DAS LIED

[125] Es fuhr ein knecht hinaus zum wald

Sein bart war noch nicht flück

Er lief sich irr im wunderwald

Er kam nicht mehr zurück.


Das ganze dorf zog nach ihm aus

Vom früh- zum abendrot

Doch fand man nirgends seine spur

Da gab man ihn für tot.


So flossen sieben jahr dahin

Und eines morgens stand

Auf einmal wieder er vorm dorf

Und ging zum brunnenrand.


Sie fragten wer er wär und sahn

Ihm fremd ins angesicht ·

Der vater starb die mutter starb

Ein andrer kannt ihn nicht.[126]


Vor tagen hab ich mich verirrt

Ich war im wunderwald

Dort kam ich recht zu einem fest

Doch heim trieb man mich bald.


Die leute tragen güldnes haar

Und eine haut wie schnee ..

So heissen sie dort sonn und mond

So berg und tal und see.


Da lachten all: in dieser früh

Ist er nicht weines voll.

Sie gaben ihm das vieh zur hut

Und sagten er ist toll.


So trieb er täglich in das feld

Und sass auf einem stein

Und sang bis in die tiefe nacht

Und niemand sorgte sein.


Nur kinder horchten seinem lied

Und sassen oft zur seit ..

Sie sangen's als er lang schon tot

Bis in die spätste zeit.

Quelle:
Stefan George: Das Neue Reich. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 9, Berlin 1928, S. 125-127.
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Sämtliche Werke in 18 Bänden. Bd. 9: Das neue Reich