FORTSETZUNG DES BEKENNTNISSES · DIE TAUFE IM LETHE

[142] O du der jenseit steht der heiligen fluten –

So wandte sie an mich ihr wort mit stechen

Das durch die schneide schon gebracht zum bluten ·


Und sie fuhr weiter ohne abzubrechen:

Sag sag ob dieses wahr ist! Solcher klage

Ziemt deinem eingeständnis zu entsprechen ...


Darüber wurde meine kraft so zage

Dass sich die stimme hob · doch beim beginne

Erstarb eh sie durchs innre trat zu tage.


Kurz hielt sie ein und sprach: Was soll dein sinnen?

Gib antwort! Konnte des vergangnen trauer

Doch in den wassern noch nicht dir zerrinnen!


Mir trieb verwirrung untermischt mit schauer

Hervor ein solches ›ja‹ aus meinem munde

Dass es erst durch die miene ward genauer.[142]


So wie ein bogen kracht wenn strick und runde

Erzittern unter allzu starkem zucke ·

Und mindrer kraft der pfeil das ziel verwunde:


So brach ich unter diesem schweren drucke ..

Es stürzte seufzer mir hervor und zähre

Und meine stimme stockte unterm rucke.


Und sie zu mir: In meiner wünsche sfäre

Die mit dir jenem gut entgegengingen

Jenseit von dem nichts ist was sich bewähre:


Was fandest du für gruben · was für schlingen

Auf deinem weg dass du für ihr durchwallen

Dich derart um die hoffnung konntest bringen?


Was zeigte sich dir bei den andren allen

An fördernissen an befriedigungen

Auf dass du ihnen gingest zu gefallen?..


Nachdem sich tiefer seufzer mir entrungen

Konnt ich kaum einen hauch der stimme borgen ..

Aus meinem mund die antwort kam erzwungen.[143]


Ich sagte unter weinen: Zeitlich sorgen

Mit seiner falschen lust trieb mich zurücke

Sobald sich euer antlitz mir verborgen.


Sie sagte: ›Leugne oder unterdrücke

Was du bekennen sollst: die schuld liegt offen

Trotzdem ... DER richter irrt in keinem stücke.


Doch wenn von eingestandnen sünden troffen

Des schuldigen lider · wird nach unsrem rechte

Vom schleifrad umgekehrt der schnitt getroffen.


Damit indes dich stärker übers schlechte

Die scham belaste und beim nächsten gange

Dich minder der Sirenen sang befechte:


Horch und tu ab die tränen von der wange!

Und du wirst hören wie mein fleisch im grabe

Bewegen musste mit ganz andrem drange.


Nie gab natur und kunst dir eine labe

Mehr als mein schöner leib der mich umhangen ·

Den ich als staub zurückgelassen habe.[144]


Und war die höchste freude dir entgangen

Durch meinen tod – welch irdische besitze

Vermochten dich zu ziehn in ihr verlangen?


Wol ziemte dass die erste scharfe spitze

Der trügerischen dinge dich entrücke

Hinter mir her zu meinem andren sitze.


Nicht ziemte dass dies deinen fittich drücke

Mehr wunden dir zu holen: junge frauen

Und andre eitelkeit von kurzem glücke.


Ein neues vöglein mag abwartend schauen ..

Jedoch der flügg-gewordnen sinn benähmen

Nicht pfeile-schiessen und nicht falle-bauen.‹


Wie kinder horchen und sich schweigend schämen ·

Den blick am boden · und was sie betöre

Erkennen und sich drob im innern grämen:


So stand ich und sie sprach: Mit dem gehöre

Empfandst du leid.. doch heb den bart erst wieder

Dann macht die schau dass grössres dich verstöre ...[145]


Nicht mindren widerstandes dreht die glieder

Ein starker eichbaum bei des sturmes toben

Von Nord her oder landen der Numider:


Als ich auf ihr geheiss das kinn erhoben

Und da sie bei dem ›bart‹ ans antlitz dachte

Hatt ich das gift des satzes zu erproben.


