DER BRAND DES TEMPELS


[81] DIE PRIESTER: DER ÄLTESTE

ERSTER ZWEITER DRITTER ·

VIERTER UND FÜNFTER ALS BOTEN


DER ÄLTESTE

Dass ich noch lebe dies zu sehn: wo draussen

Die stadt dem wall sich nähert reissen sie

Die steine auf und säen gras.


ERSTER

Da denkt mir

Wie vor zwölf jahren bei dem grossen misswachs

Der alte irre könig seine gärten

Durchschlich · sich auf dem grunde niederbog

Mit seinen weissen fingern wurzeln steckte

Ins trockne erdreich.[82]


ZWEITER

Alles wankt und bricht

Seit jener unglücksschlacht im Roten Feld

Wo unser fürst und führer sank im fliehn

Seit wir die Heunen sahn in unsern mauern

Und ER die burg bethront.


ERSTER

Was jahre bauten

Stürzt er in einem tag.


DRITTER

Doch seine horden

Hält er in zucht und schon gibt sich zufrieden

Das stumpfe volk.


ERSTER

Das schmiegt sich jeder fuchtel

Wenn es nur dürftig äst und schauen darf

Der obern missgeschick ..


ZWEITER

Und mürber adel

Meint: DER wird nie besiegt.[83]


DRITTER

Er gilt für billig.


DER ÄLTESTE

Weil er zu kühl zum hass.


ERSTER

Die handelsherrn

Die um des satzes mildrung in ihn drangen

Der ihr verderb beschleunige · entbot er:

›Wer unter mir nicht leben kann · muss sterben.‹


ZWEITER

Bittstellerinnen die ihn jammernd mahnten

Es fehle nahrung für die neugebornen

Empfahl er: ›Besser täte man dem weib

Das überm pflaster kreisst den wurf ersticken.‹


ERSTER

Und unser flehn um schutz des heiligtums

Wie wies ers ab! Mit unsren giftigen eifrern

Die lass geschont von je gesetz und staat

Verachtet – mit der schar versteht er sich:[84]


›Ihr könnt nicht eures landes fäulnis heilen.

Was sind die götter die euch nicht mehr helfen?

Was bücher bilder die euch nicht mehr heben?

Dankt ihm der euch vom wust befreit.‹


DRITTER

Sein wort

Schmucklos und rauh · trägt nicht des unsern form ·

Lässt keine antwort zu .. doch trifft wie blitz.


ERSTER

Niemand kennt seine jahre seinen namen

Niemand sah ihn mit abgestülptem helm.

Allmacht umwittert ihn und er bleibt mässig

Dem bettler gleich · hier schlichter kriegsgenoss

Den seinen · dort gehorchen sie ihm sklavisch ..


DRITTER

Er hört · doch hat für schmeichelei kein ohr.


ERSTER

Er betet · heissts · vor einem rohen stein.[85]


ZWEITER

Des jünglings ist sein wuchs und seine wange

Doch mund und stirne alterslos.


ERSTER

Es nennt

›Gebieter‹ ihn sein heer · die mutter ›sohn‹ · sein freund

Wenn unbewacht mit einem laut wie ›JLI‹!

Er selbst sich Geissel Gottes.


DRITTER

Ganz verhärtet

Und düster ist er erst seit Clelios tod.


ERSTER

Sein bester krieger helfer aller kämpfe

Sein einziger vertrauter liess sich fangen

Vom gold und unsrer töchter seidnen haaren

Und hinterging im rat den Herrn – der merkt es

Und blieb drei tage stumm eh er ihn rief:

›Dein schmerz kann dich nicht sühnen · denn der meine

Ist gross im übermaass. Erinnre dich

Es war an unsrem stolzten schlachten-abend[86]

Wir beide eifernd wer den kranz verdient ..

Da schwuren wir uns eine bitte zu

Die jeder unbedingt erfülle .. deine

Ist lang gewährt · hör jezt die meine: richte

Dich selbst damit ich dich nicht richten muss‹

Der so entlassne küsste seinem henker

Die hand und fiel alsbald durchs eigne schwert.


ZWEITER

Auch schien sein joch fast linder als die greisin

Mit ihrem geier-aug und männer-mund

Noch neben seinem stuhle stand .. verwiesen

Hat er sie in ein kloster nah den wäldern

Wenn auch begleitet mit gewählten ehren

Und mit dem trost dass er nie fern ihr weile.


ERSTER

Auf ihren einspruch dass sie ihm von früh auf

Gefährtin und beratrin war versezt er:

›Die frau darf stimme haben in der zeit

Der zelte und der züge .. im palast

Ist sie der herrschaft untergang.‹ Vorm abschied

Versuchte sie ihn · sagt man · mit der mär:

›Du lagst an meiner brust noch: auf der flucht[87]

Vor deines oheims häschern eilten wir

Mit Phrixos über die verschneiten berge ..

Da fiel ein wölfe-paar uns an · der treue

Erstach den einen · wehrte schwer dem zweiten.

Ich legte dich auf des gestreckten tiers

Noch warmen leib und sprang zur hilfe bei ..

So schlürftest du schon blut gleich mit der milch.

Im engen felstal wo du aufgewachsen

Trug ich dich stunden-lang zur höh hinauf

Damit du sonne sähest · diesen strahlen

Verdankst du deine stärke und dein glück.‹

Er hat entgegnet: ›Mutter wie mein heil

Ihr stets gesucht wünscht heut ihr mein verderben‹

Und hielt an seinem spruch.


ZWEITER

Ist ER ein mensch!


DER ÄLTESTE

Indes wir hier der Fremden loos bereden

Erfüllt sich unsres. Dies erhabne haus

Mit götter-säulen heiligen tafeln schriften

Das köstlichste vermächtnis vieler ahnen

Als dessen wahrer wir bisher gelebt[88]


Ist von zertrümmerung bedroht .. vollbracht

Sind alle opfer und ererbten bräuche.

Wir haben unsre eigne macht erschöpft ..

Mögens die ewigen lenker günstig wenden!


ZWEITER

Die junge Fürstin die an seiner statt

Das zepter tragen sollte .. die für uns

Hochherzig sich zum schweren gang erbot

Weilt nun bei ihm ... Vielleicht dass sie ihn rühre!


ERSTER

Wie viele hätten um ihr winken bloss

Gut ehr und leib mit freude weggeworfen ..

Nun tritt sie heischend über feindes schwelle.


DER ÄLTESTE

Ihr Schützer dieses ortes steht ihr bei!

Die stunde naht die über uns entscheidet.


VIERTER

eintretend

Dies ist die botschaft: Mit drommeten-schall

Gleich einer königin liess er sie empfangen ..

Lud sie zum thron · erfragte ihr begehr.[89]

Sie trug beredt ihm vor was selbst sie fühlte

Und was ihr eingabt .. dass den ruhm ihm mehre

Die wunder dieses bauwerks zu behüten.

Er wiederholte nur womit er einst

Uns selbst beschieden – ihr gefolg berichtet

Sein antlitz habe furchtbarn glanz gestrahlt –:

›Ich bin gesandt mit fackel und mit stahl

Dass ich euch härte · nicht dass ihr mich weichet.

Ihr wisst nicht was euch nüzt · ich muss euch rauben ·

Verfallne · wenn ihr dess euch nicht begebt

Was euch nur mehr erschlafft. So wills das recht.‹

Mit halber träne die die kältsten schmölze

Mit jenem holden lächeln das selbst greise

Erschauern machte hub sie nochmals an:

›O Herr wie stritte ich mit euch um recht!

Doch hoheit hat ein himmlisches geschenk

Wenn alles andre auch verwirkt ist: gnade.‹

Er zögerte für einen atemzug

Und heftete auf sie sein keusches klares

Barbaren-aug und sprach: ›Der hoheit ziemt

Vor jeder schwachheit milde aber nie

Wenn sinn dabei verlezt wird. So ists hier.

Soll ich euch um den preis gewogen sein?

Was heut mich umbiegt wird mich morgen brechen.‹[90]

Vor seiner miene senkte sie die lider

Vor trauer wankend glitt sie durch den saal.

Kaum heimgekehrt · mit ihren treuen mägden

Schied sie · ein ungewürdigter besitz ·

Freiwillig aus der armgewordnen welt ..


DER ÄLTESTE

Da uns die Schrecklichen Unfasslichen

Vergassen warest du uns Hort · wir fest

In unsrer drangsal nur durch dich .. sobald

Du nicht mit uns die gleiche luft mehr trinkst

Bricht unsre hoffnung ein .. Pamfilia

Du unsres ganzen stamms erlesenste

Und vollste blume! hier will ich vor allen

Dich reinigen vom widrigen gerücht

Dass du seit seinem einritt Ihn geliebt.

Dein hochgemutes herz ertrug es nicht

Dass jener Hunne dich in der entschleirung

Des flehens und des weinens sah.


DIE PRIESTER

Sie zeigt

Was uns zu tun erübrigt.[91]


FÜNFTER

eintretend

Rettet euch!

Schon dringt der rauch herein · aus den vier ecken

Schlagen die flammen hoch.


DIE PRIESTER

Der tempel brennt.


DER ÄLTESTE

Der tempel brennt. Ein halbes tausend-jahr

Muss weiterrollen bis er neu erstehe.[92]

Quelle:
Stefan George: Das Neue Reich. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 9, Berlin 1928, S. 81-93.
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