne ·

Vergil dem ich mich gab damit ich lebe.


Nicht der vom ersten paar verscherzten plane

Genuss – nichts half den tau-gespülten wangen

Dass trübes wasser wieder furchen bahne.


›Dante! nachdem Vergil von dir gegangen

Sollst du nicht weinen! Weine jezt nicht weiter!

Denn weinen wirst du bald aus andrem bangen.‹


So wie ein seeheld der an mast und leiter

Auf seine mannschaft sieht – befehle jagen

Von schiff zu schiff und machen tatbereiter:[136]


So sah ich wie auf linker wehr im wagen

(Als ich bei meines namens klang mich wandte

Den hier notwendigkeit gebeut zu sagen)


Die frau die ich aus der erscheinung kannte

Umgeben von der engel blumenfeier

Vom fluss herüber einen blick mir sandte:


Umfloss sie auch vom haupt herab der schleier

Der von Minervas laubgerank umwallte

Und zeigte sie sich mir auch noch nicht freier.


Sie fuhr mit stolzem königlichen halte

Dann fort wie einer ruhigen beginnes

Der heissres wort für später rückbehalte:


Ich bin es! sieh! die Selige! Ich bin es!

Wer gab zu diesem aufstieg dir die sporne?

Weisst du nun: hier nur sei man frohen sinnes?


Die lider senkt ich zu dem klaren borne

Doch mich drin blickend taucht ich ins gewühle

Der gräser. Scham zog meine stirn nach vorne.[137]


So scheint der mutter art dem sohn als kühle

Wie nun die ihre mir erschien · denn bitter

Ist der geschmack am herben mitgefühle.


Sie schwieg · worauf der himmlischen Erbitter

Gesang begann: ›Ich hoffte auf den Herren‹

Doch bei den worten ›meine füsse‹ schnitt er.


Wie schnee der zwischen den lebendigen sperren

Sich auf Italiens rücken frierend haufe

Solang des Slawenlandes winde zerren ·


Doch flüssig werdend in sich selbst vertraufe

Sobald es bläst aus schattenfremder zone

Wie eine kerze die vom licht zerlaufe:


So war ich seufzer-noch und tränen-ohne

Bevor sie sangen die nach ewiger globen

Zusammenklang sich richten mit dem tone.


Doch als ich hörte wie ihr süsses loben

Von mitleid schwoll – mehr als ob sie gesungen:

O frau was stellst du ihn auf solche proben?[138]


Da ward der frost der lastend mich umrungen

Zu hauch und wasser und ist durch die pforte

Von aug und mund bang aus der brust gedrungen.


Sie stand an des gefährtes gleicher borte

Noch immer hoch und an die heiligen Mage

Gerichtet waren also ihre worte:


Ihr seid die wächter in dem ewigen tage!

Nicht schlaf noch dunkel hemmt euch jedem fusse

Zu folgen den ein weg der erde trage.


Die antwort geb ich drum mit grössrer musse

Dass wohl mich höre der dort steht in zähren

Und gleichen maasses seien schuld und busse:


Nicht bloss durch wirken der gewölbten sfären

Wird jede saat zu sicherem ziel geschoben

Und je nachdem die sterne gunst gewähren –


Nein mehr noch durch den gnadenschatz von droben

Wo solche hohe wolken regen geben

Dass nie bis dort sich eure augen hoben.[139]


Dieser war so in seinem Neuen Leben

Der artung nach dass jedes rechte walten

Zu wunderbaren wipfeln mochte heben.


Doch wüster nur und misslicher entfalten

Bei schlechtem sän und bauen sich die fluren

Je mehr sie gute bodenkraft enthalten.


Ich wies ihn eine zeit von schlimmen spuren

Die jugendlichen blicke auf ihn lenkend

Dass wir vereint die grade strasse fuhren.


Sobald ich aber nach der schwelle schwenkend

Des zweiten alters neue form genommen

Da riss er sich von mir · sich andern schenkend.


Als ich vom fleische war zu geist geklommen

Und grössre kraft und schönheit mir gediehen ·

Schien ich ihm minder teuer und willkommen.


Er liess sich auf nicht wahre wege ziehen

Verfolgend eines falschen glücks gestalten

Die vor erfüllung des versprechens fliehen.[140]


Nicht halfs erleuchtungen ihm zu erhalten

Womit ich ihn im traum und andrerweile

Zurückrief – da sie ihm nur wenig galten.


Er fiel so tief dass schon zu seinem heile

Die mittel bis auf eins zu mangeln drohten:

Ihn leiten lassen durch der Hölle teile.


Darum besuchte ich das tor der toten

Ob jener sich zum führer geben wolle

Der auf mein flehn und weinen sich erboten.


Gebrochen würde hoher satzung rolle ·

Wenn einer des Vergessens fluss verliesse

Und nähme solche nahrung · frei vom zolle


Der reue die in tränen sich ergiesse.


Fegefeuer · XXX. Gesang.[141]

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 133-142.
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