Und als ich mein gesicht in richtung brachte

Bemerkt ich jene ersten kreaturen

Wie ihre blumenstreuung einhalt machte ..


Mein auge sah · noch mit der trübung spuren ·

Wie sich die Selige nach dem tier bewege

Das eines wesens ist in zwei naturen.


Sie schien jenseit der flut in schleiers hege

Höher als einst · um soviel wie sie vorne

Vor allen andren schritt im erdenwege.


Solch stechen fühlt ich von der reue dorne

Dass jedes ding das meist mich zog im leben

In seine lust · nun meist mich trieb zum zorne.[146]


Dies eingeständnis liess mein herz so beben

Dass ich entsank – wie elend sie mich lasse

Sie wusst es wol die grund dazu gegeben.


Sodann als neue kraft gewann der blasse

Sah jene frau ich zu mir hingebogen

Die erst ich traf.. sie sagte: Fass mich! fasse!


Sie schleifte mich nachdem sie mich gezogen

In jene flut bis oberhalb der brüste

Und glitt mit feder-leichte auf den wogen.


Als ich nun nahe war der seligen küste

Hört ich ›Asperges‹ mit so süssem hoffen

Dass ichs zu denken nicht · zu schreiben wüsste.


Dann tat die schöne frau die arme offen ·

Sie nahm mein haupt und tauchte mich im flusse

Woraus zu schlürfen jetzo mich betroffen.


Sie holte mich hervor nach diesem gusse ·

Ich ward in der vier Holden tanz verwoben

Und jede hob die arme zum umschlusse.[147]


›Wir sind hier nymphen · sterne sind wir droben ·

Eh noch die Selige die erde sähe

Hat Gott zu ihrem dienste uns erhoben.


Wir führen vor ihr antlitz: für die nähe

Der freudigen lichter aber machen sehend

Erst jene drei mit einer tiefern spähe.‹


So fing ihr singen an und weiter gehend

Einrückten sie mich bis zur brust des Greifen.

Dort hielt die Selige uns entgegenstehend ...


Nun lass mit eifer deine blicke schweifen ·

So sprachen sie · du trittst vor die rubine

Die einst die liebe kor dich zu ergreifen.


Und tausend wünsche · flammender als kiene ·

Drängten mein aug in jenes auges helle

Das stets den Greifen traf mit gleicher miene.


Ich sah wie gleich der sonne in der quelle

Ganz so das doppeltier sich drin entfalte

In bald der einen bald der andren stelle.[148]


(Denk leser ob verwunderung mich halte!)

Und wie das ding sich selber nie bewege

Doch sich in seinem abbild umgestalte.


Indem vor staunen und vor freude rege

Sich meine seele labte an der speise

Die macht dass wen sie sättigt lust noch hege:


Da kamen nach der art der höchsten kreise

Die andern Dreie mit entgegennicken

Und tanzen nach der engel sangesweise:


›Zeig Selige dich mit deinen heiligen blicken!

Zeig dich‹ so klang ihr singen ›der getreue

Kam dich zu schauen nach soviel geschicken.


Tu uns zugunsten ihm die gunst! Verstreue

Den schleier der dein angesicht umscheuchte!

Lass deine schönheit sehn – die zweite neue!‹


O glanz der ewigen lebendigen leuchte!

Wer hat sich so im musenhain ermattet

Und hat so lang geschlürft von jener feuchte[149]


Dass ungehindert ihm sein geist gestattet

Das abzuschildern was du hier erfülltest:

Vom klangbewegten himmel überschattet


Als du im offnen äther dich enthülltest!


Fegefeuer · XXXI. Gesang.

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 142-150.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Dante. Die göttliche Komödie
Sämtliche Werke in 18 Bänden. Bd. 10/11: Dante - Die göttliche Komödie. Übertragungen

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon